Neuartige Studie zeigt: Frauen lassen sich immer mehr Zeit mit dem ersten Kind. Je jünger die Frau bei der Erstgeburt, desto größer wird die Familie.

Wiesbaden. Freizeit und Konsum, Selbstverwirklichung und Karriere: Vieles hält junge Paare in Deutschland erst einmal von der Familiengründung ab. Je später das erste Kind zur Welt kommt, desto weniger Geschwister wird es haben. Dies gilt nicht nur für Akademikerinnen, sondern es geschieht unabhängig von der Ausbildung der Frau, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit einer gestern vorgestellten Erhebung belegt.

Die Studie gelangt zu dem Schluss, dass Frauen, die mehr als zwei Kinder bekommen, bei der Erstgeburt durchschnittlich 26 und damit drei Jahre jünger sind als Mütter von Einzelkindern. Und sie sind immerhin noch ein Jahr früher dran als Mütter, die zwei Kinder gebären. Die erstmals in dieser Form angestellte Untersuchung (das Alter der Väter wurde nicht erhoben) erfasste Mütter der Jahrgänge 1959 bis 1968, die noch mit all ihren Kindern in einem Haushalt leben. Dies seien etwa 70 Prozent, so die Statistiker. Fast jede zweite Mutter in Deutschland hat zwei Kinder und jede fünfte mindestens drei, ergab die Erhebung. Knapp jede dritte Mutter hat ein Einzelkind. Ein gutes Viertelaller Frauen in Deutschland bleibt der Statistik zufolge kinderlos.

"Es hat sich ein Wertewandel vollzogen", sagte Bevölkerungswissenschaftler Prof. Ralf E. Ulrich von der Universität Bielefeld zu den Ergebnissen. "Die Ehen unserer Großelternund Eltern waren noch klar auf die Familiengründung ausgerichtet." Heute setzten Paare bis an die Schwelle zuihrem 30. Geburtstag aber vor allemauf Selbstverwirklichung, Liebe und Seelenpartnerschaft.

Das gilt insbesondere für Akademikerinnen: Sie werden im Durchschnitt erstmals mit 31 Jahren Mutter und damit drei Jahre später als Frauen, die eine Lehre oder eine andere Ausbildung gemacht haben. Im Vergleich zu Müttern, die gar keinen Abschluss haben, sind sie sogar fünf Jahre älter. Aber auch Akademikerinnen mit nur einem Kind sind bei dessen Geburt deutlichälter (33 Jahre) als Akademikerinnen mit drei und mehr Kindern (29 Jahre).

"Die Kinderbetreuung allein ist es nicht", betont Wissenschaftler Ulrich. Die Politik versuche - relativ kurzschlüssig -, das Problem nur mit Geld zu lösen. Als Beispiel nennt Ulrich das Elterngeld: "Dessen demografische Wirkung ist ja weitgehend ausgeblieben." Der Zukunftsforscher Andreas Steinle hingegen nennt den Mangel an Betreuungsangeboten als Hauptgrund für die Zurückhaltung beim Kinderkriegen. Gerade bei der Ganztagsschule liege Deutschland international zurück. "Das ist das Nadelöhr zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie."

Der Geschäftsführer des Zukunftsinstituts in Kelkheim bei Frankfurt sieht deshalb auch eine Zunahme bei der Zahl von Wunsch-Einzelkindern. Viele Paare merkten, "dass Familie und Beruf mit einem Kind doch einfacher unter einen Hut zu bringen sind".

Längere Ausbildungszeiten, Erfahrungen mit Scheidung und Rollenkonflikte - Steinle sieht neben der mangelnden Infrastruktur für berufstätige Eltern und deren Kinder noch eine Reihe anderer Gründe, weshalb sich Paare spät für Nachwuchs entscheiden. "Höhere Bildung ist das beste Verhütungsmittel", sagt er. Außerdem: "Etwa jede dritte Ehe wird geschieden. Die Soziologen sprechen von einer Vererbungder Scheidung." Gemeint ist, dass sich Scheidungskinder leichter trennen.

Viele Paare sähen heute zwar ihr Ideal darin, sich gleichberechtigt um Familie und Beruf zu kümmern. Wenn sich das jedoch als unrealistisch erweise, baue der Mann eher auf das traditionelle Modell, während die Frau ihreeigene Unabhängigkeit über die Familienplanung stelle. Ein typischer Konflikt. Denn: "Ideale Rahmenbedingungen gibt es nur selten."