Staatsanwaltschaft beklagt gravierende organisatorische Mängel vor der Loveparade-Katastrophe. Gewerkschaft weist Anschuldigungen zurück

Duisburg/Hamburg. Die Frage nach der Schuld bleibt: 21 Menschen starben am 24. Juli vergangenen Jahres bei der Massenpanik in Duisburg, 500 wurden verletzt. Auch zehn Monate nach der Loveparade arbeiten die Ermittler daran, das Puzzle der Verantwortlichkeiten zusammenzusetzen. Wie der "Spiegel" nun berichtet, stellt ein Bericht der Duisburger Staatsanwaltschaft angeblich schwere Fehler der Polizeiführung fest.

Auf 400 Seiten rekonstruiert die Behörde, was falsch lief, als Tausende Menschen in den engen Tunnel drängten, der als Eingang zum Partygelände diente, und Panik ausbrach. Nach Schilderungen des "Spiegels" stand die Bereitschaftspolizei den Massen an diesem Nadelöhr nur mit zwei Hundertschaften gegenüber. Zudem habe ein vom Innenministerium angeordneter Schichtwechsel zu einem Zeitpunkt stattgefunden, der schon im Vorfeld als "kritische Einsatzphase" bezeichnet worden war.

Wenige Wochen vor der Veranstaltung soll das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen die Vorgabe erlassen haben, die Dienstzeit der Polizisten vor Ort auf zwölf Stunden zu begrenzen - die An- und Abreise eingerechnet. Der "Spiegel" berichtet von polizeiinterner Kritik an der folgenden Änderung des Einsatzbefehls. Es sei darauf hingewiesen worden, dass der Einsatzort für die Ablösung schwer erreichbar und die Polizisten während des Schichtwechsels nur "eingeschränkt handlungsfähig" seien.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) widerspricht diesen Anschuldigungen. Der nordrhein-westfälische GdP-Vorsitzende Frank Richter sagt: "Der Schichtwechsel bei der Polizei war nicht ursächlich für die Katastrophe."

Der Austausch der Einsatzkräfte sei extra vorgezogen und um 15.30 Uhr beendet worden. Der Pressesprecher Stephan Hegger erklärte dem Abendblatt, diesen Ablauf hätten ihm mehrere Polizisten, die vor Ort im Einsatz waren, gestern noch einmal bestätigt. Nach Informationen der GdP seien die neuen Kräfte zum Zeitpunkt der Massenpanik zum Teil bereits zwei Stunden im Einsatz gewesen.

Auch weitere gravierende Vorwürfe zu massiven Kommunikationsproblemen weist die GdP zurück. Dem Nachrichtenmagazin zufolge gibt es im Bericht der Staatsanwaltschaft Hinweise darauf, dass die Funkgeräte der Einsatzkräfte mehrmals ausfielen. Die sogenannte Vorrangschaltung von Handys, die es den Polizisten ermöglicht hätte, sich trotz der überlasteten Netze zumindest über Mobiltelefone auszutauschen, stand dem "Spiegel" zufolge auch nur unzureichend zur Verfügung. Bei der Bundesnetzagentur sei nur für einen "verschwindend geringen" Teil der Polizeihandys ein solcher Vorrang angemeldet worden. Die GdP betonte dagegen, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen diesen Problemen und der Tragödie sei nicht belegt.

Sowohl die Staatsanwaltschaft Duisburg als auch das Innenministerium wollten sich gestern auf Anfrage nicht zu den Berichten und Vorwürfen äußern. Dem Abendblatt sagte ein Sprecher der Innenbehörde, dass man zu laufenden Ermittlungsverfahren keine Auskunft geben werde.

Im Fokus der Staatsanwaltschaft stehen 16 Personen. Die Beschuldigten waren aufseiten der Stadt Duisburg, des Veranstalters Lopavent sowie der Polizei an den Planungen und der Durchführung der Loveparade beteiligt. Es wird wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung ermittelt. Ob und wann es zum Prozess kommt, ist noch offen.