Ein “kleines Hawaii“ mitten in der Millionenstadt München: Der Eisbach lockt Surfer aus aller Welt an. Jetzt kommt ein Film darüber ins Kino.

München. Die Welle steht mitten in München, im Englischen Garten, gleich neben der Schickimicki-Disco P1. In einer Millionenstadt, Hunderte Kilometer vom nächsten Meer entfernt. Das Wasser rauscht unter einer Brücke hindurch auf Betonpfeiler, die ins Flussbett eingelassen wurden und wie ein Riff das Wasser auftürmen, meterhoch. "München ist berühmt für Bier, Würste und Surfen." So steht es im "Lonely Planet", dem internationalen Reiseführer.

Surfen also. Dieter Deventer blickt aufs rauschende Wasser und die jungen Menschen, die an diesem Mai-Nachmittag vergeblich auf der Welle zu reiten versuchen. "Das sind Poser-Surfer, die immer die neuesten Badehosen anhaben", sagt Deventer. Surfer wie er kommen frühmorgens oder bei schlechtem Wetter, wenn nicht Hunderte Touristen oben auf der Brücke stehen. Die wahren Eisbachsurfer könnten stundenlang mit ihrem Brett auf der Welle reiten. Typen wie er packen ihr Surfbrett nicht in den Sportwagen. Sie kommen zu Fuß durch die Großstadt zu ihrer Welle. Mit der Straßenbahn. Oder dem Fahrrad. Das Surfbrett lässig über die Schulter gelegt.

Dieter Deventer, Kameramann und Foto-Künstler, ist einer der Entdecker der Eisbachwelle. An diesem Donnerstag kommt die Welle ins Kino: "Keep Surfing" heißt der Dokumentarfilm. Zehn Jahre lang hat Regisseur Björn Richie Lob, selbst ein Eisbachsurfer, die Münchner Fluss-Surfer begleitet.

Der Film ist nicht nur ein Denkmal für die Stadt München, die neben spießiger Gemütlichkeit auch einen Hang zur Anarchie hat. Sondern auch ein Plädoyer für ausgefallene Lebensentwürfe.

Dieter Deventer hat vor 35 Jahren das Fluss-Surfen entdeckt. Er stellte sich auf ein Holzbrett, machte es mit einem Seil an einem Baum fest. Das ganze funktionierte wie Wasserskifahren. "Irgendwann hing das Seil durch, und ich merkte, dass ich vom Wasser nicht weggezogen wurde", sagt Deventer. Seitdem surft Deventer. Und er entdeckte, dass es noch andere Anarchisten gab. Walter Strasser zum Beispiel, den alle nur den "Hausmeister der Eisbachwelle" nennen. Strasser war arbeitslos.

Er sah, dass die Welle bei zu wenig Wasserdruck oft zu flach war zum Surfen. Und er baute riesige Holzplanken am Flussufer ein, die den Bach stauten und so die Welle größer machten. Deventer und Strasser machten eine ganze Weile nichts als Surfen, bis sie völlig pleite waren.

Der Ritt auf der Welle war verboten, die Behörden hatten Angst davor, dass einer der Surfer von der Welle unter Wasser gedrückt und getötet werden könnte. "Es kam schon mal vor, dass Surfer mit Handschellen vom Bach abgeführt wurden", sagt Deventer. Doch mit den Jahren wurden die Behörden milde. Es sei auch nie etwas Ernsthaftes passiert, meint Deventer.

Der Ruhm ihrer Welle war den Surfern der ersten Stunde überhaupt nicht recht. Sie wollten ihre Welle für sich behalten und vertrieben selbst den neunmaligen Weltmeister im Profi-Surfen, Kelly Slater, vom Eisbach.

"Uns geht es darum, die Energie im Wasser zu spüren und eine gute Zeit in der Natur zu haben. Nicht um Show", sagt Dieter Deventer. Der Film zeigt, wie einigen der Eisbach schließlich nicht mehr genug ist und sie bei Hochwasser draußen, auf der offenen Isar, auf ihre Bretter steigen. Die Kamera ist dabei, als ein Polizeihubschrauber die Surfer verfolgt. Einer dieser Verrückten ist Quirin Rohleder. Als einziger Eisbachsurfer hat er seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. "Im Endeffekt hat der Eisbach mein ganzes Leben bestimmt", sagt er.

Einen Erfolg hat der Film schon vor dem Kinostart gebracht: Die Stadt München will das Eisbach-Areal vom Freistaat Bayern erwerben. Und das Surfen legalisieren. Die Verbotsschilder mit dem Totenkopf sind schon weg.