Thomas Frankenfeld stellt unsere Nachbarländer vor, analysiert ihr Verhältnis zu Deutschland und wie sie mit Flüchtlingen umgehen.

Der offizielle Titel dieses ganz besonderen europäischen Staatsoberhauptes lautet: „Seine Königliche Hoheit Henri, Großherzog von Luxemburg, Herzog von Nassau, Prinz von Bourbon-Parma, Graf von Sayn, Königstein, Katzenelnbogen und Diez, Burggraf von Hammerstein, Herr von Mahlberg, Wiesbaden, Idstein, Merenberg, Limburg und Eppstein“.

Man kann den Eindruck bekommen, hier handle es sich um eine Figur aus einer längst vergangenen Zeit oder aus einem „Sissi“-Film – doch dieser Großherzog Henri, der in Genf Politikwissenschaften studierte und dessen Vermögen vom US-Wirtschaftsmagazin Forbes 2006 auf 4,6 Milliarden Dollar geschätzt wurde, ist Staatsoberhaupt und moderner Manager eines kleinen, aber wirtschaftlich potenten Landes. Zumindest formal verfügt er über weitreichende exekutive und legislative Befugnisse; er ernennt und entlässt die Regierung und könnte sogar das Parlament auflösen. Doch im politischen Alltagsgeschäft nimmt der Großherzog fast nur repräsentative Aufgaben wahr; das Regieren überlässt er der Regierung. Deutschlands kleiner Nachbar Luxemburg ist übrigens das einzige verbliebene Großherzogtum auf dem europäischen Kontinent – ein Dutzend davon hat es einmal gegeben.

Der Name Luxemburg stammt vermutlich von Lucilinburhuc, der „Kleinen Burg“, die Graf Siegfried der Ardennen im Jahre 963 als Stammsitz errichtete. Der Londoner Vertrag von 1839, mit dem Luxemburg aus dem Königreich der Niederlande herausgelöst wurde, gilt als Ausgangspunkt für die spätere Unabhängigkeit des modernen Staates. Sie wurde 1890 erreicht, als nach dem Aussterben des niederländischen Königshauses Oranien-Nassau im Mannesstamm in Luxemburg die Verwandten der Linie Nassau-Weilburg auf den Thron gelangen konnten. Diese Krone ist nun erblich in dieser Familie so steht es in der Verfassung.

Das winzige Land – von der Fläche her nur so groß wie das Saarland, von der Einwohnerzahl kleiner als Bremen - stand immer im Schatten der großen Nachbarn Frankreich und Deutschland, hat es aber im Zuge des Europäischen Einigungswerkes geschickt verstanden, eine politische Bedeutung zu erlangen, die seine physische Größe weit übersteigt.

So ist ein kleiner Luxemburger Ort in den vergangenen Monaten europaweit ständig in aller Munde, ohne dass jedem bewusst ist, wo genau er eigentlich liegt: Schengen nämlich. Auf dem Moselschiff MS „Marie-Astrid“ unterzeichneten am 14. Juni 1985 die Vertreter von zunächst fünf EU-Staaten jenes Abkommen, das den Abbau der Personenkontrollen an den Grenzen und freien Warenverkehr vorsieht – ein Meilenstein im europäischen Prozess.

26 Staaten mit fast 420 Millionen Menschen gehören inzwischen dem Schengener Abkommen an. Die Flüchtlingskrise mit dem Schließen vieler Grenzen auf dem Kontinent höhlt dieses Vertragswerk derzeit jedoch aus. Und es war der Luxemburger Außenminister Jean Asselborn, der im Februar warnte, die EU habe keine Linie mehr in Sachen Migration: „Wir steuern irgendwie in eine Anarchie hinein“. Es kursiere bereits die Parole: „Schengen ist tot“. Jean Asselborn warnte vor dem „falschen Nationalismus“ einiger EU-Staaten und einem Auseinanderbrechen der Europäischen Union.

Luxemburgs geografische Position zwischen den beiden mächtigsten EU-Staaten Deutschland und Frankreich – die sich in Sachen Flüchtlingspolitik keineswegs einig sind – hat dem Großherzogtum eine zentrale Funktion innerhalb der EU eingebracht. Das hat sicher auch damit zu tun, dass ein kleines Land weitgehend vor machtpolitischen Eifersüchteleien geschützt ist. Jedenfalls ist Luxemburg neben dem belgischen Brüssel und dem französischen Straßburg einer der drei Arbeitsorte des Europäischen Parlaments. Auch die Europäische Kommission sitzt in Luxemburg (und ebenfalls in Brüssel). Ihr einflussreicher Präsident ist seit 2014 der frühere Premierminister von Luxemburg, Jean-Claude Juncker, seit Langem eine zentrale Figur der europäischen Politik, ohne die in der EU wenig geht.

Ferner sitzen im Großherzogtum der Gerichtshof der EU, der Europäische Rechnungshof und die Europäische Investitionsbank. Luxemburg , das als erster Staat den Vertrag von Maastricht ratifizierte, eignet sich schon deshalb gut als Sitz für EU-Institutionen, weil praktisch alle Luxemburger die wichtigen europäischen Sprachen Französisch und Deutsch beherrschen – es sind in Luxemburg die Amtssprachen. Dritte Amts- und zugleich Landessprache indes ist Letzebuergisch, das 1984 sogar zur Nationalsprache erhoben wurde. Es ist eine alte Variante des moselfränkischen Deutsch, das seit der napoleonischen Zeit allerdings viele französische Wörter enthält. In der EU ist es eine Minderheitensprache, aber keine Amtssprache.

Im Hörfunk und im Fernsehen in Luxemburg ist Letzebuergisch allerdings die meist verwendete Sprachform – und ein wichtiger Teil der luxemburgischen Identität. Wohl aus diesem Grund hatte NS-Gauleiter Gustav Simon in der Zeit der deutschen Besatzung Luxemburgs (1940-44) im Zweiten Weltkrieg versucht, französische Ausdrücke ganz aus der Sprache zu eliminieren und im offiziellen Gebrauch nur noch das Deutsche, nicht aber das Letzebuergische zuzulassen. Denn die Luxemburger, deren Land im August 1942 kurzerhand von den Nazis annektiert wurde, sollten auch sprachlich „Teil des deutschen Volkskörpers“ werden. Wie im Fall Belgiens hatten die Deutschen auch in Luxemburg die vertraglich zugesicherte Neutralität des angegriffenen Landes verletzt.

Die umfangreiche Kollaboration zahlreicher Luxemburger bei der Judenverfolgung während der deutschen Besatzung ist im Großherzogtum nie wirklich aufgearbeitet worden. Auch gab es keinerlei Entschädigungen für die damals vorgenommenen Enteignungen jüdischen Besitztums. Als historische Lehre aus der deutschen Besetzung sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg gab Luxemburg 1948 seine Zurückhaltung in Sachen militärischer Bewaffnung und auch seine im zweiten Londoner Vertrag von 1867 festgeschriebene Neutralität auf: Heute ist das Land Nato-Mitglied und stellt 1000 Soldaten.

Die Sprache Letzebuergisch oder Luxemburgisch wird von den örtlichen modernen Medien heute stark gefördert – sodass auch Jugendliche vermehrt dieses Idiom bei ihrer Kommunikation via SMS oder WhatsApp benutzen. Wörter wie „moien“ (guten Morgen), „nee“ (Nein) oder „jo“ (Ja) klingen in norddeutschen Ohren äußerst vertraut. Die gedrechselte Formulierung „wann ech gelift“ für „bitte“ eher weniger. Das trotzig klingende „mir wëlle bleiwen wat mir sin“ – wir wollen bleiben, was wir sind – aus einem populären Lied von 1859 entlehnt – ist so etwas wie der inoffizielle Wahlspruch Luxemburgs geworden.

Der Wohlstand des kleinen Landes weckt Begehrlichkeiten

Und sicher möchte man auch so wohlhabend bleiben, wie man ist. Die Staatsverschuldung Luxemburgs beträgt nur 18,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – eine der niedrigsten in ganz Europa. Luxemburg ist hinsichtlich des Pro-Kopf-Einkommens seiner Bürger das reichste Land der EU. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf gerechnet betrug 2015 fast 103.000 US-Dollar – das ebenfalls nicht gerade arme Deutschland schaffte nur 47.400 Dollar. Natürlich hinkt dieser statistische Vergleich sozialpolitisch auf beiden Beinen: Der halben Million Luxemburger stehen immerhin 81 Millionen Deutsche gegenüber. Und doch weckt der Wohlstand des kleinen Großherzogtums auch in der europäischen Flüchtlingskrise Begehrlichkeiten.

„Es kann nicht sein, dass das reiche Luxemburg nur 400 Flüchtlinge aufnimmt, der Landkreis Trier-Saarburg aber jetzt schon 800 aufgenommen hat“, entrüstete sich dessen Landrat Günther Schartz im November 2015 auf seiner Facebook-Seite. Schartz nannte es „reine Symbolpolitik“, dass der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn „mit großem Presserummel ein paar Flüchtlinge aus Griechenland abgeholt“ habe. Luxemburg hatte als erstes EU-Land 30 der zur Verteilung vorgesehenen 160.000 Flüchtlinge aufgenommen. (Bis heute konnte dieser an der Gesamtzahl der Flüchtlinge ohnehin nicht sehr ehrgeiziger Verteilungsplan in Europa nicht umgesetzt werden.)

Schartz rechnete vor, dass in Trier allein 6000 Flüchtlinge untergekommen seien – für Luxemburg seien daher 3000 allemal zumutbar. „Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident und (Luxemburgs) Premier Yavier Bettel müssten jetzt mal was in den Topf legen und beispielsweise erklären, dass Luxemburg ab sofort 2000 bis 3000 Flüchtlinge aufnimmt“, forderte Schartz.

Im vergangenen Monat legte Jean Asselborn die neuesten Luxemburger Zahlen zur Immigration vor. Danach wurden 2015 insgesamt 2447 Asylanträge eingereicht. Zum Vergleich: Im Jahre 2014 waren es noch 1091 gewesen. 37 Prozent kamen aus Syrien, 22 Prozent aus dem Irak, 9,8 Prozent aus dem Kosovo und rund neun Prozent aus Afghanistan. Es sind also vor allem Muslime, die nach Luxemburg kommen. Die Religionszugehörigkeit der Luxemburger darf laut Datenschutzgesetz vom Staat nicht erhoben werden, sie fällt – wie philosophische Überzeugen und Weltanschauungen auch – unter die sensiblen Datenarten.

Eine wissenschaftliche Studie kam 2011 aber zu den Ergebnis, dass 68,7 Prozent der Luxemburger katholisch seien. 3,7 Prozent sind demnach evangelisch. Ein Viertel der Luxemburger bezeichnet sich als konfessionsfrei; und Juden und Muslime kamen im Jahre 2011 zusammen auf 2,6 Prozent.

Mit den Muslimen schloss der Staat eine Konvention ab, wie sie auch bezüglich der anderen Religionsgemeinschaften bereits besteht. Im vergangenen Jahr kamen der Staat und die Religionsgemeinschaften in einem Vertrag im Zuge einer Verfassungsreform schließlich überein, dass der bisherige katholische Religionsunterricht künftig durch einen einheitlichen „Werteunterricht“ zu ersetzen sei. Im Jahre 2012 hatten sich 67 Prozent der Luxemburger für eine klare Trennung von Staat und Kirche ausgesprochen.

Die Zahl der Asylbewerber ist aktuell deutlich zurückgegangen

Im Dezember 2015 hatte das Parlament mehrheitlich für eine Reform des Asylgesetzes gestimmt. Asylbewerber sollen nun schneller Zugang zum Arbeitsmarkt erhalten. Und wenn das zuständige Außenministerium nicht innerhalb von sechs Monaten über ihren Asylantrag entschieden hat, können sie eine temporäre Arbeitserlaubnis beantragen. Doch sobald ein Asylantrag abgelehnt wird, erlischt auch die Arbeitserlaubnis. Aktuell ist die Zahl der Asylbewerber deutlich zurückgegangen: Im Februar waren es nur noch 245 Menschen – halb so viel wie noch im Januar. Wie die Zeitung „Luxemburger Wort“ schrieb, bekamen 57 Migranten den Flüchtlingsstatus zuerkannt.