In München gibt es einen in Deutschland einzigartigen Ort. Das Maximilianeum, hier leben und lernen hochbegabte Studenten zusammen.

Die Intelligenz ist ein Geschenk des Teufels. Dostojewski hat das einst gesagt. Was das Geschenk Gottes ist, verschwieg der findige Russe allerdings. Doch in einer Gesellschaft, in der nur zwei Währungen zählen: ein heller Geist oder ein schönes Gesicht, ist mit Intelligenz schon einiges gewonnen - sie vergeht nicht so schnell. Doch zu viel davon kann ein Leben in eben dieser Gesellschaft fast unmöglich machen. Superhirne werden schnell zu Sonderlingen - doch es gibt einen Ort, an dem sie ganz unter sich sind: im Maximilianeum in München.

Als Landtag, in dem die CSU die Geschicke Bayerns lenkt, ist der Renaissancebau über den Weißwurstäquator hinaus bekannt. Was kaum jemand weiß: Wenn die 187 Abgeordneten das Gebäude verlassen, bleiben 50 Hochbegabte zurück. Es sind die Stipendiaten der Stiftung Maximilianeum - Bayerns Bildungselite. Die Hoffnung für alles, was nach der Krise kommt. Sie wohnen und lernen in der Max-Planck-Straße 1 - der besten Adresse Münchens. Es ist die WG der Superhirne und die einzige Einrichtung ihrer Art in Deutschland. Und jedes Jahr kommen nicht mehr als zehn neue Bewohner hinzu. Ein Hausbesuch bei den Günstlingen des Teufels.

Schwerfällig schiebt sich der Zeiger der Wanduhr auf den nächsten Minutenstrich. Josefin Mühlbauer reibt sich die müden Augen. Es ist Zeit fürs Bett, denkt sie. Eben noch schnell etwas für BWL machen und, ach, für den Spanischkurs wollte sie doch noch Vokabeln lernen, aber irgendwie ist heute die Luft raus. Josefin ist 20 Jahre alt, aufgewachsen in Neumarkt in der Oberpfalz, 40 000 Einwohner, ziemlich mittig in Bayern. Vor vier Monaten ist sie hier eingezogen, ins Maximilianeum, ziemlich mittig in München.

Drei Schritte breit, vier lang - ein Leben auf zwölf Quadratmetern. Das ist ihr Reich und es reicht ihr. Hinter der Eingangstür mit der Nummer 26 hängt ein kleines Waschbecken und am Ende des Raumes steht ein Holzschreibtisch. Im Wandregal liegen einige Romane, zwei Werke über Wirtschaft in Schwellenländern und ein Brettspiel, "Spitz pass auf". Unter der Bettdecke mit dem Blumenmuster blickt ein braunes Kuscheltier hervor. Es riecht nach frisch gewaschener Wäsche und süßem Parfüm. An der Wand lehnen zwei Bilder. Irgendwann sollen sie hängen. "Ich bin noch am Einrichten", sagt sie und lächelt. Doch zum Einrichten blieb bisher kaum Zeit. Spanischkurs, Uni-Kram, Tanzunterricht und Klavierstunden - der Tag hat eben nur eine begrenzte Zahl an Stunden. Wofür sie das alles macht, weiß sie genau: Irgendwann möchte sie die Armut bekämpfen. Irgendwo in der Dritten Welt, durch die Vergabe von Mikrokrediten. Irgendwann.

Dass es überhaupt so weit kommen kann, ist nicht selbstverständlich. Hochbegabte haben es weniger leicht, als man denken mag. Schätzungen gehen davon aus, dass gerade einmal 20 Prozent der Hochbegabten in diesem Land überhaupt erkannt und gefördert werden, und dabei kommt auf vier Jungs nur ein Mädchen. Das liegt nicht etwa daran, dass Männer cleverer sind, sie reagieren nur anders. Während Jungs aufgrund von Unterforderung rebellisch werden, ziehen sich Mädchen zurück, reagieren sogar mit Anorexie oder Bulimie auf ein Umfeld, das sie nicht versteht. Schnell wird aus einem hochbegabten Kind ein schwer erziehbares. Ein Extrembeispiel ist der Kaufhaus-Erpresser Arno Funke, der als "Dagobert" die Polizei wochenlang beschäftigte. Interessant: Funke war Schüler der Rütli-Schule in Berlin, und blieb zweimal sitzen. Nach der Festnahme stellten die Beamten einen Intelligenzquotienten von 145 fest. Ein beeindruckender Wert. Die bundesdeutsche Intelligenz liegt irgendwo bei 100. Wer drüber ist, erhebt sich über den Durchschnitt. Einen Wert von 130 erreichen nur noch zwei Prozent der Bevölkerung - die Hochbegabten.

Ein Intelligenztest oder gar ein hoher IQ ist keine Voraussetzung für die Aufnahme am Maximilianeum. "Solch ein Test ist ja auch total schwachsinnig. Wir können Intelligenz kaum beschreiben, sie nun messen zu wollen, ist größenwahnsinnig", sagt Josefin. So halten es auch viele ihrer Kommilitonen. Nur etwa ein Drittel hat je einen Test gemacht.

All das war König Maximilian II. unwichtig, als er im Jahr 1852 die Stiftung gründete. Er suchte lediglich männliche Staatsdiener und wollte hochbegabten Abiturienten ein sorgenfreies Studium ermöglichen, um sie langfristig zu binden. Grundvoraussetzung: ein Abitur mit einem Notendurchschnitt von 1,0. Und das ist heute noch so. Als Gegenleistung gibt es freie Kost und Logis für die Dauer des Studiums - das war seine Vision. Bei den derzeitigen Mietpreisen in der Isar-Metropole ein weitsichtiger Plan. Bis heute gehört das Gebäude auf dem Berg der Stiftung. Der Bayerische Landtag hat einen Teil gepachtet.

Etwa 650 Euro kostet ein Student die Stiftung monatlich. Bei acht Semestern Regelstudienzeit für einen Juristen, schlägt dieser also mit 31 200 Euro zu Buche.

In dem Gebäude lebt Geschichte - in jeder Ritze, in jeder Holzdiele. So schritten durch die Bibliothek im zweiten Stock große Männer mit großen Namen und großen Gedanken: Werner Heisenberg, er bekam im Jahr 1932 den Physiknobelpreis. Franz Josef Strauß, der charismatische Bundesminister für Verteidigung und spätere Ministerpräsident Bayerns. Oder der Liedertexter Michael Kunze, dem wir "Ein Bett im Kornfeld" zu verdanken haben. Allesamt Stipendiaten der Stiftung. Bis zu den 1980er-Jahren war es Männern vorbehalten, hier einzuziehen - bis heute gibt es immer noch einen Überschuss. Das Verhältnis derzeit 60 Prozent Männer und 40 Prozent Frauen. Rechtswissenschaften zählen zu dem beliebtesten Fach.

Auch Clara Freißmuth hat sich für Jura entschieden. Um sich geistig frei zu halten, entschied sie sich noch für einen weiteren Studiengang: Philosophie. Ein interessantes Doppel. Wenn sie redet, und sie redet schnell, ist kaum zu merken, wie jung sie ist. Zwei Klassen übersprungen, nun ist sie, da braucht man nur rechnen, 17 Jahre alt . Und damit die jüngste Bewohnerin im Haus. Geboren wurde Clara in München. Etwa 20 Gehminuten von hier wuchs sie im renommierten Stadtteil Schwabing auf. Früh spielte sie auf hohem Niveau Klavier. Die Schule fiel ihr immer "leicht" und hat ihr "auch echt Spaß gemacht". Aber eigentlich ist sie auch schon früher viel lieber "kicken" gegangen. Sie versucht sich Hobbys wie Fußball und Taekwondo trotz Uni-Stresses zu erhalten: "Mit irgendetwas muss ich mich ja ablenken", sagt sie und lacht.

In der Uni verschweigt Clara, dass sie in der Maximilianeum-Stiftung lebt. Aus Angst vor Neid der Kommilitonen. Eine Emotion, die Hochbegabten häufig entgegengebracht wird. Wer hochbegabt ist, ist anders, und wer anders ist, wird schnell zum Außenseiter. Besonders in der frühen Jugend, in der das Selbstbewusstsein noch nicht ausgeprägt ist, haben Hochbegabte schwer um Freundschaften zu kämpfen. Eine schmerzvolle Erfahrung, mit der Clara zum Glück nicht zu kämpfen hatte.

Der Erziehungswissenschaftler Martin Textor, Mitbegründer des privaten Instituts für Pädagogik und Zukunftsforschung, kennt das Problem: "Es gibt Kinder, die sehr unter ihrer Begabung leiden und als Streber und Besserwisser verspottet werden. Einige verstecken sogar ihre Begabung. Mathematisch oder technisch begabte Mädchen sehen sehr schnell, dass ihr Talent nicht der Geschlechterrollenerwartung entspricht."

Selbst wenn Clara heute von einem Kommilitonen gefragt wird, wo sie denn wohne, antwortet sie: "In einem Studentenwohnheim." Und die Leute nehmen es hin. "Es ist ja auch ein schönes Gefühl, dass ich eben nicht so aussehe wie ein strebsames Mäuschen", sagt sie und lächelt selbstbewusst.

200 Abiturienten bewerben sich jedes Jahr für einen der raren Plätze - ein ausgezeichnetes Abitur reicht dabei allein nicht aus. Zwei weitere Prüfungen, eine schriftliche und eine mündliche, stehen noch vor dem Einzug. Erst wer diese erfolgreich meistert, darf mit Sack und Pack kommen und die Sorgen darüber, wie man ein Studium finanziert und organisiert, getrost an der großen, grauen Stahlpforte abgeben.

Denn grundsätzlich gilt: Jedem Bewohner stehen ein Internet- und Telefonanschluss, das Musikzimmer, der Fitness- und Fernsehraum und der Partykeller zur Verfügung. Und in den Zimmern der Stipendiaten "sieht das Putzpersonal regelmäßig nach dem Rechten", so steht es geschrieben. Wer sich nun aber eine Luxusherberge für Superhirne vorstellt, hat ein falsches Bild im Kopf. Dem Teppich, den Dielen, den Tischen, den Büchern, den Stühlen, der Farbe an den Wänden, allem hier haftet der Charme der Jahrzehnte an.

"Es sind eben andere Werte, die hier eine Rolle spielen", sagt Hanspeter Beißer. 53 Jahre alt, Brillenträger. Er ist ein Mann von unauffälliger Statur und mit vollem Haar. Die einzige Auffälligkeit: Er ist bemerkenswert freundlich. Man hat den Eindruck, er würde sich durch seine Körpersprache ständig dafür entschuldigen, das Wort ergriffen zu haben. Dabei hat das Vorstandsmitglied der Stiftung kaum einen Grund, leisezutreten. Er war selbst Stipendiat hier, dann wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Max-Planck-Institut, anschließend arbeitete er beim Bayerischen Staatsministerium der Finanzen. "Entscheidend ist die Gemeinschaft unter Gleichgesinnten. Viele erfahren erst hier, dass sie mit ihrer Begabung nicht allein sind. Sie treffen auf andere, die ebenbürtig sind und mit denen sie sich messen können."

Leistung scheint Leistung zu fördern. Vor allem aber brauchen sich die Studenten wegen ihrer Begabung nicht zu verstecken. Und trotz dieser Druck-Druck-Verteilung finden sich viele zu Arbeitsgruppen zusammen und jeder versucht, dem anderen zu helfen. Neid gibt es genug vor der Tür.

Eine elementare Maßnahme, um die Gemeinschaft zu fördern, ist das gemeinsame Mittagessen. Fast alle treffen sich pünktlich zur Nahrungsaufnahme - es ist ein ungeschriebenes Gesetz. Besonders der Sonntag ist ein wichtiger Tag. Um zwölf Uhr ist der Tisch gedeckt. Heute gibt es Schnitzel mit Kartoffelsalat. "Hier wird wirklich anständig gekocht", sagt Isabella Krämer und schlägt die Stoffserviette über ihren Knien auf. In der Ecke sind ihre Initialen eingestickt: "I.K." Jeder Bewohner hat hier seine eigene Serviette. Es gibt dem ganzen Ritual eine offensichtliche Wichtigkeit.

Isabella Krämer hat ihre dunkelbraunen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie ist ein stilles Mädchen. Zurückhaltend. Geboren in Tübingen und aufgewachsen in Regensburg. Sie ist 18 Jahre alt und im Oktober 2009 hier eingezogen: mit zwei Koffern und einem Umzugskarton. Ihr liebstes Stück ist ein digitaler Bilderrahmen, in dem Fotos von ihren Eltern und Freunden in einer Endlosschleife durchlaufen. Es erinnert sie an zu Hause.

Isabella hat sich für den Studiengang Physik entschieden, irgendwann möchte sie forschen. Vielleicht an der Uni. Schon früh erkannte sie logische Zusammenhänge. Mit vier Jahren begann sie, die Löcher im Lüftungsgitter des Kellerfensters zu zählen und zu multiplizieren. Eine Geschichte, die ihre Mutter heute noch gern auf Familienfesten zum Besten gibt. Im Kindesalter programmierte sie den Videorekorder und in der Vorschule konnte sie bereits komplexe Formeln bearbeiten.

Man muss die Kinder nur lassen. "Es ist wichtig, dass die Eltern ein positives Umfeld für hochbegabte Kinder schaffen", sagt Martin Textor.

Denn es ist nicht unüblich, das ein hochbegabter Sechsjähriger den Mathematikstoff von Zwölfjährigen bewältigt, aber emotional auf dem Stand eines Vierjährigen ist. Diese Asynchronität bringt für das Kind wie das Umfeld schwerwiegende Probleme mit sich. Unverständnis ist dabei noch das Kleinste. "Nur wenn diese Gabe schnell diagnostiziert wird, kann sich das Kind entwickeln. Sonst denkt es: Mit mir stimmt etwas nicht", sagt Textor.

Gezwungen wurde Isabella zu schulischen Höchstleistungen nie, sagt sie. Vielleicht ein wenig geschoben. Und so geht sie auch mit dem Druck und dem "Sich-Messen" um. "Am Anfang hatte ich Schwierigkeiten, mich daran zu gewöhnen, dass meine Mitbewohner hier über manche Themen viel besser Bescheid wissen als ich. Aber den Druck macht man sich dann nur selber", sagt Isabella und nickt nachdenklich. Um diesen Druck ein Ventil zu geben, hat sie sich bewusst gemacht, wo ihre Schwächen liegen. "Ich kann nicht einmal Strichmännchen malen und lasse es deshalb." Josefin Mühlbauer kann "bei aller Liebe nicht einparken". Und Clara Freißmuth lässt "sich gerne mal vom Lernen ablenken". Und vielleicht machen solche Erkenntnisse den Bewohnern das Leben hinter diesen Mauern einfacher: Intelligenz ist eben berechenbar. Dummheit nicht.