Paris. Der Hamburger Tennisprofi Alexander Zverev gewinnt die Paris-Generalprobe in Genf – Kerber schon ausgeschieden.

Vielleicht war es ganz gut, dass Alexander Zverev nicht mehr viel Zeit zum Nachdenken hatte. Am vorletzten Freitagabend, als ihn ein gewisser Rainer Schüttler anrief und fragte, ob er nicht mit einer Wildcard beim Turnier in Genf starten wolle. Schüttler ist der Chef des Wettbewerbs dort, er witterte eine Win-win-Situation. Zverev wäre eine personelle Attraktion für das Teilnehmerfeld, aber das Turnier wäre auch für Zverev eine letzte Chance, noch ein bisschen Selbstbewusstsein für die French Open zu sammeln, nachdem die Sandplatz­saison für den Hamburger alles andere als optimal begonnen hatte.

Zverev entschied „aus dem Bauch heraus“, sich ins Flugzeug zu setzen und sein Glück zu versuchen. Tatsächlich kam er nicht nur, er sah und siegte auch noch. Es war sein elfter Turniersieg auf der Profi-Welttour. Und er dankte dem Last-minute-Gesprächspartner Schüttler nach dem Pokalcoup für dessen Mithilfe: „Danke, dass du angerufen hast. Auch wenn es ein bisschen spät war“, sagte der 22 Jahre alte Weltranglistenfünfte, „zum Glück habe ich Ja gesagt.“

Erschöpft und glücklich

Zverev musste hart kämpfen für seinen ersten Saisontitel. Über die ganze Turnierwoche, aber erst recht noch einmal in einem dramatischen, auch kurios verlaufenden Endspiel. Zverev startete mit Selbstbewusstsein und großer Power gegen den Chilenen Nicolas Jarry (23), er holte sich den ersten Satz schnell, aber dann kamen der große Regen und zähe Zwangspausen. Dadurch verlor Zverev Konzentration und Überlegenheit, Satz zwei ging schließlich an Jarry. Im Tiebreak des dritten Satzes schließlich lag Zverev mit 4:0 in Führung, dann mit 6:3, er hatte drei Matchbälle hintereinander, verlor sie aber allesamt und musste zwei Siegpunkte des Chilenen abwehren, bevor er selbst mit 6:3, 3:6 und 7:6 (10:8) über die Ziellinie ging. Ziemlich erschöpft, aber auch ziemlich glücklich.

„Ich gehe jetzt mit größerer Zuversicht nach Paris“, sagte Zverev, „wenn ich meinen Rhythmus finde, kann ich einer der besten Spieler der Welt sein.“ Siege sind eben Siege. Das gilt umso mehr, wenn einer Wochen hinter sich hat wie Zverev. Wochen, in denen alles Mögliche schiefläuft, in denen sich eine Krise auf und neben dem Platz immer weiter verschärft, die Zweifel heftig wachsen und „kaum noch was zusammenläuft“. Beim Mastersturnier in Rom war Mitte Mai der Tiefpunkt für den ATP-Weltmeister erreicht, aus der „Ewigen Stadt“ verabschiedete er sich mit einer Auftaktniederlage in Runde zwei und dem Kommentar, er habe jetzt erst mal „keine Lust mehr, Tennis zu spielen“. Zverev trainierte dennoch in Monte Carlo weiter, er wäre früh zu Übungseinheiten nach Paris aufgebrochen, wenn nicht Schüttler angerufen hätte.

Unberechenbarer Wettkämpfer

Im vergangenen Jahr kam Zverev nicht als Geheimfavorit, sondern als Mitfavorit nach Paris. Er war der zweitbeste Sandplatzspieler bei den Turnieren vor den French Open gewesen, er hatte sich zum ernsthaften Nadal-Herausforderer aufgeschwungen. Zu dumm nur, dass er in den frühen Runden stets über die volle Distanz ging und im Viertelfinale am späteren Endspielteilnehmer Dominic Thiem (Österreich) scheiterte. Nun schlägt Zverev, der in Runde eins den Australier John Millman zugelost bekam, unterm Eiffelturm als „Dark Horse“ auf, als unberechenbarer Wettkämpfer, dem sowohl im Guten wie im Schlechten alles zuzutrauen ist. Schnelles Aus, Einstellung des besten Grand-Slam-Ergebnisses aus dem Vorjahr, vielleicht sogar noch mehr Glanz und Gloria? Nichts ist unmöglich für Zverev in Paris, gerade in diesem seltsamen, verrückten Tennisjahr 2019. Sein erstes Match ist für Dienstag (Eurosport live) angesetzt

Nicht mehr möglich ist der Titelgewinn in Paris für Wimbledonsiegerin Angelique Kerber. Nach ihrer Zwangspause wegen einer Knöchelverletzung musste sich die Weltranglistenfünfte aus Kiel zum Auftakt der 18 Jahre alten Russin Anastassija Potapowa, Nummer 81 der Welt, 4:6, 2:6 geschlagen geben. „Angie ist noch nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte“, analysierte die Damenchefin im Deutschen Tennis Bund, Barbara Rittner, machte bei Kerber „Verunsicherung durch mangelnde Matchpraxis“ aus. Nur drei Spiele hatte die 31-Jährige vor dem zweiten Grand-Slam-Turnier des Jahres auf Sand bestritten. Die fehlende Sicherheit auf dem ungeliebten Belag Sand war Kerber anzumerken. Im ersten Durchgang schaffte es die deutsche Nummer eins noch, dem aggressiven Spielstil der French-Open-Debütantin etwas entgegenzusetzen. Doch insgesamt agierte Kerber zu passiv, schied zum fünften Mal in der ersten Runde aus. „Ich bin super enttäuscht, hatte gehofft, dass ich ein bisschen besser spiele“, sagte sie.