Leverkusen. Beim Titelverteidiger läuft im Vorfeld der WM wenig zusammen. ARD-Experte Hitzlsperger: “Der Eindruck war zuletzt erschreckend“.

Vergnügungssteuerpflichtig war der Auftritt der deutschen Nationalmannschaft wahrlich nicht. Das Ergebnis? Okay! 2:1 gegen frech aufspielende Profis aus Saudi-Arabien. Gewonnen ist gewonnen, aber die Art und Weise, wie die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw auftrat, gab Anlass zur Sorge. Wenig Automatismen, pomadiges Umschaltspiel und ein Defensivverhalten, welches Teams bei der Weltmeisterschaft, die am Donnerstag in Russland beginnt, knallhart bestrafen werden. Also Alarmstufe Rot beim DFB? Mit Nichten!

„Wir sind eine Turniermannschaft. Wir haben noch eine Woche Zeit und werden gut vorbereitet sein. Da braucht sich Deutschland keine Sorgen machen“, sagte Mittelfeldspieler Marco Reus fast schon trotzig.

Auch Löw selbst ruhte zumindest öffentlich in sich. Der 58-Jährige ließ sich nicht locken, wollte die holprige Vorbereitung mit der Niederlage gegen Österreich (1:2) und dem mauen 2:1-Sieg gegen den Weltranglisten-67. Saudi-Arabien nicht überbewerten. „Sorgen mache ich mir keine, weil ich weiß, dass wir uns weiterhin steigern. Wenn es losgeht, werden wir da sein“, versprach Löw.

Khedira findet deutliche Worte zur WM-Vorbereitung

Deutlichere Worte fand Führungsspieler Sami Khedira. Der Profi von Juventus Turin wollte die insgesamt schwache Leistung, in der Vorbereitung nicht kleinreden. Im Gegenteil: Der Mittelfeldspieler legte den Finger bereits unmittelbar nach Abpfiff in die Wunde.

„Je näher es Richtung WM geht, desto mehr zählt die Leistung. Und die war wie gegen Österreich: In der ersten Halbzeit haben wir gut gespielt, in der zweiten Hälfte haben wir so gut wie alles vermissen lassen. Wir hatten zu viele Fehlpässe, so wird es schwer“, kritisierte Khedira und legte nach: „Es geht auch jetzt um Ergebnisse. Wir haben pflichtbewusste Spieler, die wissen, worauf es ankommt. In der ersten Halbzeit haben wir es gut gemacht, ich weiß nicht, warum wir in der zweiten Halbzeit damit aufhören. Wir müssen uns jetzt erholen und ab Dienstag konzentriert vorbereiten und Details abstimmen.“

ARD-Experte Hitzlsperger kritisiert DFB-Team scharf

Fakt ist: Die 90 Minuten von Leverkusen, die 8,2 Millionen Menschen vor dem Fernseher verfolgten, haben wenig Vorfreude auf das WM-Turnier gemacht. Die Nationalmannschaft hat mit ihrer Spielweise dafür gesorgt, dass die Euphorie rund um die Titelverteidigung einen herben Dämpfer erhalten hat. „Das Spiel war ein Stimmungskiller. Die Vorbereitung war schwach, auch die Ergebnisse waren schwach. Es liegt nicht an Nuancen, sondern am Grundlegenden. Die meisten Spieler sind in der Lage, bei der WM den Schalter umzulegen. Ich bin nicht besorgt, aber der Eindruck zuletzt war erschreckend“, sagte ARD-Experte Thomas Hitzlsperger.

Acht Tage vor dem ersten WM-Spiel in Moskau gegen Mexiko hat die Nationalmannschaft noch ungewöhnlich viele Baustellen. Auf, aber auch neben dem Platz. Allen voran die Pfiffe gegen Ilkay Gündogan und Mesut Özil beschäftigen die Verantwortlichen. Bundestrainer Löw und Teammanager Oliver Bierhoff versuchen mit allen Mitteln Druck vom Kessel zu nehmen.

Doch die Pfiffe gegen Gündogan am Freitag in Leverkusen offenbarten, dass das Thema „Foto mit Erdogan“ längst noch nicht beendet ist. Daran haben auch die Verantwortlichen mit ihrem unglücklichen Krisenmanagement ihren Anteil. „Eine Mannschaft lebt davon, dass jeder Spieler unterstützt wird. Wenn ein Nationalspieler so ausgepfiffen wird, von der Einwechslung über alle Aktionen bis zum Ende, gefällt mir das nicht. Ich kann es auch schwer nachvollziehen, dass es so ist“ prangerte Löw die Pfiffe gegen den Mittelfeldspieler von Manchester City an.

Pfiffe gegen Gündogan und Özil können zur Belastung werden

Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die Missfallensbekundungen auch durch das Turnier in Russland ziehen und so auch zur Belastung für die gesamte Mannschaft werden. „Ich weiß nicht, welche Reaktionen es in Russland gibt. Natürlich hat es die Spieler in den letzten Wochen beschäftigt. Gerade bei Ilkay hat man das gemerkt. Ich denke, er ist heute da mal durchgegangen und hat sich dem gestellt. Ich habe ihn in der Kabine gesehen, da war er geknickt“, erklärte Löw.

Am Sonnabend hat Gündogan sich in einem emotionalen Tweet zu den Pfiffen geäußert und seine Vorfreude auf die WM ausgedrückt. " Er sei "immer noch dankbar, für dieses Land zu spielen", twitterte der Profi von Manchester City.Dazu stellte Gündogan ein Foto, das ihn am Freitagabend nach dem Spiel im Kreise seiner Kollegen auf der kleinen Ehrenrunde zeigt.