Curslack . Seit 16 Jahren trainiert Torsten Henke Curslack-Neuengamme. In dieser Zeit hat er den Oberligisten entschieden vorangebracht.

Am Sonnabend um 16.48 Uhr wirkte Torsten Henke für einige Sekunden, als habe er aus einem Jungbrunnen getrunken. „Jaaaa!“, rief der 50-Jährige dreimal ekstatisch aus und hüpfte mit hocherhobenen Armen, seiner Lieblingsjubelgeste, über den Kunstrasen am Curslacker Gramkowweg. Der Hamburger Oberligist SV Curslack-Neuengamme (SVCN) hatte soeben den Niendorfer TSV verdient mit 2:1 bezwungen. Der 242. Sieg (bei 110 Remis und 135 Niederlagen) in der 487. Partie unter Henkes Regie als Trainer an der Seitenlinie vergrößerte den beruhigenden Puffer des SVCN auf die Abstiegszone auf zehn Zähler.

Der wertvolle Dreier war die Fortsetzung einer langen Abschiedstour, die in der Vorwoche mit einem 3:1 zum Rückrundenauftakt beim FC Süderelbe begann. Mit hoher Wahrscheinlichkeit tritt der Trainer-Dauerbrenner im Sommer 2018 zurück, erhält eine andere Funktion im Verein. Den Job an der Bande soll sein Ex-Spieler und Co-Trainer Matthias Wulff übernehmen. Manager Oliver Schubert stuft die Entscheidung als „definitiv“ ein, Henke selbst sagt, dies sei „der Plan“, endgültig entschieden „werde im Herbst“.

Hamburgs neuer Otto Rehhagel

„Ich bin Hamburgs Otto Rehhagel“, sagte einst Eugen Igel, Trainer-Legende im Hamburger Amateurfußball, von sich. Diesen Titel kann mittlerweile Henke für sich beanspruchen. Er prägte den SV Curslack-Neuengamme wie kaum eine zweite Figur in der Vereinsgeschichte. 1972 trat er als Fünfjähriger dem Club bei. Er spielte bis 1999 fast durchgehend beim SVCN, nur unterbrochen durch ein Intermezzo 1988 in Reinbek, als er sich eine böse Infektion des linken Knies einfing und nicht klar war, ob er je wieder würde richtig gehen können. Co-Trainer ab 1999 unter Andreas Hammer, Trainer seit 2002.

Henke bei der Taktikbesprechung
Henke bei der Taktikbesprechung © HA | Roland Magunia

Aktuell befindet sich der Familienmensch, passionierte Hobbyläufer und Angler in seiner 15. Saison als Chefcoach der „Blauen“, wie die Kicker am Deich liebevoll genannt werden. In seine Ära fallen der Aufstieg in die Landesliga 2003, der Aufstieg in die Oberliga Hamburg 2006 und das Etablieren des Vereins als feste Größe in der höchsten Hamburger Spielklasse. „Als ich hier als Trainer anfing, waren wir in unserem Heimatgebiet Bergedorf die gefühlte Nummer 50. Nun sind wir seit einigen Jahren die Nummer eins“, sagt Henke. Sofort fügt er hinzu: „Das ist nicht allein mein Werk. Viele Menschen wie unser früherer Manager Ferdi Clausen, der nun ausscheidende Präsident Michael Hering oder Sponsoren wie Hermann Stahlbuhk haben einen riesigen Anteil daran.“

Henke hat große Verdienste

Ein typischer Henke! Er stellt seine Person ungern in den Vordergrund. Dass die Trainingseinheiten heute aber nicht mehr auf einem Grandplatz mit 30 Metern Bande stattfinden, sondern auf einer Anlage mit Kunstrasenplatz, imposanter Tribüne mit 270 Plätzen (ab Sommer mit Kabinentrakt und sanitären Anlagen), und Besprechungen samt Pressekonferenzen in einem beeindruckenden Vereinsheim abgehalten werden, ist auch sein Verdienst.

Hat viel bewegt in Curslack-Neuengamme: Torsten Henke
Hat viel bewegt in Curslack-Neuengamme: Torsten Henke © HA | Roland Magunia

„Du kannst ein erstklassiger Theoretiker sein, entscheidend ist die Praxis“, so Henkes Motto. Eine Spielidee war nie Selbstzweck für den Pragmatiker. Vielmehr zog er Spieler mit hoher Qualität, die auf dem Feld (und manchmal auch außerhalb) zwischen Genialität und Wahnsinn schwanken, geradezu magisch an. „Das liegt vielleicht an der langen Leine, die ich den Spielern lasse“, erklärt Henke. Das auffälligste Beispiel ist Marco Theetz. Von 2001-2013 bereicherte „Theetzer“ Curslacks Spiel durch kreative Geistesblitze bei Pässen und Vorlagen, dirigierte clever und abgebrüht das Mittelfeld. Außerhalb des Feldes leistete sich der Mann mit dem kleinen Bäuchlein einige Eskapaden. Henke suspendierte ihn, wenn es gar nicht mehr ging – und integrierte ihn wieder. „Was ich mit Marco erlebt habe, darüber könnte ich ein Buch schreiben“, sagt er. Ähnlich mag es ihm mit den Leistungen von Stürmer Jan Landau gehen. Seit 2012 ist er entweder phänomenal oder ein Totalausfall. „Du brauchst Spieler mit außergewöhnlicher Qualität“, findet Henke. Deshalb hält er ihnen die Treue und Landau findet: „Mein Trainer ist ein cooler Typ. Ich kann nicht meckern.“

„Torsten hat sich nie abgenutzt“

Zusammen mit den Zutaten des hohen Teamgeistes und der Freude, als Außenseiter die Großen ärgern zu können, gelang Henke in Curslack ein Lebenswerk. Der Jahresetat stieg dabei von 20.00o DM auf schätzungsweise 80.000 Euro. „Einmalig ist: In all der Zeit hat sich Torsten nie abgenutzt“, so sein Assistent Wulff. „Würde ich Torsten nachts anrufen, um mit ihm über einen Spieler zu sprechen, er wäre bereit“, beschreibt Manager Oliver Schubert Henkes Ehrgeiz. Welcher in wohltuender Verbindung mit Respekt vor den Mitmenschen steht. Kommentare unter der Gürtellinie sind nicht sein Ding. Selbst in der Saison 2013/2014, als Henkes Art zu führen an seine Grenzen geriet, weil es mit einer Spielerfraktion um Martin Sobczyk und Christopher Mahrt trotz Vizetitel nicht passte, blieb er ruhig – und entschied sich mit Rückendeckung des Vereins für den Umbruch. Seitdem setzen sie in Curslack wieder verstärkt auf die Jugend.

Wie 2008, als Henke Nils Pichinot (später St. Pauli) entdeckte. Im aktuellen Kader zeugen Spieler wie Stjepan Radic und Mike Beldzik vom Jugendstil. Dies soll Henkes Vermächtnis sein. Ein Team, gemischt aus jungen Wilden, erfahrenen Recken und Genies wie Landau. Das in der Oberliga Hamburg punktet und ab und an gemeinsam um die Häuser zieht. „Doch bis ich aufhöre, bin ich mit Feuer dabei.“ Torsten Henke möchte noch einige Jubelstürme erleben.