2011 war Hamburgs beste Hindernisläuferin das neue Gesicht der Leichtathletik. Zwei Jahre später hat sie vor allem gelernt, Rückschläge zu verkraften.

Hamburg. Nein, Jana Sussmann sieht wirklich keinen Grund dafür, warum sie traurig sein sollte. Ihre neue Einzimmerwohnung in Eppendorf gefällt ihr bestens. Der Studienplatz an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, an der sie von Oktober an Medien und Information studieren möchte, ist gerade bestätigt worden. Die Sonne scheint, und vor ihr steht ein saftiger Walnuss-Muffin. Es gibt also nichts zu klagen, und wer die 22-Jährige strahlen sieht, während sie das alles erzählt, der glaubt es ihr aufs Wort.

Überraschend ist es dennoch, denn an diesem Sonnabend startet in Moskau die Leichtathletik-WM, und anstatt in Russlands Hauptstadt über Hürden und Gräben zu springen, muss sich Hamburgs beste Hindernisläuferin damit begnügen, die Wettkämpfe vor dem Fernseher zu verfolgen. Eine Wassereinlagerung im Sitzbein, im Fachjargon Knochenödem genannt, zwang sie Anfang Mai dazu, die Saison 2013 frühzeitig zu beenden. „Es war meine eigene Schuld, denn ich habe eine Gesäßmuskelentzündung so lange verschleppt, bis sie chronisch wurde. Irgendwann waren die Schmerzen so stark, dass ich nicht mehr liegen konnte. Da wusste ich, dass es nicht mehr geht“, sagt sie.

Das Bittere ist, dass die Welttitelkämpfe bereits das zweite Großereignis sind, das Sussmann in ihrer noch jungen Karriere verpasst, nachdem ihr Stern bei der WM 2011 im südkoreanischen Daegu aufgegangen war. Zwar war sie damals im Vorlauf an der übermächtigen Konkurrenz und der eigenen Aufgeregtheit gescheitert, dennoch galt sie mit ihrer am 18. Juni 2011 in Stockholm aufgestellten Bestzeit von 9:43,28 Minuten über 3000 Meter Hindernis als große deutsche Hoffnung.

Die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele lief bereits, als im März 2012 mysteriöse Atemprobleme die Athletin außer Gefecht setzten. Bis die Ärzte die Ursache in einer Hausstaubmilbenallergie, die ihre Stimmbänder chronisch reizt und zum Anschwellen bringt, gefunden hatten, war der Zug nach London abgefahren.

Der Tag, an dem ihr klar wurde, dass sie es nicht zu Olympia schaffen würde, war der härteste ihrer Karriere. Sie hatte bei den deutschen Meisterschaften die Norm verpasst, und am nächsten Morgen, als sie als kaufmännische Auszubildende bei der Haspa von ihren Kollegen gelöchert wurde, wie es gelaufen sei, brach sie zusammen. Ähnlich schwer war es, ein paar Monate später in London auf der Tribüne zu sitzen, als der Vorlauf in ihrer Disziplin gestartet wurde. Die Reise hatte ihre Familie bereits Ende 2011 gebucht, um sie vor Ort anzufeuern. „Als ich dann neben meinen Eltern saß statt auf der Laufbahn zu stehen, kamen mir die Tränen, ich hatte einen fetten Kloß im Hals, bin aufgesprungen und musste allein eine Runde durch die Stadionkatakomben gehen, um mich zu fangen“, sagt sie.

Doch mit jenem Tag war die Trauerarbeit abgeschlossen, und Jana Sussmann ist überzeugt davon, dass sie der erneute Verletzungsrückschlag auch deshalb nicht so hart trifft, weil sie das Ganze schon einmal erlebt hat. Viele hatten gemutmaßt, dass die Atemprobleme mentalen Ursprungs gewesen sein könnten, weil der plötzliche Druck, die große Hoffnung sein zu müssen, sie verunsichert haben könnte. Sie selbst ist überzeugt, dass das keine Rolle gespielt hat, „denn ich habe es genossen, in der Öffentlichkeit zu stehen“. Der zu Rate gezogene Mentalcoach hat sie in dieser Einschätzung bestätigt.

Und so hat Jana Sussmann vor zwei Wochen mit frischem Mut begonnen, sich wieder an Belastung zu gewöhnen, nachdem das Sitzbein drei Monate komplette Ruhe eingefordert hatte. Seit Mitte Mai trainiert sie mithilfe eines speziellen Atemgeräts, wie sie unter Belastung optimal Luft holen kann. 25 Minuten leichten Dauerlauf am Stück schafft sie wieder, Mitte September will sie beim Laufteam Haspa-Marathon Hamburg unter Trainerin Beate Conrad wieder voll angreifen.

Dass sie 2014 den Weg zurück in die nationale Spitze schaffen kann, daran glaubt sie fest. „Aber vielleicht ist es ganz gut, dass die Erwartungen von außen nicht mehr so hoch sind“, sagt sie. Ein zweites Mal aus dem Nichts nach oben zu kommen wie im Sommer 2011, das würde ihr gut gefallen. Aber die wichtigste Erkenntnis der vergangenen Monate ist wohl die, dass sie es nicht braucht, um glücklich zu sein.