Bei den Olympischen Spielen erlebte Hamburgs beste Springreiterin Janne Friederike Meyer ein Desaster. Jetzt bereitet sie sich auf die Derbywoche vor. Ein Hausbesuch im Reitstall Friedrichshulde.

Hamburg. Wie sie so dasteht, die Wange an den Kopf ihres Pferdes gelehnt und die Hände dauerhaft damit beschäftigt, es zu streicheln und zu tätscheln, da ist er plötzlich da. Dieser Gedanke, dass jeder Mensch etwas finden sollte in seinem Leben, das ihn alles andere um sich herum vergessen lässt. Janne Friederike Meyer hat viele Leidenschaften, sie besitzt das Goldene Tanzabzeichen, einen Tauchschein und sogar eine Pilotenlizenz. Aber hier, im Reitstall Friedrichshulde in Schenefeld vor den Toren Hamburgs, da ist sie sich am nächsten. In ihrem Element. Hier ist ihr Herz zu Hause.

Janne Friederike Meyer ist Hamburgs beste Springreiterin, sie gehört in Deutschland zur Elite ihres Sports. Sie war Welt- und Europameisterin mit der Mannschaft, sie führt, wie sie selbst sagt, "ein Vagabundenleben", das sie zu den wichtigsten Turnieren auf der ganzen Welt bringt. In Schenefeld jedoch kommt sie zur Ruhe. 2005 pachtete die 32-Jährige auf der Anlage, die von Sylva Kurth geführt wird, einen Stalltrakt, der eigens für sie gebaut wurde. Zehn Boxen, jede drei mal vier Meter groß, sind für ihre Pferde reserviert. Keins dieser Pferde gehört ihr allein. Einige teilt sie sich mit Jürgen Fitschen, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank. Alle jedoch liegen ihr am Herzen, als wären es Familienmitglieder.

Das Pferd, das sie vorführt an diesem Nachmittag, ist ein siebenjähriger Holländer, der einst auf den Namen Baton Rouge getauft wurde, aber in Schenefeld nur Beatle genannt wird. "Ich habe schon im Ansatz gesehen, dass er ein besonderes Pferd ist", sagt Janne Meyer, während sie ihr Bilderbuchlächeln anknipst. Sie hat das drahtige Tier angelernt und vergleicht seinen aktuellen Leistungsstand mit dem eines Schulabgängers. "Sein Abi hat er mit sehr guten Noten bestanden, aber nun muss er studieren", sagt sie. Beatle schnaubt leise. Er scheint zu verstehen, dass über ihn gesprochen wird.

Janne Meyer weiß, wovon sie spricht. Die gebürtige Hamburgerin hat damals, als sie mit 19 Jahren in Kappeln ihr Abitur bestanden hatte, den Weg in die Selbstständigkeit eingeschlagen, 2001 pachtete sie am Hemmingstedter Weg im Hamburger Stadtteil Klein Flottbek ihren ersten eigenen Stall. Ihr Studium war das Leben als Reiterin, die sich um die Ausbildung ihrer Pferde kümmert und trotzdem ihr eigenes Fortkommen nicht aus den Augen verlieren darf. Heute hat sie zwei Angestellte, die sich um den Stall und die Vollpension für die Pferde kümmern, sie hat eine Büromanagerin, lässt ihre Internetseite professionell betreuen.

Aber wer mit ihr über die weitläufige Anlage am Rande des Forsts Klövensteen schlendert, der spürt schnell, dass sie genau Bescheid weiß über das, was wichtig ist im Leben eines professionellen Reiters. Ihren Turniertruck zum Beispiel, der Platz für vier Pferde bietet und dazu für eine Schlafkabine samt Dusche, fährt sie natürlich selbst, sooft es geht. "Ich habe einen Lkw-Führerschein", sagt sie so beiläufig, wie andere erzählen würden, dass sie täglich ihre Zähne putzen. Sie mag zierlich wirken, diese 1,66 Meter große Blondine, aber wer sie unterschätzt, wird überrascht.

Dass ihr Kampfgeist ausgerechnet bei ihren ersten Olympischen Spielen auf die härteste Probe gestellt werden würde, die sie bislang bestehen musste, damit hatte Janne Meyer selbst nicht gerechnet. Sie war im August 2012 nach London geflogen mit dem festen Glauben daran, eine Medaille mit nach Hause bringen zu können. Und dann das: Platz zehn mit der zu den Titelfavoriten zählenden Mannschaft! "Der Frust war riesengroß, und ich spürte in dem Moment, als das erste Ziel verpasst war, dass einiges zerbrochen war", sagt sie im Rückblick.

Fiasko in den Einzelwettbewerben

Ihr persönliches Fiasko sollte jedoch im Einzelwettbewerb folgen. Ihr Holsteiner Wallach Cellagon Lambrasco, mit dem sie ihre größten Erfolge gefeiert hatte, war mit dem schwierigen Parcours überfordert. Nach 17 Fehlern im ersten Umlauf war in der Reiterin ein Entschluss gereift, den sie, von der wartenden Presse überrumpelt, beim Abgang aus dem Parcours der Weltöffentlichkeit mitteilte. Sie wolle Lambrasco nie wieder bei großen internationalen Meisterschaften zum Einsatz bringen, sagte sie. Blöd nur, dass Bundestrainer Otto Becker von diesem Vorhaben durch die Presse erfuhr. Entsprechend angefasst reagierte er damals.

Knapp acht Monate später kann Janne Meyer darüber zwar nicht lachen, aber doch so reflektiert erzählen, dass man ihr abnimmt, das Geschehene abgehakt zu haben. Auch wenn sie zugibt, "dass ich ab und an noch immer daran zu knabbern habe". Mit dem Bundestrainer hat sie sich noch in London ausgesprochen, sie hält ihn für einen Spitzencoach und den Streit von damals für eine Momentaufnahme. "Was ich gesagt habe, war taktisch nicht klug, aber es war immerhin ehrlich und direkt", sagt sie, und deshalb bereut sie es auch nicht. Die extreme Enttäuschung über das sportlich missratene Abschneiden habe ihr dermaßen zugesetzt, "dass ich das Gefühl hatte, diesen Schritt machen zu müssen." Die Aufarbeitung ihres Scheiterns dauert noch immer an. "Ich habe mich zu sehr unter Druck gesetzt, weil ich bei Olympia unbedingt überzeugen wollte", sagt sie. Das Problem in einer Top-Springreitnation wie Deutschland sei, dass es zwar viele starke Reiter gebe und trotzdem manchmal nicht genug sichere Paare. "Man läuft Gefahr, sich auf dem Weg zu einem Topevent, und Olympia ist von allen das Größte, so sehr zu verausgaben, um ins Team zu kommen, dass man dann, wenn es zählt, nicht in Topform ist", sagt sie.

Daran, diesem Druck standzuhalten und die Vorbereitung auf Großevents perfekt abzustimmen, gelte es für sie nun zu arbeiten. In London hatte es sportpsychologische Begleitung gegeben, die Meyer genutzt hat. Anschließend jedoch sei die mentale Aufarbeitung möglicherweise zu kurz gekommen. "Ich habe schon das Gefühl, dass ich da mehr machen könnte", gibt sie zu. Gespräche hat sie viele geführt, mit ihren pferdesportbegeisterten Eltern ebenso wie mit ihrem Trainer Tjark Nagel oder ihrem Freund, dem Pferdekaufmann Christoph Zimmermann, mit dem sie kürzlich die erste gemeinsame Wohnung an der Palmaille bezog. Klein ist das Apartment, aber mit Elbblick. "Ein Lebenstraum", sagt sie.

Mit dem Jahreswechsel habe sie es geschafft, "den Schalter umzulegen. Man muss aus Fehlern lernen und nach vorn schauen. Es ist ja auch nicht so, dass ich nicht wüsste, wie sich Niederlagen oder Rückschläge anfühlen", sagt sie. Einer wie ihr, die 2005 beim Deutschen Derby in Klein Flottbek am Wall stürzte und bewusstlos war und wenig später wieder ritt, als sei nichts gewesen, darf man das glauben.

Die Rückstufung in den B-Kader hat sie klaglos akzeptiert, sie hat vielmehr neue Motivation gezogen aus der Tatsache, wieder Jägerin zu sein und nicht mehr Gejagte, obwohl ihr auch das nicht unangenehm gewesen sei. "Beides hat seinen Reiz. Als Jäger ist jeder Sieg ein kleiner Erfolg. Als Gejagter ist es ein Erfolg, das Erreichte zu bewahren", sagt sie. Um sich auf die anstehende Freiluftsaison anders vorzubereiten als gewohnt, ist sie für fünf Wochen nach Wellington im US-Bundesstaat Florida gereist, auf eigene Kosten. Vier Pferde hatte sie dabei, allein das verursachte Flugkosten von 30.000 Euro. Wirtschaftlich war der Trip nur machbar, weil sie bei Geschäftspartnern ihres Freundes wohnen konnten und weil sie in den USA ihr Derbypferd Büttner's Catcher und ein weiteres Tier verkaufte. Die Erfahrungen jedoch, die sie sammelte, die waren unbezahlbar. "Ich habe dort nicht nur perfekt trainieren können, sondern mir auch alles angeguckt, was vier Beine hat und springen kann. Ich konnte in ein fremdes System hineinschauen. Insofern war der Gang in die USA ein wichtiger Schritt." Ein Schritt, der ihr in ihrer Entwicklung als Unternehmerin sehr geholfen hat.

Was er ihr sportlich gebracht hat, wird sich auch in dieser Woche in Hamburg zeigen. Beim Deutschen Spring- und Dressurderby in Klein Flottbek (9. bis 12. Mai) wird sie im Championat von Hamburg am Donnerstag mit der elfjährigen Grace antreten. Für die Global Champions Tour am Sonnabend ist ihr treuer Lambrasco vorgesehen. "Er ist ja immer noch mein bestes Pferd, zwei Jahre werden wir noch gemeinsam Turniere bestreiten", sagt Janne Meyer.

Sie hat sich einiges vorgenommen für diese Zeit, eigentlich schon für dieses Jahr. Sie will zurück in den A-Kader, und sie kämpft darum, unter die Top 30 der Weltrangliste zu kommen, was ihr noch nie gelang. "Das ärgert mich, weil ich so nie für die Global Champions Tour gesetzt bin", sagt sie. Da ist er wieder, dieser Druck, den sie zwar nicht loswerden kann, aber der nicht mehr überhand nehmen soll wie in London. Geduld ist gefragt, doch geduldig, das ist Janne Meyer nicht. Sie ist zwar erst 32 und damit noch ein junger Hüpfer im Springreiten, aber eigentlich kann sie mit dieser Einordnung nichts anfangen. "Ich fühle mich nicht jung", sagt sie, "ich bin seit 13 Jahren selbstständig in diesem Beruf tätig, und für mich fühlt es sich so an, als ob ich ein ewig langes Pferdeleben hinter mir habe."

Dass es ein Leben ist, das für sie wie gemacht scheint, beweist an diesem Nachmittag in Schenefeld ein letzter Blick. Alles ist gesagt, der Fotograf hat seine Arbeit beendet, Janne Friederike Meyer führt Beatle zurück in seinen Stall. Sie hat ihr Fotolächeln ausgeknipst. Das Strahlen in ihrem Gesicht aber bleibt.

Beim Turnier in Redefin belegte Janne Meyer mit Lambrasco im Hauptspringen hinter dem Niederländer Eric van der Vleuten Rang zwei.