Hamburg. Sandra und Peter-Michael Reichel, die Macher des Herrentennisturniers, sprechen über die Lehren aus ihrer Premiere.

Müde waren Sandra und Peter-Michael Reichel, als sie für einen Kurzbesuch in Hamburg landeten. Mitten in der Nacht waren die 48 Jahre alte Direktorin des Herrentennisturniers am Rothenbaum und ihr Vater (67) aus Saudi-Arabien abgereist, wo sie als Partner des Königshauses für die Organisation der Premiere des Diriyah Tennis Cups verantwortlich waren. Welche Erfahrungen die beiden Österreicher daraus für das Hamburger Turnier mitnahmen und was sich am Rothenbaum mittelfristig ändern wird, erläuterten sie im Gespräch mit dem Abendblatt.

Hamburger Abendblatt: In den vergangenen Wochen stand Saudi-Arabien mit einer Schwergewichts-Box-WM und dem Tennisturnier im Mittelpunkt. Der Begriff des Sportwashings, das Überdecken von Menschenrechtsverletzungen mit glamourösen Sportevents, beherrschte die Diskussionen. Warum darf man aus Ihrer Sicht mit Saudi-Arabien Geschäfte machen?

Peter-Michael Reichel: Weil es eine wesentliche Aufgabe des Sports ist, Völker zu verbinden. Wir haben aus der Geschichte gelernt, dass Boykotte überhaupt nichts bewirken. Sport kann Brücken bauen und tut das. Deshalb habe ich überhaupt kein schlechtes Gewissen. Wir haben uns als Mittler gefühlt.

Dass in Saudi-Arabien elementare Menschenrechte verletzt werden, ist aber allgemein bekannt. Wie haben Sie, Frau Reichel, sich dort gefühlt?

Sandra Reichel: Ich war anfangs sehr skeptisch und habe gesagt, dass ich nicht mitreisen werde. Dann habe ich aber entschieden, dass ich mir selbst ein Bild machen und mich nicht von Vorurteilen leiten lassen wollte. Allen weiblichen Mitgliedern unseres Teams haben wir freigestellt, ob sie die Reise antreten wollten. Letztlich waren alle dabei, und alle waren total begeistert. Ich auch.

Sandra und Peter-Michael Reichel stammen aus Österreich. Die Tochter lebt nahe Linz, der Vater mittlerweile in der Schweiz.
Sandra und Peter-Michael Reichel stammen aus Österreich. Die Tochter lebt nahe Linz, der Vater mittlerweile in der Schweiz. © Witters

Warum?

Sandra Reichel: Ich habe das Gefühl, dass sich dort einiges entwickelt. Natürlich passieren in Saudi-Arabien Dinge, die nicht in Ordnung sind. Und natürlich waren wir meist in gesicherten Zonen unterwegs. Aber wir waren auch auf öffentlichen Märkten, und nirgends ist irgendetwas vorgefallen, was uns beunruhigt hätte. Während der Zeit, die wir dort waren, fanden einige Musikkonzerte statt, und diese durften erstmals Frauen und Männer gemeinsam besuchen und sogar zusammen tanzen. Je jünger die Frauen, desto weniger Kopftücher tragen sie. Das hat mich beeindruckt.

Peter-Michael Reichel: Es hat in den vergangenen Monaten mehrere Gesetze gegeben, die die Rechte der Frauen verbessern und die Geschlechtertrennung aufheben. Die saudische Gesellschaft verändert sich gerade stark. Bislang waren sie gewohnt, immer die Chefs zu sein und andere für sich arbeiten zu lassen. Nun müssen sie ihre Jugend in Bewegung bringen. 17 von 33 Millionen Einwohnern sind unter 18 Jahre alt. Die müssen beschäftigt werden. Den Saudis sind Bewegung, Gesundheit und Disziplin wichtig, und das vermittelt man am besten über Sport. Deshalb wird es in Zukunft sehr viele Sportevents dort geben. Wir haben eine mündliche Vereinbarung, 2020 auch Damentennis anzubieten. Das wäre eine weitere Entwicklung. Mal schauen, was wir daraus machen.

Ist das Engagement in Saudi-Arabien auch dafür wichtig, den Verlust von gut einer halben Million Euro auszugleichen, den Sie bei Ihrer Rothenbaum-Premiere im Sommer eingefahren haben?

Sandra Reichel: Das genaue Ergebnis muss erst noch ermittelt werden! Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Hamburg muss sich selber tragen.

Wie groß ist denn Ihre Hoffnung, dass es das schon 2020 tut?

Peter-Michael Reichel: Im Sommer waren wir extrem optimistisch, denn es hatten sich mehrere Unternehmen aus eigenem Antrieb heraus gemeldet und gefragt, ob sie sich engagieren könnten. Abgeschlossen haben wir allerdings noch mit niemandem. Wir sind in Gesprächen mit vier, fünf potenziellen Sponsoren. Wenn wir mit zweien abschließen, haben wir eine ganz andere Situation.

Auf der Pressekonferenz zum Turnierende sagten Sie, Frau Reichel, dass Sie keine Sorge hätten, nicht eine Reihe neuer Sponsoren gewinnen zu können. Warum hat das bislang nicht funktioniert?

Sandra Reichel: Weil neue Entwicklungen Zeit brauchen. Wir mussten unsere Erfahrungen machen. Natürlich muss man schauen, dass man mittelfristig mit dem Turnier Geld verdient. Aber es geht nur Schritt für Schritt. Wir brauchen Geduld und Zeit.

Wie viel Geduld haben Sie denn? Ist ein Szenario, dass Sie in zwei Jahren wieder aussteigen, weil keine Sponsoren zu finden sind, völlig unrealistisch?

Peter-Michael Reichel: Wir werden eine solche Drohkulisse nicht konstruieren. Fakt ist aber, dass es nicht sein kann, dass immer nur Alexander Otto alles bezahlen soll. Und dass wir uns ein größeres Engagement der regionalen und auch nationalen Unternehmen wünschen.

Das hat Ihr Vorgänger Michael Stich auch getan. Auch hat er wie Sie versucht, der Stadt zu erläutern, welch immensen Werbewert das Turnier weltweit aufgrund seiner Medienreichweiten hat. Passiert ist nichts.

Peter-Michael Reichel: Das ist tatsächlich etwas, an dem wir auch arbeiten müssen. Unsere Überzeugung ist, dass das Beachvolleyball- und das Tennisturnier anders bewertet und bezuschusst werden müssen als die anderen Mitbewerber der Top-Ten-Events, in die die Stadt uns derzeit einordnet. Wir können mit vielen Zahlen belegen, welchen Werbewert das Tennisturnier für Hamburg hat. Und dieser hat sich aufgrund unserer Social-Media-Aktivitäten und der Einbindung des Active-City-Logos in unser Turnier-Branding in diesem Jahr ungefähr verdreifacht. Das ist etwas, das uns von anderen Veranstaltern abhebt.

Über die Zuwendungen der Stadt können Sie sich kaum beklagen. In diesem Jahr haben Sie rund 750.000 Euro an Zuschüssen erhalten. 2020 wird es etwas weniger sein, aber immer noch rund fünfmal so viel, wie Ihr Vorgänger bekam und andere Veranstalter bekommen.

Peter-Michael Reichel: Die Zuschüsse waren nicht in dieser Höhe. Aber die Stadt unterstützt uns wirklich sehr gut, da gibt es überhaupt keinen Grund zur Klage. Wir möchten, dass das auch so bleibt, und wir können belegen, warum das gerechtfertigt ist.

Die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Partnern – der Stadt, dem Deutschen Tennis-Bund als Lizenzinhaber, dem Club an der Alster als Eigentümer der Anlage und Ihnen – schien deutlich verbessert. Wie empfinden Sie diese Konstellation?

Peter-Michael Reichel: Es ist nicht immer einfach, die verschiedenen Interessen zu vereinen. Aber unser Gefühl war auch, dass sich das Verhältnis deutlich verbessert hat. Es war und ist unerlässlich, dass wir gemeinsam auftreten und arbeiten, denn dieses Turnier ist nur als Gemeinschaftsprodukt zu stemmen.

Sandra Reichel: Für uns war wichtig, die Marke Rothenbaum wieder positiv zu besetzen und zum Strahlen zu bringen. Mein Gefühl war, dass sie schon darunter gelitten hatte, dass es zwischen den Partnern keine Bewegung gab. Es wirkte alles etwas festgefahren. Mit der Umbenennung in Hamburg European Open haben wir das aufbrechen können. Auch unser U-21-Turnier wurde sehr gut angenommen. Nun müssen wir auf dem, was wir geschaffen haben, aufsetzen.

Im Juli trat Sänger Max Giesinger (31) beim Eröffnungsevent auf dem Center Court auf.
Im Juli trat Sänger Max Giesinger (31) beim Eröffnungsevent auf dem Center Court auf. © Witters

Was war der wichtigste Lerneffekt aus Ihrem Premierenturnier?

Sandra Reichel: Da gab es mehrere. Der wichtigste war vielleicht der, dass wir die Hamburger besser verstehen gelernt haben. Hamburg ist die reichste Stadt Deutschlands, aber die Fans brauchen hier kein großes, exklusives VIP-Zelt, das uns viel Geld gekostet und wenig eingebracht hat. Sie kommen vor allem, weil sie hochklassiges Tennis sehen wollen. Ich war vor dem Turnier besorgt, ob die Fans uns treu bleiben würden, obwohl wir den kostenlosen Zugang zur Anlage durch die Ausgabe eines zehn Euro teuren Ground Tickets ersetzt haben. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass das keinen negativen Effekt hatte.

Peter-Michael Reichel: Das Hamburger Tennispublikum ist seinem Turnier sehr treu – unabhängig vom Spielerfeld.

Das heißt also, dass es auf das Teilnehmerfeld nicht ankommt und Sie künftig auch keine Topspieler mehr einkaufen?

Peter-Michael Reichel: Nein, natürlich heißt es das nicht. Für die Marke ist es schon wichtig, ein möglichst hochklassiges Feld anzubieten. Die großen drei – Federer, Nadal und Djokovic – werden wir nicht bieten können. Wir haben aber in Saudi-Arabien viele intensive Kontakte geknüpft. Unser Teilnehmerfeld bestand aus Daniil Medwedew, Stanislas Wawrinka, Fabio Fognini, Gael Monfils, John Isner, Jan-Lennard Struff, David Goffin und Lucas Pouille – alles Namen, die auch für Hamburg spannend sind. Die Spieler müssen natürlich ins Budget passen. Aber ich bin optimistischer als vor ein paar Wochen.

2020 liegt das Rothenbaum-Turnier zwischen Wimbledon und Olympia, das Finalwochenende in London ist das Qualifikationswochenende in Hamburg, sechs Tage nach dem Finale startet das Turnier in Tokio. Muss man nach dem besten Feld der vergangenen Jahre mit drei Top-Ten-Spielern nun eins der schlechtesten befürchten?

Sandra Reichel: Keineswegs! Der Weltranglistenvierte Dominic Thiem hat schließlich schon zugesagt. Und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir noch weitere Topspieler verpflichten können. Olympia ist alle vier Jahre, das Thema war lange bekannt. Und Weltklassespieler können sich innerhalb von sechs Tagen von Sand- auf Hartplatz umstellen – das ist leichter als andersherum.

Glauben Sie, dass die neue Anlage, die bis zum Sommer für zehn Millionen Euro komplett saniert wird, Fans anziehen wird?

Peter-Michael Reichel: Davon erwarten wir uns tatsächlich Rückenwind. Wir müssen aber unseren Teil dazu beitragen, das Event auf allen Ebenen weiterzuentwickeln. Dazu gehört, dass wir ein neues Publikum ansprechen. Wir haben ein Problem mit der Altersstruktur.

Neue, jüngere Zielgruppen erreicht man meist mit einer Mischung aus Sport und Event. Was werden Sie auf diesem Feld tun?

Sandra Reichel: Das Eröffnungs-Event mit einem Popkonzert wie in diesem Jahr Max Giesinger wird es wieder geben. Über alles andere beraten wir zurzeit noch. Ich bin der Überzeugung, dass der Sport im Vordergrund stehen muss. Aber ein wichtiger Lerneffekt aus dem Premierenturnier ist, dass der Wohlfühlfaktor ein entscheidender Punkt ist. Wir haben sehr positives Feedback dafür bekommen, dass wir auf der Anlage für mehr gemütliche Sitzgelegenheiten gesorgt haben. Die Leute wollen sich wohlfühlen, egal ob auf dem Court oder im Hospitality-Bereich.

Ihr erklärtes Ziel war, mittelfristig ein zusätzliches Damenturnier nach Hamburg zu holen. Wie realistisch ist das für 2020?

Peter-Michael Reichel: Für 2020 gibt es keine Chance. Und auch danach wird es sehr schwierig. Die Anlage gibt die Kapazität für ein kombiniertes Damen- und Herrenturnier nicht her. Und für zwei aufeinanderfolgende Tenniswochen haben wir aufgrund des Nutzungsvertrags, der eine Zahl von maximal 22 Veranstaltungstagen erlaubt, keine Zeit, weil ansonsten kein Beachvolleyballturnier ausgetragen werden könnte. Wir sind deshalb aktuell weit von einem Damenturnier entfernt.

Sandra Reichel: Die Frage ist auch, ob es wirklich so wichtig ist, in Hamburg ein Damenturnier zu haben. Es war ziemlich weit oben auf unserer Prioritätenliste, ist jetzt aber deutlich abgerutscht.

Zumal es in Berlin und Bad Homburg 2020 neue Damenturniere auf Rasen gibt. Ein weiteres zusätzliches Turnier ist da kaum realistisch. Was auch gegen Hamburg spricht: Sie sollen die Lizenz für Ihr Damenturnier in Nürnberg an einen anderen Mitbewerber verkauft haben. Stimmt das?

Peter-Michael Reichel: Ja. Wir haben dem neuen Veranstalter aber zugesagt, dass er das selbst kommunizieren darf. Deshalb können wir uns dazu nicht konkret äußern. Aber wenn wir unbedingt ein Damenturnier in Hamburg machen wollten, würden wir dafür auch eine neue Lizenz erhalten.

Frau Reichel, gestatten Sie zum Abschluss eine persönliche Frage: Man hatte nach der Turnierwoche im Juli das Gefühl, dass Sie körperlich und mental die Grenzen Ihrer Belastbarkeit erreicht hatten. Was lernen Sie daraus für die nächste Auflage 2020?

Sandra Reichel: Es ist richtig, dass ich an meine Grenzen gekommen bin. Ich kann Dinge nur mit voller Intensität machen, muss immer 100 Prozent geben. Daran werde ich nichts verändern können, ich will es auch so. Was mich aber gestört hat, ist, dass ich von meinem Team zu viel verlangt habe. Wir haben in der ganzen Woche zu wenig gelacht. Und das ist nicht gut, denn es soll bei aller Arbeit auch Spaß machen. 2020 wird das aber besser werden, denn dann ist die psychische Belastung geringer. In diesem Jahr hat uns keiner in Hamburg gekannt, viele haben uns nicht zugetraut, es zu schaffen. Wir mussten uns beweisen. Jetzt weiß ich, dass wir es können. Das wird helfen, mich entspannter zu machen.

Eintrittskarten für die Hamburg European Open 2020, die vom 11. bis 19. Juli auf der dann komplett modernisierten Anlage am Rothenbaum ausgetragen werden, gibt es seit Kurzem auf der Homepage www.hamburg-open.com oder unter der Tickethotline 01806 – 99 11 75. Bis zum 10. Januar gilt ein Frühbucherrabatt von 20 Prozent auf alle Ticketkategorien.