Das deutsche Olympia-Team hat in London das Medaillen-Niveau von Peking erreicht. Das vom DOSB vorgegebene interne Ziel hat es jedoch meilenweit verfehlt. Die Diskussionen sind in vollem Gange.

London. Die Debatte über das Fördersystem im deutschen Sport ist eröffnet: Das Zählen von Medaillen als wichtige Grundlage für das Verteilen von Steuer-Millionen scheint spätestens nach der vor Gericht erstrittenen Veröffentlichung der Zahlen aus der Zielvereinbarung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) mit seinen Spitzenverbänden und dem Bundesinnenministerium (BMI) überholt. Denn der deutsche Sport hat seine selbst gesetzten Medaillenziele in London krass verfehlt. Unmittelbar vor dem großen Olympia-Finale stand fest, dass die in der internen Zielvereinbarung zwischen dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und den Fachverbänden angestrebte Anzahl von 86 Medaillen, davon 28 aus Gold, deutlich an der Realität vorbeiging. Die betroffenen Fachverbände müssen nun Mittelkürzungen durch das Bundesinnenministerium (BMI) befürchten.

Immerhin gab es 44 Medaillen für die mit 391 Sportlern angetretene deutsche Mannschaft in London und damit drei mehr als noch vor vier Jahren, was der DOSB-Präsident angesichts des „härtesten Wettbewerbs aller Zeiten“ stolz machte: „Die Mannschaft hat einen glänzenden Auftritt hingelegt und meine persönlichen Erwartungen sogar übertroffen. Das hätte ich nicht erwartet. Das ist großartig.“

Silber war in London die neue Modefarbe der Deutschen, die gleich 19 zweite Plätze verbuchten. So brachte es Kanutin Katrin Wagner-Augustin, die auf den achten Platz bei Deutschlands Rekord-Olympioniken vorrückte, auf den Punkt: „Silber ist das neue Gold.“ Auch das Kanu-Urgestein fuhr an Gold im Viererkajak vorbei, der erstmals seit Atlanta 1996 nicht bei Olympia gewann. Von einer Krise ist Deutschland aber im Kanusport weit entfernt. Mit acht Medaillen, davon drei in Gold, erfüllte die Paradesportart wieder die Erwartungen.

Wie auch die Ruderer, die nach der Havarie von Peking wieder zurück auf Kurs sind. Nicht zuletzt dank des Achters, der mit dem Olympiasieg für eines der großen Highlights sorgte. Und trotzdem gehörten die größten Schlagzeilen einer Ruderin, die in London gar nichts geholt hatte. Tagelange Debatten gab es um Nadja Drygalla, die das Olympische Dorf in London verließ, nachdem ihre Beziehung zu einem früheren NPD-Direktkandidaten bekannt geworden war.

Reichlich Negativ-Schlagzeilen produzierten auch die deutschen Schwimmer, die im Glanz des Rekord-Olympioniken Michael Phelps (nun 18 Gold) auf Tauchstation gingen. Erstmals seit 1932 gab es keine Medaille für die deutschen Beckenschwimmer. Bei der Aufarbeitung tat man sich genauso schwer wie die Athleten im Wasser. „Wir werden nicht nach einem Guru suchen“, sagte Präsidentin Christa Thiel. Britta Steffen, die entthronte Doppel-Olympiasiegerin von 2008, wollte erst gar nicht mithelfen: „Ich bin nur ein dummes Sportlerchen und will mich nicht aus dem Fenster lehnen.“

Alles andere als negativ war das Abschneiden der deutschen Leichtathleten, die mit acht Medaillen das Soll erfüllten. Zwar scheint Deutschland das Laufen verlernt zu haben, aber in den Wurfdisziplinen sieht es dafür umso besser aus. Diskuswerfer Robert Harting bescherte dem DLV dabei die einzige Goldmedaille in London.

Auch die deutschen Radsportler konnten ihre Bilanz von Peking mit sechs Medaillen deutlich aufbessern, gegen die Übermacht aus Großbritannien (acht Goldmedaillen) war aber kein Kraut gewachsen. So schlug Bundestrainer Detlef Uibel Alarm. „Es müssen strukturelle Änderungen her und das schnell. Unser System muss effektiver werden, das betrifft den gesamten Sport“, sagte Uibel und sprach sich für eine Zentralisierung wie in Großbritannien aus.

In den meisten Mannschaftssportarten hatte Deutschland mit Abwesenheit geglänzt. Die, die da waren, wussten aber zu überzeugen. Im Hockey gab es Gold, im Hallen-Volleyball das beste Resultat seit 40 Jahren. Und die Olympiasiege im Ruder-Achter und -Doppelvierer, im Teamsprint der Frauen auf der Bahn, in der Vielseitigkeit durch die deutschen Reiter-Equipe, im Zweier-Canadier sowie im Zweier-Kajak und nicht zuletzt bei den Beachvolleyballern waren schließlich auch eine Mannschaftsleistung. Das Sportsystem will Bach auf den Prüfstand stellen, denn so wenig Olympiasiege hatten deutsche Sportler letztmals 1964 geholt.

Mit Material von dapd und dpa