Der Jamaikaner wiederholte über 100 Meter seinen Peking-Triumph, verpasst den Weltrekord aber knapp. Shelly-Ann Fraser-Pryce siegt bei den Frauen.

London. Gold, wieder Gold! Und was für eine Zeit! Als Usain Bolt im 100-Meter-Finale durchs Ziel schoss und von tausenden Kameras geblitzt wurde, hatte der Orkan im Londoner Olympiastadion seinen Höhepunkt erreicht. Bei 9,63 Sekunden blieben die elektronischen Uhren stehen. Nur fünf Hundertstel fehlten dem Jamaikaner, dann wäre auch noch sein Weltrekord (9,58 Sekunden) gefallen. Es war aber die zweitbeste je gelaufene Zeit.

Doch die Zeit war an diesem Sonntagabend kein Thema für den Sprinter vom anderen Stern. Eine Niederlage stand für ihn nie zur Debatte. Nach seinem zweiten Olympiasieg auf der kürzesten aller Sprinstrecken ist "Usain Gold" auf dem besten Weg zur Sportlegende. Außerdem zog Bolt mit dem großen "King Carl" Lewis gleich: Nur der legendäre Amerikaner konnte bis dato zwei Olympiasiege in Folge (1984 und 1988) auf dieser Strecke feiern.

Die 80.000 Zuschauer in der ausverkauften Arena feierten Überflieger Bolt wie einen Popstar, der gerade alle seine Welthits zum letzten Mal live gesungen hat. Zwei Millionen Tickets hätten die Organisatoren für das Megafinale absetzen können! Wieder einmal degradierte der Weltleichtathlet seine sieben Konkurrenten zu Mitläufern. Sein Landsmann und Weltmeister Yohan Blake hatte als Zweiter zwölf Hundertstel Rückstand auf Bolt, Bronze ging an den früheren Dopingsünder Justin Gatlin (USA) in 9,79 Sekunden.

Schon eine Stunde vor dem Halbfinale hatte sich Bolt im Stadion gemeinsam mit Landsmann Blake aufgewärmt. Beide sind gute Kumpel und trainieren bei Glen Mills. Bei der Generalprobe für die schnellste Show der Olympischen Spiele ließen die schnellen Jungs schon mal die Muskeln spielen und machten Mätzchen. Bolt posierte als "Schattenboxer", die Konkurrenz ließ sich aber nicht einschüchtern. Der 25-Jährige joggte dann in 9,87 ins Finale, die 9,82 von Gatlin waren eine Kampfansage.

Seinen Sport nimmt Bolt bierernst, aber sonst ist er ein Spaßvogel - und ein großer Junge geblieben. Durch seinen Sport und "stolze Sponsoren" wie Ausrüster und Werbepartner Puma ist er ganz flott zum Multimillionär aufgestiegen. Als Antrittsgage kann der Weltstar bei internationalen Meetings mittlerweile 30. 000 Dollar verlangen. Die Nummer 1 der Leichtathletik ist schließlich das Zigfache für jeden Veranstalter wert.

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Außerdem ist der Mann mit seinem Läuferlatein noch nicht am Ende - und lernfähig. Der Fehlstart im WM-Finale 2011 war für Bolt ein Schock, die Niederlagen gegen Blake bei den Trials Ende Juni in Jamaika kamen als Weckruf zur rechten Zeit. Zudem ist er sich mit seinem Trainer Mills einig: "Ich war nie ein großer Starter, und ich werde nie ein großer Starter sein. Ich hole das einfach im Rennen raus."

Wie am Sonntag, als ganz Jamaika vor den TV-Geräten die Daumen drückte. Lange nach Mitternacht konnte Bolt mit seinen Landsleuten in eine historische Nacht hineinfeiern: Denn am heutigen Montag jährt sich zum 50. Mal der Unabhängigkeitstag der Karibikinsel. Der bekannteste Jamaikaner hat sich schon lange darauf gefreut, "Happy Birthday" zu sagen.

Da passte es, dass den Titel "schnellste Frau der Olympischen Spiele" Bolts Landsfrau Shelly-Ann Fraser-Pryce tragen darf. In einem hochklassigen 100-Meter-Finale triumphierte die 25-Jährige dank einer starken Schlussphase in 10,75 Sekunden vor Weltmeisterin Carmelita Jeter aus den USA, die drei Hundertstelsekunden mehr benötigte. Bronze holte sich Veronica Campbell-Brown aus Jamaika (10,81).

Olympiagold wie vor vier Jahren in Peking - und trotzdem schien die Siegerin nicht zufrieden. "Das war so lala, ich hatte mir ein besseres Rennen vorgenommen", sagte die Doppelweltmeisterin von 2009 in Berlin. "Das waren keine 100 Prozent." Die Hälfte ihrer Goldmedaille widmete sie ihrem Coach John Spring: "Danke an meinen Trainer, der immer an mich geglaubt hat."

Fraser-Pryce ist erst die dritte Sprinterin, die bei Olympischen Spielen zweimal hintereinander auf der prestigeträchtigsten Sprintstrecke triumphierte. Vor ihr war das nur den US-Amerikanerinnen Wyomia Tyus (1964 und 1968) und Gail Devers (1992 und 1996) gelungen. Vor vier Jahren in Peking hatten ihr als unbekannter Außenseiterin noch 10,78 Sekunden zum Sieg gereicht - als erste Jamaikanerin, die je olympisches Sprintgold gewann. Im Gangviertel Waterhouse riefen sie die Menschen "Merlene" - nach der legendären Merlene Ottey, die neun olympische Medaillen gewann, aber eben nie Gold.