Die Teamsprinterinnen im Bahnrad profitieren von der Disqualifikation Chinas - ihre männlichen Kollegen Enders, Levy und Förstemann holen Bronze.

London. Kristina Vogel, 21, und Miriam Welte, 25, schlugen die Hände vor den Mund und konnten ihr Glück kaum fassen. Gold? Ja, Gold! Die beiden deutschen Teamsprinterinnen hatten sich längst auf Silber eingestellt, sie waren eine Ehrenrunde gefahren, sie hatten mit ihren Familien gejubelt - doch dann beugte sich eine Reporterin der BBC über die Absperrung und sagte: "Die Chinesinnen werden zurückgestuft - Wechselfehler."

Vogel (Cottbus) und Welte (Kaiserslautern) waren sprachlos, bei der Siegerehrung schienen sie immer noch nicht zu verstehen, dass sie Olympiasiegerinnen waren. Die in den Farben Schwarz-Rot-Gold lackierten Nägel an ihren Fingern, die sie jubelnd in die Höhe reckten, hatten dieses Mal gleich mehrfach Glück gebracht. "Wir lassen uns die Nägel vor jedem Wettkampf bemalen", sagte Welte, "das machen wir, seit wir zusammen Rad fahren." Früher, als sie sich noch selbst um die Fingerkunst kümmerten, blätterte die Farbe meist schnell ab. Aber Vogel und Welte haben dazugelernt - auf der Bahn wie auch in Sachen Nagellack: "Inzwischen haben wir Gelnägel, die halten länger", sagt Vogel.

Lange anhalten dürfte auch das Gefühl vom überraschenden Triumph. Arm in Arm standen die beiden Nesthäkchen mit Tränen in den Augen auf dem Podium und sangen leise die deutsche Nationalhymne mit. "So viel Glück hat man selten. Das Podium hatten die beiden sicher verdient. Dass es Gold wurde, ist für die anderen schade, für uns aber großartig", sagte Bundestrainer Detlef Uibel.

Als wenige Minuten später auch noch die deutschen Männer zur Bronzemedaille im Teamsprint gerast waren, hatte sich für die deutschen Bahnradasse ein gleichermaßen chaotischer wie spektakulärer Auftakttag endgültig zum Guten gewendet, nachdem er so schlecht begonnen hatte.

Auch die deutschen Teamsprinter hatten sich ursprünglich Gold vorgenommen, doch das Unterfangen war schon zum Scheitern verurteilt, bevor es überhaupt begonnen hatte. Ausgerechnet Stefan Nimke, der im letzten Rennen seiner Karriere noch einmal nach dem Sieg greifen wollte, musste wegen einer Rückenverletzung eine halbe Stunde vor dem Beginn passen. Der 34-Jährige aus Schwerin, der bei seinen letzten Olympischen Spielen wie in Athen 2004 Gold holen wollte, war wegen einer Muskelzerrung im Rücken nicht in der Lage zu starten.

Bis zuletzt war der viermalige Weltmeister und beste deutsche Bahnradfahrer der jüngeren Vergangenheit behandelt worden. Doch Nimke konnte vor Schmerzen kaum gehen und musste der bitteren Wahrheit ins Auge sehen. Für das Spiel mit den Hundertstel- und Tausendstelsekunden waren dies denkbar schlechte Voraussetzungen. Im Ringen um Details litt darunter zwangsläufig die Harmonie. "Das ist total bedauerlich, dass so etwas kurz vor dem Start passiert. Stefan ist am Boden zerstört", sagte Patrick Moster, der Sportdirektor des Bundes Deutscher Radfahrer.

Innerhalb kürzester Zeit musste Bundestrainer Detlef Uibel umdisponieren und Ersatzfahrer Robert Förstemann ins Team einbauen. Das Unterfangen gelang: Die deutsche Mannschaft in der Besetzung Rene Enders (Erfurt), Förstemann und Maximilian Levy (Cottbus) steigerte sich nach Platz fünf in der Qualifikation und fuhr schließlich zu Bronze. Noch größeres Glück hatten aber Kristina Vogel und Miriam Welte.

Schon in der ersten Runde waren die Weltmeisterinnen nur weitergekommen, weil Großbritannien ebenfalls zurückgesetzt wurde. Im Endlauf waren Welte und Vogel 0,179 Sekunden langsamer als die Chinesinnen, doch wegen Verlassens der Bahn wurden Gong Jinjie und Guo Shuang auf Rang zwei zurückgesetzt. "Ich dachte: Geil, Silber. Und dann sind meine Augen plötzlich ganz groß geworden. Gold ist für die Ewigkeit", sagte Vogel, die den "Olympiagott" auf ihrer Seite sah. Welte freute sich "wahnsinnig" und sagte: "Ein Traum ist wahr geworden."

Die Chinesinnen schritten noch wild entschlossen zum Kampfgericht, diskutierten, doch ihre finstere Miene hellte sich nicht auf. "Es hatte einen kleinen Beigeschmack. Das ist nicht der Weg, wie man gewinnen will. Aber die Regeln sind für alle da", sagte Vogel.

Die Stimmung im ausverkauften Velodrom trübte das kaum. Zumal die Gastgeber mit Chris Hoy im Endlauf der Männer gegen Frankreich mit Weltrekord in 3:52,499 Minuten zu Gold fuhren und nicht nur Prinz William und seiner Gattin Kate ein Lächeln ins Gesicht zauberten. Alles in allem war es ein denkwürdiger Tag in London, der an Dramatik, Spannung und Spektakel kaum zu übertreffen war. Weder für die deutschen Teamsprinter - noch für die gut 6000 begeistert feiernden Zuschauer.