Hamburg/Aue. Wenn Stephan Swat spricht, klingt seine Stimme, als hätte er gerade eineinhalb Stunden gegen den Lärm einer mit 2250 Zuschauern ausverkauften Erzgebirgshalle angebrüllt. Tatsächlich sitzt der Trainer des Handballzweitligisten EHV Aue aber nur im Auto, als ihn das Abendblatt irgendwo zwischen Zwickau und Lößnitz am Telefon erreicht. Eine halbe Stunde zuvor hat Swat erfahren, dass seine Reha wieder einmal um 14 Tage verlängert wird. Seinen Optimismus lässt er sich dadurch aber nicht nehmen. „Das wird wohl noch dauern“, sagt der 43-Jährige mit heiserer und leicht angestrengt wirkender Stimme. Es gehe ihm zwar deutlich besser als noch vor ein paar Wochen, „aber noch lange nicht gut. Ich bin jetzt erst einmal glücklich, dass ich wieder zu Hause bei meiner Familie sein darf“, sagt Swat.
Wenn Swats EHV Aue an diesem Dienstagabend (18 Uhr/sportdeutschland.tv) beim HSV Hamburg (HSVH) gastiert, wird der 1,91 Meter große Ex-Profi zu Hause gemeinsam mit seiner Frau Romana, Sohn Jonko und Tochter Nalin vor dem Fernseher sitzen. Gerne hätte er seine Mannschaft zum Spiel beim Tabellenführer begleitet. In erster Linie ist Swat aber einfach nur dankbar. Dankbar, Corona überlebt zu haben.
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Stephan Swat erkrankte im November an Corona
Als der EHV Aue am 14. November einen glücklichen 28:27-Heimsieg gegen Bietigheim feierte, wusste Swat nicht, dass es 147 Tage dauern würde, bis er wieder in die Auer Erzgebirgshalle kommen würde. Acht Tage nach dem Spiel wurde der zweifache Familienvater positiv auf Corona getestet. Dass es kein harmloser Verlauf sein würde, merkte Swat schnell. Am 24. November hatte er bereits mehr als 40 Grad Celsius Fieber, am 25. musste er ins Krankenhaus.
Swat bekam nur wenig Luft, wurde auf die Intensivstation verlegt. „Die Werte waren katastrophal, absoluter Grenzbereich“, erinnert sich Swat. Als der EHV am 5. Dezember kurz vor Schluss einen 28:28-Ausgleich beim TV Hüttenberg verkraften musste, wurde Swat bereits künstlich beatmet. „Danach gingen bei mir buchstäblich die Lichter aus“, sagt er.
Überlebenschancen lagen zeitweise bei unter 20 Prozent
Einen Tag bevor ihn die Ärzte am 8. Dezember ins künstliche Koma versetzten, verkündete der EHV Aue, dass der Isländer Rúnar Sigtryggsson den Verein interimsweise übernimmt. Swats Vertrag, der in diesem Sommer ausgelaufen wäre, verlängerte der EHV bis Mitte 2022 – ohne zu diesem Zeitpunkt zu wissen, ob der 43-Jährige jemals als Trainer zurückkehren würde.
16 Stunden lag Swat pro Tag auf dem Rücken, acht auf dem Bauch. Mitbekommen hat er davon nichts. Seine Sauerstoffsättigung im Blut war auf dramatische 37 Prozent abgesackt, die Überlebenschancen lagen zeitweise bei unter 20 Prozent. „Als man mir das danach erzählt hat, musste ich schlucken“, sagt Swat, der 24 Kilogramm Gewicht verlor.
Vier Tage vor Heiligabend aus dem künstlichen Koma erwacht
Nach ein paar Tagen im Koma bestellten die Ärzte einen Hubschrauber, um ihn nach Leipzig zu verlegen. In Aue gab es keine „ECMO“ (extrakorporale Membranoxygenierung), ein intensivmedizinisches Gerät, das als Herz-Lungen-Ersatz eingesetzt wird. Die ECMO versorgt das Blut außerhalb des Körpers mit Sauerstoff und befreit es vom Kohlendioxid. Dieses Verfahren gilt bei schweren Corona-Verläufen in der Regel als letzte Behandlungsmöglichkeit. Wegen des schlechten Wetters konnte der Hubschrauber jedoch nicht abheben, Swat nicht nach Leipzig verlegt werden.
„Die Ärzte haben gesagt, dass ich einen Transport im Krankenwagen nicht überleben würde“, sagt Swat, „das muss ich im Unterbewusstsein mitbekommen haben. Danach hat bei mir der Kampf ums Überleben eingesetzt.“ Am nächsten Morgen verbesserten sich seine Werte minimal, vier Tage vor Heiligabend erwachte er aus dem künstlichen Koma. „Die Zeit vor und nach dem Koma ist noch sehr präsent“, sagt Swat. Tagsüber rang er nach Luft, nachts plagten ihn Albträume. „Das waren verdammt harte Tage, an denen man auch den körperlichen Verfall mitbekommen hat“, erzählt Swat, „wenn man Probleme hat, sich auf die Bettkante zu setzen, macht man sich natürlich seine Gedanken.“ An Heiligabend bedankte sich seine Familie mit einem Facebook-Post auf der Seite des EHV Aue für die Unterstützung.
Seit Februar ist Swat in der Reha
Als Swat auf der Intensivstation erfuhr, dass sich die Auer Spieler bei seiner Familie die früheren Trikots aus seiner aktiven Zeit besorgt hatten, um sie beim Einlaufen vor den Zweitligaspielen zu tragen, bekam er Gänsehaut. „Da liefen mir die Tränen aus den Augen. So war ich auch ein Teil des Spiels“, erzählt Swat. Auch seine Familie habe ihm immer wieder Kraft gegeben. „Bei Bewusstsein habe ich zu keinem Moment gesagt, dass ich nicht mehr leben will. Dafür sind mir das Leben und meine Familie einfach zu wichtig“, sagt er.
In der kritischen Phase durfte ihn seine Frau sporadisch besuchen. Zwar nur für kurze Zeit und im Schutzanzug – aber das war Swat egal. „Die Ärzte haben gesagt, dass ich die Besuche extrem gebraucht habe. Das hat mir immer einen Schub gegeben, um weiterzukämpfen“, erzählt er. Ende Januar wurde Swat von der Intensivstation entlassen, seit Februar befindet er sich in der Reha. Durch die lange Zeit im Intensivbett sind neben der Lunge auch Nerven in seinem rechten Arm beschädigt worden.
Swat hofft, im Sommer als Trainer zurückkehren zu können
Am 11. April kehrte er nach fünf Monaten erstmals in die Erzgebirgshalle zurück, nach dem Spiel gegen den TuS N-Lübbecke trank er mit seinen Spielern ein (kleines) Bier. „Obwohl ich das noch nicht richtig vertrage, war das ein unbeschreiblich schönes Gefühl und ein sehr emotionaler Moment“, sagt Swat, der hofft, im Sommer als Trainer zurückkehren zu können. „Am Ende müssen die Ärzte entscheiden, ob es wieder geht. Ich bin aber zuversichtlich“, sagt Swat, „Hoffnung habe ich aber immer.“
HSVH-Spielmacher Leif Tissier (21) ist nach seiner Knieverletzung ins Mannschaftstraining zurückgekehrt und wieder eine Option für den Kader. Kapitän Lukas Ossenkopp (28) fällt mit einem grippalen Infekt aus.
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