Die HSV-Handballer haben aus der finanziellen Not eine Tugend gemacht. Nie zuvor mischten so viele Nachwuchskräfte bei den Profis mit

Hamburg. Vier blitzsaubere Tore machte Kevin Herbst am Sonntag gegen die SG Flensburg-Handewitt. Trotzdem musste der 20-Jährige hinterher wieder die Trinkflaschen der HSV-Handballer zum Bus schleppen. „Wir Jungen tragen auch den Physiokoffer. Das gehört dazu, dass die Alten uns aufziehen“, sagt der Rahlstedter. Nachwuchsspielmacher Alexander Feld, 21, fügt an: „Nicht vergessen: Leibchen wegsammeln und Kraftraum aufräumen.“

Herbst und Feld gehören zu einer spannenden Generation an Talenten im Bundesligakader des HSV. Genau wie die Torhüter Max-Henri Herrmann, 20, und Justin Rundt, 19, Kreisläufer Tim-Oliver Brauer, 22, und der Rückraum-Linke Tim Stefan, 19. Sie sind die Gewinner der finanziellen Schieflage des Champions-League-Siegers von 2013. Oder wie es U23- und Profi-Co-Trainer Jens Häusler sagt: „Habe ich 14 Topspieler, ist die Liste voll. Jetzt haben wir nur noch acht bis neun Topspieler, sodass der Nachwuchs in diese Lücken stoßen kann. Unser System ist dieses Jahr durchlässiger.“ Dabei wurde die HSV-Nachwuchsarbeit bereits in den vergangenen Jahren ausgezeichnet, sechs Jahre in Serie erhielt der Club das Jugendzertifikat der Handball-Bundesliga. Das gelang nicht einmal dem Branchenprimus THW Kiel.

Ein besonderes Gespür für die Youngster beweist auch der neue Cheftrainer Christian Gaudin. Der Franzose lädt jeden Montag zu einem „Toptalente-Training“ für die jeweils besten C-, B-, und A-Junioren des HSV. Den gebürtigen Krefelder Alexander Feld entdeckte Clubpräsident Karl Gladeck höchstpersönlich beim Zweitligisten SC DHfK Leipzig – als „Schnäppchen ohne Risiko“, wie er erzählte. Feld selbst sagt: „In Hamburg hatten junge Spieler in den vergangenen Jahren selten eine Chance. Ich war selbst überrascht, dass der HSV mich verpflichten wollte. Ich bin hier eine ganz, ganz kleine Nummer.“ Bescheidene Worte, dabei zeigte sich Feld bereits mehrfach als wertvolle Entlastung für den neuen Stammspielmacher Kentin Mahé. Zudem ist er immer für zwei Tore gut.

Kevin Herbst, wie Feld Ex-Juniorennationalspieler, hat einen anderen Werdegang hinter sich. Herbst war der erste Hamburger, der den Sprung aus dem eigenen Nachwuchs zu den Profis schaffte. Zu seinen vier Toren in Flensburg (24:29) als Ersatz für den angeschlagenen Adrian Pfahl sagte Trainer Gaudin: „Er hat das gut gemacht, aber nicht vergessen: Er ist erst 20 Jahre alt.“ Herbst hört auf den Spitznamen „Caveman“ und gilt als „Straßenhandballer“. Ein cooler Typ, der auf sein linkes Handgelenk den Schriftzug „Faith“ tätowiert hat – „für den Glauben an mich“, sagt Herbst. Der Linkshänder hofft auch gegen den TBV Lemgo am Sonntag (O2 World/17.15 Uhr) auf Einsatzminuten. Herbst hat ein gesundes Selbstbewusstsein, er mache sich im Spiel keinen Kopf. „Er hat gar keinen Kopf“, ruft Jens Häusler lachend dazwischen. Der U23-Trainer kümmert sich neben Vizepräsident Gunnar Sadewater federführend um die Nachwuchsarbeit. „Ziel ist es, jedes Jahr mindestens ein Talent in die erste oder Zweite Liga zu bringen“, sagt Sadewater.

Neben Feld und Herbst hebt Häusler auch den deutsch-französischen Torhüter Max-Henri Herrmann hervor, der gerade seine Ausbildung zum Schifffahrtskaufmann abgeschlossen hat. „Maxi ist sehr reif. Er hat klare Vorstellungen, wohin er will.“ Herrmann ist in dieser Saison ein starker Backup für Johannes Bitter. Pech hatte U23-Keeper Rundt, der sich im Oktober das Kreuzband riss.

Wieder genesen ist dagegen Tim-Oliver Brauer nach seinem Anriss des vorderen und mittleren Außenbandes im linken Knöchel. Über den naturgewaltigen Nachwuchskreisläufer (1,95 Meter/115 Kilogramm) sagt Kollege „Alex“ Feld: „Olli ist ein ganz ruhiger mit einem sehr trockenen Humor, ich vergleiche ihn immer mit einem Teddybären.“ Feld, bis vor drei Monaten Sportsoldat, beschreibt, wie die Jungen von den Arrivierten Ratschlägen bekommen: „Pascal Hens gibt mir Tipps zum Tempowechsel oder Eins-gegen-Eins. Kenny Mahé kenne ich aus Dormagen. Wir sind auch privat befreundet und gucken oft zusammen Fußball.“

Kevin Herbst, ausgebildeter Anlagenmechaniker, wurde vom Teamsenior Davor Dominikovic, 36, unter die Fittiche genommen. Herbst berichtet von seinen anfänglichen Problemen bei Würfen von außen. „Davor meinte: ‚Komm, nach dem Training üben wir nochmal zehn Würfe‘.“ Seitdem lief es.

Eine Garantie, dass sich die Youngster beim HSV zu Stammkräften entwickeln, hat aber keiner. Häusler: „Das ist immer noch Profisport und kein Weihnachtsmarkt.“