HSV verliert 19:20 gegen den deutschen Meister THW Kiel, begeistert aber sein Publikum

Hamburg. Wenn die Zuschauer noch Minuten nach Spielschluss in der O2 World ausharren, ihre Mannschaft feiern und aus Tausenden Kehlen laute „HSV“-Rufe durch die Arena hallen, muss etwas Außergewöhnliches passiert sein. Selten wohl haben die Hamburger Handballer nach einer Niederlage derart intensiv die Sympathien ihrer Fans spüren dürfen.

Das für sie bittere 19:20 (7:12) gegen den THW Kiel rechtfertigte allerdings diese tiefe Zuneigung. Mit einer leidenschaftlichen Leistung wie gegen den deutschen Rekordmeister sollte der HSV in den nächsten Wochen jenen Kredit bei seinem Publikum zurückgewinnen können, den er beim Kampf um die Bundesligalizenz im Frühsommer offenbar verspielt hat.

Die Auswirkungen dieser Turbulenzen zeitigten gegen Kiel gleich in zweierlei Hinsicht Folgen. 8457 Besucher waren der bisher geringste Zuspruch bei einem HSV-Spiel gegen Kiel, und auch bei den Schiedsrichtern scheint sich der Club den Respekt früherer Jahre wieder erarbeiten zu müssen.

Selbst neutralen Beobachtern fiel auf, dass Lars Greipel und Marcus Helbig in strittigen Situationen dazu tendierten, in den Hamburgern die Übeltäter zu sehen. „Ich dachte, dass ich alle Sanktionen der Handball-Bundesliga gegen uns kennen würde“, kommentierte HSV-Geschäftsführer Christian Fitzek die Pfiffe der Referees süffisant.

Weltklasse! Bitter pariert 23 von 43 Würfen

50 Meter weiter vor der HSV-Kabine versuchte Torhüter Johannes Bitter das Ergebnis einzuordnen: „Wenn man sich die Punkte und Tore in der Tabelle anschaut, sieht das schon komisch aus. Irgendwann, da bin ich mir nach dieser Vorstellung ganz sicher, werden die Resultate zu unseren Gunsten umschlagen. Wir spielen so gut, dass wir Siege verdient haben.“ Mit einem Tor Unterschied gegen Kiel zu verlieren, das sei sehr schwer zu verdauen. „Wir haben aber allen gezeigt, dass wir eine großartige Mannschaft sind, die es verdient hat unterstützt zu werden.”

Die Hamburger hatten stark begonnen, nach 51 Sekunden durch Kentin Mahé und Torsten Jansen das 2:0 erzielt, das Publikum früh mitgerissen, und als Filip Jicha in der fünften Minute der erste Kieler Treffer zum 1:2 gelang, es sollte sein einziger bleiben, hätte der HSV eigentlich schon 4:0 führen müssen. Im Gegensatz zum Freitagspiel gegen Hannover-Burgdorf (23:23) stand die Abwehr kompakt, bot dem Weltklasse-Rückraum des deutschen Meisters kaum Lücken, um erfolgversprechend auf Bitters Tor werfen zu können. Der war an diesem Nachmittag ohnehin schwer zu überwinden, parierte insgesamt 23 von 43 Würfen, darunter zwei Siebenmeter, eine überragende Quote. „Jogi hatte einen Sahnetag; unglaublich, was er alles gehalten hat“, staunte Jicha hinterher.

Das Problem des HSV war lange Zeit der Angriff, einmal mehr in der neuen Saison. 27 Tore zum Auftakt in Gummersbach (27:27), 23 gegen Hannover und jetzt nur 19 gegen Kiel – den Hamburgern fehlt im Rückraum die Durchschlagskraft vergangener Spielzeiten, selbst wenn die erste Sieben auf dem Feld steht. Das kann nicht überraschen nach dem Abgang von gleich vier Weltklassespielern. Zwei von ihnen tragen inzwischen das Trikot des THW Kiel: Domagoj Duvnjak und Joan Cañellas. Sie wurden mit Beifall empfangen, im Spiel aber bei einigen Aktionen ausgepfiffen. „Insgesamt war es dennoch ein recht freundlicher Empfang“, meinte Duvnjak, der wie Cañellas dem Spiel seiner neuen Mannschaft keine Impulse geben konnte.

Mahé liefert in der zweiten Halbzeit ein starkes Spiel, wirft insgesamt fünf Tore

Das konnte von Kentin Mahé, 23, Duvnjaks Nachfolger als HSV-Spielmacher, diesmal nicht behauptet werden. Der Franzose besitzt alle Voraussetzungen, um einen exzellenten Regisseur abzugeben, er wirkt manchmal jedoch übermotiviert, sucht oft spektakuläre Lösungen, wo einfache zielführender wären. Aber es war dieser Mahé, der mit seiner wilden Entschlossenheit, seiner Quirligkeit die Aufholjagd erst ermöglichte. 8:14 lag der HSV nach 36 Minuten zurück, Jansen glich 20 Minuten später erstmals wieder aus, per Siebenmeter zum 17:17, kurz danach ebenfalls von der Linie zum 18:18 (58.). Die HSV-Fans tobten, erhoben sich von ihren Sitzen, und Kiels Trainer Alfred Gislason versuchte von der Außenlinie seine Reihen noch einmal zu ordnen. Das gelang. Rechtsaußen Christian Sprenger erzielte in der 59. Minute mit einem Trickwurf das 20:18 – die Entscheidung.

„Wenn wir früher den Ausgleich machen, kippt das Spiel vielleicht. Die Kieler wirkten auf mich angeschlagen, die hatten das Spiel schon abgehakt“, meinte der HSV-Halbrechte Adrian Pfahl. „So ist uns aber die Zeit davongelaufen.“ Der Linkshänder fürchtet jetzt, „je öfter wir solche knappen Spiele verlieren, desto mehr bleibt das in den Köpfen hängen. Wir haben eben nicht mehr diese überragenden Individualisten, die aus dem Nichts Tore werfen. Wir brauchen die mannschaftliche Geschlossenheit, wir müssen immer alles reinhauen.“ Er sei indes überrascht gewesen, wie fit das Team nur 44 Stunden nach dem Hannover-Spiel vom Freitagabend am Schluss noch war: „Konditionell sind wir in Topform. Das wird sich hoffentlich bald auszahlen.“

Davon ist Trainer Christian Gaudin fest überzeugt: „Diese Mannschaft wird von Spiel zu Spiel besser. Wir sind auf dem richtigen Weg.“ Was am nächsten Sonnabend am „Tag des Handballs“ im Frankfurter Fußballstadion gegen den deutschen Vizemeister Rhein-Neckar Löwen bewiesen werden kann.

Die Statistik

Tore, HSV Hamburg: Mahé 5, Hens 3, Jansen 3, Schröder 2, Simicu 2, Pfahl 2, Flohr 1, Hanisch 1

THW Kiel: Vujin 7 (1), Sprenger 4, Klein 2, Duvnjak 2, R. Toft Hansen 2, Palmarsson 1, Jicha 1, Ekberg 1 (1)

Schiedsrichter: Geipel/Helbig (Steuden/Landsberg)

Zuschauer: 8457

Zeitstrafen: 2; 5