Das Schiedsgericht der Handball-Bundesliga lässt den HSV Hamburg doch noch mitspielen – unter einer Bedingung

Hamburg. Leicht haben es sich Frank Lau, Rainer Cherkeh und Jürgen Punke wahrlich nicht gemacht. Fast acht Stunden harrten sie aus im Wintergarten des Hotels Holiday Inn in Minden, lauschten Anträgen und tauschten Ansichten, wälzten Akten und wägten Argumente. Um 20.53 Uhr öffnete sich endlich die Glastür vor dem graubraunen Vorhang, und das Schiedsgericht der Handball-Bundesliga (HBL) verkündete das unumstößliche Urteil: Dem HSV Hamburg steht für die kommende Saison doch eine Lizenz zu. Der Verein bleibt auch im 13. Jahr nach seiner Gründung erstklassig.

Damit wurde die einstimmige Entscheidung von Gutachterausschuss, Lizenzierungskommission und Präsidium der HBL in dritter und letzter Instanz außer Kraft gesetzt – und der Zwangsabstieg des letztjährigen Champions-League-Siegers in die Dritte Liga gerade noch abgewendet.

„Der HBL ist ein unerklärlicher Kapitalfehler unterlaufen, die Lizenz wurde vorschnell verweigert“, sagte HSV-Anwalt Thomas Summerer von der Münchner Kanzlei Nachmann. So weise das Urteil in den ersten Instanzen nicht nur formale und inhaltliche Unstimmigkeiten auf. Auch sei gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen worden. Anderen Vereinen sei in vergleichbaren Situationen die Chance eingeräumt worden, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu einem späteren Zeitpunkt nachzuweisen. „Auch in diesem Punkt ist das Schiedsgericht unserer Sichtweise gefolgt.“

Die Entscheidung ist allerdings an eine Bedingung geknüpft. Der HSV muss bis kommenden Dienstag, 17 Uhr eine Bankgarantie im mittleren siebenstelligen Bereich vorlegen, um die Liquidität nachzuweisen. Sie war beim deutschen Meister von 2011 zuletzt nicht mehr gegeben. Etwa 2,7 Millionen Euro fehlen. Spielergehälter und Hallenmiete konnten nicht mehr bezahlt werden.

Doch nun ist der HSV anscheinend in der Lage, den Betrag binnen der gesetzten Frist aufzubringen. Entsprechende Signale konnten die anwesenden Vereinsoffiziellen – Interimspräsident Frank Spillner, Geschäftsführer Holger Liekefett sowie der Aufsichtsrat und Mehrheitsgesellschafter Matthias Rudolph – den HBL-Vertretern geben.

Rudolph zeigte sich verhalten optimistisch: „Es gibt kurz- und langfristige Bedingungen, die zu erfüllen sind.“ Sollte das gelingen, wäre der Tabellen-16. der vergangenen Saison, HBW Balingen-Weilstetten, abgestiegen.

Der HSV hingegen hat wieder eine sportliche Perspektive – wenn auch keine besonders glänzende, nachdem etliche Leistungsträger den Verein verlassen haben. Zuletzt war Joan Canellas seinem Spielmacherkollegen Domagoj Duvnjak zum THW Kiel gefolgt. Für Kreisläufer Andreas Nilsson wurde noch ein Abnehmer gesucht.

Womöglich kann Trainer Martin Schwalb den Schweden wieder einplanen – wenn der HSV die überlebensnotwendige Finanzspritze erhält. Sie dürfte nur unter Beteiligung des ehemaligen Präsidenten und Mäzens Andreas Rudolph zu bekommen sein. Sein Rückzug am 8. Mai, eine Woche vor der ersten Lizenzentscheidung, hatte den Verein in eine akute Existenzkrise gestürzt.

Noch am 16. November, nach einem 32:27-Sieg in der Champions League gegen den späteren Titelträger Flensburg-Handewitt, hatte Andreas Rudolph den Verein als „wirtschaftlich gesund“ bezeichnet. Am 18. Februar dann, auf einer eigens von ihm anberaumten Pressekonferenz, war aus dem gleichen HSV für ihn plötzlich ein „Sanierungsfall“ geworden. Da war schon herauszuhören, dass er die Sanierung nicht mehr als seine Aufgabe erachtete.

Irgendwann in den 94 Tagen zwischen den beiden Aussagen muss Rudolph die Lust gänzlich vergangen sein an seinem Verein, den er 2004 in einem bemerkenswerten finanziellen Alleingang vor der sicheren Insolvenz gerettet hatte und in dem er seither mehr oder weniger allein den Ton angab: sechseinhalb Jahre als Präsident, Geschäftsführer und Anteilseigner, danach nur noch aus dem Hintergrund als Mäzen und Hauptsponsor. Als im vergangenen Herbst sein Bruder Matthias seinen Rücktritt als Präsident eingereicht und der neue Geschäftsführer Frank Rost nach nur sechs Wochen aufgegeben hatte, ließ sich Andreas Rudolph zu einer Rückkehr ins Amt überreden.

Überzeugt war er zu diesem Zeitpunkt wohl schon nicht mehr von der Sache. Vielleicht, weil die sportlichen Ziele erreicht und das Interesse am Handball insgesamt rückläufig waren. Vielleicht, weil ihm der Handball nicht mehr genug zurückgab für das, was er investierte. Und das war sehr viel: mindestens 20, eher 30, vielleicht sogar 40 Millionen Euro.

Ohne dieses Geld, das muss Rudolph bei seiner Rücktrittserklärung gewusst haben, wäre der HSV dem Untergang geweiht. Jetzt könnte er sich zum zweiten Mal zum Retter aufschwingen. Ob der Verein nach dem aufwühlenden Jahr endlich zur Ruhe kommt, wird sich zeigen. Die strukturellen Probleme sind jedenfalls längst nicht überwunden. „Hinter uns liegt ein Berg von Arbeit“, sagte Geschäftsführer Liekefett am Abend, „und nun ist da der nächste Berg Arbeit.“