Andreas Rudolph hat Millionen in die HSV-Handballer investiert. Wird er den Club in die Unabhängigkeit entlassen?

Hamburg. In der Handball-Bundesliga erzählt man sich noch heute mit Vergnügen die Geschichte von den Verhandlungen des HSV mit Blazenko Lackovic. Die geht angeblich so: Der Wechsel Lackovics von der SG Flensburg nach Hamburg im Frühjahr 2008 war abschließend verhandelt, es fehlte nur noch die Unterschrift des Kroaten unter den Vertrag. Im letzten Moment fiel Lackovic ein wesentliches Detail auf: Die vereinbarte Gehaltssumme sei netto und nicht brutto gewesen, das habe er mit Andreas Rudolph so abgesprochen. Der konnte sich auf Nachfrage des damaligen HSV-Sportchefs Christian Fitzek indes an nichts erinnern. Schließlich wies Rudolph Fitzek am Mobiltelefon an: „Egal, mach, was du willst, dann eben netto.“ Das Ergebnis zumindest ist bekannt: Lackovic, der den Club jetzt nach sechs Jahren zum Saisonende verlässt, stieg zu den Spitzenverdienern im Team auf.

Wahr oder unwahr, die Geschichte beschreibt, was bei den HSV-Handballern einst möglich war. Geld spielte in der Vergangenheit selten eine Rolle, fehlte es an den notwendigen Mitteln, war Präsident Rudolph als Hauptsponsor (GHD/GesundHeits GmbH Deutschland) oder Mäzen stets bereit, ausgleichend zu wirken. Der erfolgreiche Medizinunternehmer hat auf diese Weise wohl mehr als 35 Millionen Euro in den Verein gepumpt, privates Geld oder das seiner Firmen. Die genaue Summe weiß Rudolph allein.

Seit das Finanzamt aber vor drei Jahren sein Mäzenatentum als bei der Steuer nicht absetzbare Liebhaberei einstufte und rund sechs Millionen Euro Nachzahlungen von ihm forderte – es wurde dann eine weit geringere Summe –, begann Rudolph sein Engagement zu überdenken. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen, und die Launen des Unternehmers bringen den Club zunehmend ins Schlingern.

Brutto oder netto, im Moment zählt beim abgetretenen Champions-League-Sieger nur noch Cash. Bis Saisonende klafft zwischen den kalkulierten Ausgaben und den noch zu erwartenden Einnahmen ein Millionenloch. Rudolphs Zahlungsaussetzer – entgegen einer verpflichtenden Patronatserklärung gegenüber der Bundesliga – führten den Club zuletzt an die Schwelle der Insolvenz. Seit vergangenem Freitag glaubt der neue HSV-Geschäftsführer Holger Liekefett jedoch, wieder Vertrauen, Verantwortung und Verlässlichkeit bei Rudolph zu spüren, was Liekefett zu der Aussage veranlasste, dass der Verein allen Verpflichtungen nachkommen werde und die Lizenz für die nächste Spielzeit gesichert sei.

Liekefetts Hoffnungen ruhen auf seinem Arbeitspapier „Reset for the Future“, Neustart in die Zukunft. Das Konzept, das vieles im Verein infrage stellt und für alle Arbeitsfelder neue Lösungen skizziert, bietet Rudolph über die nächsten drei Jahre die Möglichkeit eines geordneten finanziellen Rückzuges an. Es ist genau jene passgenaue Offerte an den immer noch großzügigen Gönner, die sich Rudolph offiziell immer gewünscht hat; dass nicht mehr er vornehmlich die finanziellen Lasten schultern muss, sondern diese künftig auf mehrere starke Partner verteilt werden.

Ob der 59-Jährige die Abhängigkeit der HSV-Handballer von ihm wirklich verringern will, weiß niemand. Liekefetts Vorstoß trägt zwar die professionelle Handschrift des ehemals hochrangigen Managers der Carlsberg-Brauerei, ähnliche Pläne aber hatten seine Vorgänger schon in der Vergangenheit entwickelt. Vor vier Jahren etwa hatte der damalige HSV-Vizepräsident Dierk Schmäschke mithilfe des ehemaligen Lufthansa-Chefs Jürgen Weber renommierte Hamburger Unternehmer bewegt, sich an einem noch zu gründenden Wirtschaftsbeirat zu beteiligen.

Ein erstes Treffen hatte bereits stattgefunden, beim zweiten sollte Rudolph dazugebeten werden. Einen Tag vor dem Termin forderte Rudolph von Schmäschke, die Unterredung abzusagen, was geschah. Begründung: Er wolle keine kleinteilige Sponsorenstruktur. Übersetzt hieß das: Rudolph wollte seine Macht nicht teilen. Noch heute wird im Verein vermutet, dass diese Initiative Schmäschke das Amt des bezahlten HSV-Präsidenten kostete. Im Sommer 2011 sollte er Rudolph beerben. Dazu kam es nicht mehr. Schmäschke kehrte nach Flensburg zurück, weil Rudolph ihn über seine Absichten zu lange im Unklaren ließ. Heute sagt Rudolph sogar öffentlich: „Schmäschkes Weggang war ein großer Verlust für den Verein.“

Jetzt hat Rudolph Liekefett, 51, seinen „Traumkandidaten“, für den Posten des Geschäftsführers. Der scheint allerdings nicht gewillt, bei allem „Herzblut für das geile Projekt HSV Handball“ (Liekefett) sich den Stimmungen des Präsidenten zu unterwerfen. Nachdem Rudolph mit Frank Rost im vergangenen August und Christoph Wendt im Februar in dieser Saison bereits zwei von Liekefetts Vorgängern gefeuert hatte, ist der promovierte Biochemiker seine letzte Patrone. Das weiß Rudolph.

Wie unberechenbar Rudolph oft ist, zeigten einmal mehr die Tage um das Bundesligaspiel des HSV vor zwei Wochen in Magdeburg. Nach der 25:33-Pleite tobte er in der Kabine, warf den Profis mangelnde Einstellung vor. Nur 20 Stunden später lud er mehrere Spieler zu Ostern auf seine Finca nach Mallorca ein. Diesmal kam niemand.

Rudolphs innige Beziehung zu den Spielern, vor allem zu den altgedienten um Kapitän Pascal Hens, bleibt das Fundament seines Engagements. Und hier zeigt sich die andere Seite des Menschen Andreas Rudolph, seine Herzlichkeit, Wärme und Verantwortung. Allen beim HSV ist in bester Erinnerung, wie sich Rudolph im Januar 2010 nach dem Krebstod des Spielmachers Oleg Velyky für dessen Familie einsetzte, dafür sorgte, dass Velykys Frau Kataryna ihr Auskommen hat und Sohn Nikita eine gute Ausbildung erhält. Seine unzähligen Rücktritte vom Amt des Präsidenten und Sätze nach Niederlagen wie „Wir haben die falschen Spieler, den falschen Trainer, ich höre auf“ sind da fast schon verzeihlich. „Andreas“, sagt ein langjähriger Weggefährte, „wird den HSV-Handball nie im Stich lassen. Darauf können wir uns verlassen – wie auf seine Spielchen mit uns.“