Handballtorwart Johannes Bitter über seine Rückkehr ins Nationalteam und den HSV

Cloppenburg. Der Rücken schmerzt ein bisschen, aber das mit dem Comeback wird schon irgendwie gehen: Nach drei Jahren selbst gewählter Auszeit kehrt HSV-Torhüter Johannes Bitter, 31, bei den Testspielen gegen Ungarn an diesem Freitag in seiner Geburtsstadt Oldenburg (19 Uhr) und am Sonnabend in Lingen (20.15 Uhr/jeweils Sport1) ins Tor der Handballnationalmannschaft zurück. Seit Montag bereitet sich der Weltmeister von 2007 in Cloppenburg darauf vor.

Hamburger Abendblatt:

Herr Bitter, wie ist es, wieder ausschlafen zu können?

Johannes Bitter:

Sehr schön und erholsam. Aber das ist bestimmt nicht der Grund, warum ich wieder Nationalspieler geworden bin.

Was sagen Ihre Frau und die drei Söhne denn zu Ihrem Comeback?

Bitter:

Die finden es super. Der Große versteht es auch schon – wobei er mich gefragt hat, ob ich im Tor spiele oder auf dem Feld. Als ich ihm sagte, im Tor, war er beruhigt. Andernfalls hätte er sich schon Sorgen gemacht. Für meine Familie ist alles bestens. In der Regel bin ich es ja, der am meisten unter der Trennung leidet. Nichtsdestotrotz bin ich auch froh, hier sein zu können. Den Adler auf der Brust zu haben, auf dem Feld zu sein und die Nationalhymne singen zu dürfen, das ist schon ein Privileg, ein erhebendes Gefühl. Ein anderes, als mit dem Verein zu spielen, wie erfolgreich auch immer man dabei ist.

Wie intensiv haben Sie die Nationalmannschaft seit der WM 2011 verfolgt?

Bitter:

Sehr intensiv. Ich habe mir alle Spiele angeschaut und war geschockt, als wir die Qualifikation für die EM 2014 verpasst haben. Ich weiß natürlich auch, was jetzt in den WM-Play-offs im Juni gegen Polen auf dem Spiel steht.

Was denn?

Bitter:

Wir merken alle, dass das Interesse am Handball nicht mehr so groß ist wie noch vor ein paar Jahren. Da wäre ein Scheitern schon sehr traurig.

Henning Fritz, Ihr Vorgänger und jetziger Trainer im Nationalteam, sagte: Es geht um den Handball insgesamt.

Bitter:

Das ist mir etwas zu hoch aufgehängt. Die WM zu verpassen wäre nicht gleich der Weltuntergang. Und würden wir uns jeden Tag auf einem Flipchart vor Augen führen, was passieren könnte, wenn wir verlieren – dass vielleicht die Clubs ihre Etats reduzieren müssen, weil die Popularität des Sports sinkt –, dann würden wir einen großen Fehler machen. Viel wichtiger ist, dass wir uns unserer Stärken besinnen.

Für Sie persönlich geht es aber auch um den olympischen Traum von Rio 2016.

Bitter:

Das wäre zweitrangig und nicht aktuell. Viel wichtiger ist, was für die Mannschaft an diesem Spiel hängt. Ich war in London 2012 immerhin als Tourist, das hat mir auch gut gefallen.

Was haben Sie geschaut? Handball?

Bitter:

Nein, wir waren zur Zeit der Vorrunde dort und wollten uns eher andere Highlights anschauen: Beachvolleyball, Springreiten. Wir waren beim letzten Schwimmrennen von Michael Phelps dabei. Das war schon ein emotionaler Moment, ein bedrückender auch.

Wie war es, aus der Ferne der Nationalmannschaft zuschauen zu müssen?

Bitter:

Teilweise brutal. Die EM 2012 und die WM 2013 gingen mir durch Mark und Bein. Ich wollte dabei auch lieber allein sein. Ich war voll drin und habe geschwitzt, habe auch mal rumgepöbelt wie der schlimmste Fan auf der Tribüne. In dem Moment war schon ein bisschen Wehmut da, nicht dabei zu sein. Erst in letzter Zeit hatte ich ein bisschen Abstand gewonnen.

Wann kam es letztlich zum Entschluss zurückzukommen?

Bitter:

Ich war seit November in konkreten Gesprächen mit Martin Heuberger und Bob Hanning …

… dem Bundestrainer und dem DHB-Leistungssportchef …

Bitter:

… meine erste Reaktion war: Nein. Aber natürlich bin ich mit dem Gedanken weiterhin schwanger gegangen. Ich hatte ja auch das Gefühl, der Mannschaft helfen zu können. Irgendwann sagte meine Frau: „Mach dir nicht so viele Gedanken um mich und die Kinder, wir kriegen das hin. Wenn es für dich okay ist, mach es.“ Am nächsten Tag habe ich Martin Heuberger angerufen, und die Vorfreude war gleich da.

Trotzdem haben Sie Ihr Comeback zeitlich bis Juni befristet. Ist es nicht widersinnig, die Qualifikation zu spielen, aber auf die WM zu verzichten?

Bitter:

Für mich nicht. An meiner privaten Situation hat sich ja nichts geändert. Ich genieße die Zeit mit meiner Familie und kann es mir nicht vorstellen, einen ganzen Monat weg zu sein. Hinzu kommt, dass mein Körper, vor allem mein Knie, nicht mehr jede Belastung wegsteckt. Und ich würde schon gern noch ein paar Brötchen mit dem Handball verdienen. Es ist ja auch nicht so, dass wir in Deutschland keine guten Torhüter hätten. Wenn sich aber Silvio Heinevetter oder Carsten Lichtlein verletzen, stünde ich weiterhin bereit.

Neben Ihnen kehrt auch Michael Kraus ins Nationalteam zurück. Ist die junge Generation nicht stark genug, um sich selbst aus dem Schlamassel zu ziehen?

Bitter:

Wir haben tolle, gut ausgebildete Spieler mit viel Potenzial. Gerade das können wir Älteren ihnen vielleicht vermitteln: dass sie sich nicht zurückzunehmen brauchen. Sie alle sind herausragende Spieler der Bundesliga, deshalb sind sie in der Nationalmannschaft. Was mir aufgefallen ist: Es fehlt ein bisschen die Lockerheit, die Gelöstheit. Darauf will ich versuchen einzuwirken.

Wie stark ist diese Mannschaft?

Bitter:

Ich bin überzeugt, dass wir mit Polen auf Augenhöhe sind. Sie haben im Rückraum unheimlich starke Individualisten. Unser Trumpf kann und muss der Teamgedanke sein: dass jeder für den anderen spielt. Der Zusammenhalt sollte uns zum Erfolg tragen.

Werden Sie sich zur Vorbereitung noch einmal das WM-Finale von 2007 anschauen, als Sie mit Ihren Paraden gegen Polen den Titel sicherten?

Bitter:

Ich höre oft, dass sich für mich da ein Kreis schließt, weil wir wieder so ein wichtiges Spiel gegen Polen haben. Das ist mir alles zu konstruiert. Aber das Spiel noch mal sehen – warum nicht? Es wäre das zweite Mal überhaupt.

Wirklich?

Bitter:

Ja. Das erste Mal war ein paar Tage nach dem Finale, im Rahmen einer kleinen WM-Party, die wir mit Freunden in Magdeburg gemacht haben. Aber seitdem? Klar, ich hab’s als Video zu Hause, aber es liegt einfach nur da.

Sind Sie froh, nach dem Champions- League-Aus Urlaub vom HSV zu haben?

Bitter:

Etwas Positives an der Nationalmannschaft war für mich immer, einmal ein anderes Training zu machen, andere Spieler zu treffen, andere Luft zu schnuppern. Nach so einem unglücklichen Erlebnis wie am vergangenen Sonntag gilt das umso mehr.

In dieser Saison geht für den HSV wohl nicht mehr viel. Wie die künftige Mannschaft aussieht, ist unklar. Sorgt Sie das?

Bitter:

Ich mache mir natürlich meine Gedanken. Da ich nicht in die Planung involviert bin, bleibt mir nur zu hoffen, dass sich der Kader noch in der Breite und Qualität verbessert. Mit den Spielern, die bisher einen Vertrag haben, wird es eine verdammt lange Saison.