HSV-Handballer vergeben in Skopje beim 28:28 im Achtelfinalhinspiel der Champions League eine Sechstoreführung. Pascal Hens sieht die Rote Karte

Skopje . Pascal Hens, 33, hatte sich die Kapuze seiner grauen Trainingsjacke tief ins Gesicht gezogen, die weiblichen Fans erkannten den Kapitän der HSV-Handballer beim Verlassen des Boris Trajkovski Sports Center dennoch. Hens reagierte wie immer, freundlich, professionell, stellte sich auf dem Weg zum Mannschaftsbus geduldig den Handykameras, nahm die Frauen und ihre Partner für die Fotos in den Arm, lächelte, grinste und scherzte, obwohl ihm danach nicht zumute war.

Gerade eine halbe Stunde vorher war er von ebendiesen Leuten ausgepfiffen worden. Im Achtelfinalhinspiel der Champions League beim mazedonischen Meister RK Vardar Skopje hatte der Halblinke in der 51. Minute Rot gesehen, als er beim hastigen Zurücklaufen Linksaußen Timur Dibirow mit der linken Hand unterm Auge traf. Die erste Reaktion des Russen, „ich kann nichts mehr sehen“, schockte Hens, später im städtischen Krankenhaus stellte sich die Verletzung als relativ harmlos heraus. Dibirow wird am nächsten Sonntag (18.45 Uhr, Sporthalle Hamburg) beim Rückspiel dabei sein, wenn es beim „Halbzeitstand von 28:28“ (HSVTrainer Martin Schwalb) noch einmal 60 Minuten lang um den Einzug ins Viertelfinale geht. Genau wie Hens, dem die Schiedsrichter keine grobe Unsportlichkeit bescheinigten. Auf einen Bericht, der zu einer Sperre geführt hätte, verzichteten sie. „Das war keine Absicht“, beteuerte der HSV-Kapitän, „das war einfach eine unglückliche Aktion. Er ist voll in meine Hand gerannt.“

Fand die Rote Karte bei der nächtlichen Aufarbeitung des Spiels noch Zustimmung, Tenor: „Kann man geben“, konnten sich die Hamburger mit anderen Entscheidungen der Referees nicht anfreunden. 14 der 60 Minuten hatte der HSV in Unterzahl verbracht, während die beiden Ungarn das in der Abwehr nicht minder rustikale Zupacken der Mazedonier bloß mit zwei Zweiminutenstrafen ahndeten, wobei die zweite mit der Schlusssirene erfolgte. Entsprechend kühl fiel das Wiedersehen am Sonntagmorgen um halb fünf Uhr auf dem Flug von Skopje nach Wien aus.

Über sich selbst durften sich die Hamburger ebenfalls ärgern, was sie, das ließen ihre verdrießlichen Mienen vermuten, auch taten. Es war nämlich ein lange einseitiges Spiel, in dem der taktisch und kämpferisch optimal eingestellte HSV nach 24 Minuten 14:8 und vier Minuten vor Schluss 27:24 führte, das mit 28:28 unerwartet unerfreulich endete und die Spieler des Champions- League-Siegers zu Erklärungen zwang.

Rechtsaußen Stefan Schröder warf zwölfmal und traf neunmal

„Vom Gefühl her haben wir hier den Sieg verschenkt“, meinte Davor Dominikovic. Daran trug der Abwehrchef Mitschuld, als er in der zweiten Hälfte die hinteren Reihen nicht mehr geschlossen halten konnte. Allerdings hatten die Mazedonier, angetrieben von Alex Dujshebaev, dem Sohn des vom HSV einst begehrten Trainers Talant Dujshebaev, das Tempo nach dem Seitenwechsel merklich erhöht, nun auf schnelle statt auf große Spieler gesetzt, was den Hamburgern besonders in Unterzahl auf Dauer zu schaffen machte.

„Wir haben in dieser Phase zu viele einfache Tore kassiert“, kritisierte Schwalb. Für den ehemaligen Präsidenten Matthias Rudolph lagen die Versäumnisse im Angriff: „Einige von uns hatten eine miserable Trefferquote.“ Gemeint war Welthandballer Domagoj Duvnjak, der bei elf Versuchen nur vier Bälle ins Tor wuchtete, weil er in kritischen Momenten Verantwortung übernahm, zu selten aber die dafür optimale Wurfposition suchte. Duvnjak, das ist zu spüren, will vor seinem inzwischen auch für ihn schmerzlichen Wechsel im Sommer nach Kiel seinem Team noch so viel wie möglich helfen. Dabei findet er nicht immer das richtige Maß.

Das Rückspiel in Hamburg geht der HSV trotzdem mit dem nötigen Selbstbewusstsein an. „Zu Hause musst du in der Champions League gewinnen, und das darf man vom amtierenden Champions- League-Sieger auch erwarten“, sagte Torhüter Johannes Bitter, mit elf Paraden der gewohnt zuverlässige Rückhalt. Ohne ihre lautstarke und sangesfreudige Kulisse im Rücken fehlten den Mazedoniern zuletzt in der Fremde oft die sie in Skopje auszeichnende Dynamik. Wobei der HSV das Publikum früh ruhiggestellt hatte, was nicht nur wegen der anfangs komfortablen Führung leichtfiel. Die Polizei hatte den harten Kern der Fans nur gegen Vorzeigen ihrer Pässe auf die Stehtribüne gelassen. Darauf verzichteten die meisten, weshalb die Halle zwar ausverkauft, jedoch nicht voll besetzt war.

Der HSV muss sich diese Woche zunächst auf das Bundesligaspiel am Donnerstag (20.15 Uhr, O2 World) gegen die Füchse Berlin konzentrieren, um sich seine Chancen im Meisterschaftskampf zu erhalten. Der Titelgewinn sei zwar derzeit kein Thema, sagt Schwalb, „unser Ziel ist es nur, die letzten achfast Spiele zu gewinnen. Dann werden wir sehen, was passiert.“ Gegen Berlin kehrt Rechtsaußen Hans Lindberg nach seiner Fingerverletzung zurück. Wie wichtig es ist, jede Position doppelt gut besetzt zu haben – was in der nächsten Saison aufgrund der zögerlichen Personalplanungen nicht mehr der Fall sein könnte –, zeigte sich einmal mehr in Skopje. Stefan Schröder, 32, war mit neun Treffern bei zwölf Würfen erneut bester Schütze des HSV. Die Werbung, die er künftig für den Verein machen soll, macht er jetzt in eigener Sache. Und das kommt gut an. „Schrödi ist eine Maschine“, sagte Schwalb. Das ist das höchste Lob, das der Trainer vergibt.

Tore, Skopje: Dibirow 9 (2 Siebenmeter), Karacic 4 (1), A. Dujshebaev 4, Pribak 3, Brumen 3, Tschipurin 3, Toskic 1, Petric 1; HSV: Schröder 9, Hens 5, Duvnjak 4, Cañellas 3 (2), Markovic 3, Jansen 1, H. Toft Hansen 1, Nilsson 1, Mahé 1. Schiedsrichter: Dobrovits/Tajok (Ungarn). Zuschauer: 6400. Zeitstrafen: 2; 6. Rot: Hens wegen Tätlichkeit (51.).