Im Champions-League-Achtelfinale erwartet den Titelverteidiger ohrenbetäubender Lärm

Skopje. Als die Spieler des Handball-Sport-Vereins Hamburg am Freitagabend gegen halb sieben das Boris Trajkovski Sports Center in Skopje betraten, wärmte draußen immer noch die Frühlingssonne die mazedonische Hauptstadt mit angenehmen 19 Grad Celsius. In der Arena schraubten gerade ein paar Handwerker auf der Tribüne Sitze fest. Ihre Gespräche waren auf dem Feld zu hören wie das Quietschen der Schuhsohlen der Hamburger bei ihrem lockeren Abschlusstraining. Eine trügerische Kulisse.

An diesem Sonnabend (18 Uhr, Eurosport; Co-Kommentator ist der verletzte HSV-Profi Adrian Pfahl) wird in der dann voll besetzten Halle eine andere Atmosphäre herrschen. Kein Wort wird unten auf dem Parkett zu verstehen sein, wenn der heimische Landesmeister Vardar Skopje, angefeuert von bis zu 7000 enthusiastischen Fans, den Titelverteidiger aus der Champions League zu werfen versucht. Kühlen Kopf bewahren, sich nicht auf Diskussionen mit den ungarischen Schiedsrichtern einlassen, hat HSV-Trainer Martin Schwalb als Devise an seine Profis ausgegeben, „und wir sollten in jeder Situation daran denken, dass es auch noch ein Rückspiel gibt“. Das droht indes im Vergleich zur ersten Begegnung am 30. März (18.45 Uhr) in der Sporthalle Hamburg in Winterhude ein Kammerspiel zu werden, obwohl auch die HSV-Anhänger zu laut vernehmbaren Gefühlsausbrüchen fähig sind.

„Wir haben Respekt vor der Kulisse, aber wir sind alle erfahren genug, um mit diesem Publikum umgehen zu können. Da macht sich keiner mehr in die Hose. In Skopje herrscht eine sehr emotionale, aber keinesfalls eine feindselige Stimmung. An solchen Aufgaben können Mannschaften auch wachsen“, sagt HSV-Kapitän Pascal Hens. Vor zwei Jahren siegten die Hamburger in einem Gruppenspiel der Champions League bei Vardars Stadtrivalen Metalurg 25:23, nachdem Torhüter Johannes Bitter zu Beginn der zweiten Halbzeit zehn Minuten lang seinen Arbeitsplatz sauber und die Halle ruhig gehalten hatte. Und auch Hens’ Erinnerungen an die Europameisterschaft 2012 in Serbien, seinen letzten Auftritt für Deutschland, sind noch frisch, als die deutsche Nationalmannschaft in Nis den späteren EM-Fünften Mazedonien 24:23 besiegte. Damals flogen massenweise Feuerzeuge und Münzen aufs Spielfeld, die Begegnung stand vor dem Abbruch.

Der gelungene EM-Auftritt im nördlichen Nachbarland hat den mazedonischen Handball entscheidend befeuert. Und da seit einem Jahr beim Rekordmeister RK Vardar Skopje der russische Geschäftsmann Sergej Samsonenko das Sagen hat, sind die Ziele auch der Vereine hochgesteckt. „Wir haben das Achtelfinale der Champions League erreicht. Das ist der Anfang. Jetzt wollen wir Titel gewinnen“, skizzierte Samsonenko vor dem Duell mit dem HSV seine Ambitionen. An Geld wird es beim Umsetzen dieser Vorhaben nicht mangeln: „Die Spieler, die wir brauchen, können wir uns holen.“

Ein Kandidat ist der HSV-Halblinke Blazenko Lackovic, 33. Laut mazedonischen Medien soll er bereits einen Einjahresvertrag mit Option auf Verlängerung um eine weitere Saison unterschrieben haben. „Es ist schade, dass ich den HSV am Saisonende nach sechs erfolgreichen Jahren verlassen werde. Ich wäre gern geblieben. Aber ich verstehe den Verein, dass er für die nächste Saison anders plant“, sagt Lackovic.

Wie stark Vardar Skopje schon heute ist, bewies die Mannschaft in den Champions-League-Heimspielen gegen Clubweltmeister FC Barcelona (29:29) und das Scheichteam Paris Saint-Germain (24:24) mit dem ehemaligen HSV-Kreisläufer Igor Vori. „Vardar ist der spielstärkste Gegner, den wir als Gruppensieger fürs Achtelfinale ziehen konnten“, sagt Schwalb. Hinzu kommt: Die Champions League hat für den Club Priorität, in der südosteuropäischen Seha-Gazprom-Liga mit zehn Spitzenteams aus Bosnien, Kroatien, Montenegro, Serbien, der Slowakei und Mazedonien schonte der spanische Trainer Raúl González Gutiérrez nach dem Erreichen des Halbfinales seine Besten. In der nationalen Liga muss Vardar erst in den Play-offs ran.

„Bei aller Wertschätzung für Vardar gilt: Wir wollen hier gewinnen“, sagt Schwalb. Damit das auch klappt, werden die Spielmacher Domagoj Duvnjak und Joan Cañellas ihre Angriffssysteme wie „Wetzlar“ oder „Lemgo“ nicht mit Worten, sondern diesmal mit Fingern ankündigen. Der HSV, das hat er in der vergangenen Woche geübt, setzt auf Zeichensprache. Am Ende sollen Zeige- und Mittelfinger gespreizt werden – zum „V“ für Victory.