Spaniens HSV-Spielmacher Joan Cañellas agierte im EM-Halbfinale gegen Frankreich überragend, verlor aber dennoch. Für die „Grande Nation“ ist es das dritte EM-Endspiel – noch kein Finale ging verloren.

Herning. Als die letzte Sirene in der Jyske Bank Boxen in Herning ertönte und 14.000 Fans die Sieger beklatschten, schaute Joan Cañellas apathisch ins Nichts. Der Regisseur des HSV Hamburg hatte teils überragend agiert, zehn Tore bei elf Würfen erzielt. An insgesamt 17 der 27 Tore der spanischen Nationalmannschaft war er beteiligt. Am Ende aber unterlag Spanien Olympiasieger Frankreich mit 27:30 (14:12)-Toren. Die Iberer kämpfen bei der 11. Handball-Europameisterschaft nun am Sonntag um Bronze. Gegner ist das Team aus Kroatien (mit Domagoj Duvnjak), das im zweiten Halbfinale gegen Dänemark (mit Hans Lindberg) 27:29 (15:13) verlor. „Wir waren lange gleichwertig“, sagte Cañellas geknickt, „aber dann wurden wir müde, haben Würfe aus schlechteren Positionen genommen. Das war entscheidend.“

Trotz der Niederlage zeigte sich, welch einen Ausnahmespieler der HSV in seinen Reihen hat, der die Qualität hat, bald eine Hauptrolle in Hamburg einzunehmen. Ab Juni, wenn Duvnjak nach Kiel wechselt, muss Cañellas das Spiel des Champions-League-Siegers prägen und lenken, im Verbund mit Kentin Mahé, dem 22-jährigen Franzosen, der bei der Europameisterschaft nicht zum Einsatz kam.

Cañellas zählt eindeutig zu den Malochern beim schwersten Turnier der Handballwelt. Über dreieinhalb Stunden hatte der Rechtshänder schon vor dem Halbfinale auf dem Parkett gearbeitet, deutlich länger als Dani Sarmiento und Raul Entrerrios (FC Barcelona) – die Belohnung von Trainer Manuel Cadenas für Cañellas starke Auftritte beim HSV in dieser Saison. Und der bullige Mittelmann dankte das Vertrauen mit jetzt 42 Toren (davon 15 Siebenmeter). Dabei hatte er mit 76 Prozent unter den Rückraumschützen des Turniers die deutlich beste Quote.

Cañellas ist nicht das, was man in der Sportsprache einen „Aggressive Leader“ nennt, er ist kein Nikola Karabatic. Scheinbar schüchtern und schleichend leitet er die Angriffe ein, den Kopf gesenkt, scheinbar introvertiert die Körpersprache. Aber dieser Eindruck eines Handballphlegmatikers täuscht. Die Physis des Spaniers zählt zum Stärksten, was der Welthandball derzeit zu bieten hat. Mit großer Wucht, unter vollem Einsatz seines Körpers, bricht er durch die Abwehr und sucht den direkten Weg zum Tor. Meist erfolgreich. Trifft er am Sonntag dreimal, ist ihm der Titel des EM-Torschützenkönigs nicht zu nehmen, da der bislang führende Gudjon Valur Sigurdsson (44) mit Island bereits ausgeschieden ist.

Aber es nicht nur die enorme Torgefährlichkeit. Dass Cañellas neben Karabatic, Duvnjak und dem Isländer Aron Palmarsson bereits jetzt zu den großen Regisseuren des Handballs zählt, belegen seine 18 Assists bis zum Halbfinale. Gegen die abwehrstarken Franzosen startete Cañellas jedoch katastrophal in die Partie. Als er in der zehnten Minute ausgewechselt wurde, verzeichnete er lediglich einen Assist, seine Abwehrarbeit war dürftig. Der Weltmeister lag mit 2:6 klar zurück.

In der 19. Minute kehrte er aufs Spielfeld zurück, und nun explodierte Cañellas förmlich. Die Initialzündung für den Mittelmann war der Durchbruch gegen Frankreichs Starspieler Luka Karabatic, den er mit seinem ersten Tor zum 8:11 abschloss. Es folgten zwei Assists zum 9:11 und 10:13, schließlich kassierte Luka Karabatic eine Zeitstrafe beim Bemühen, die zentrale Figur des spanischen Spiels zu stoppen.

Nun drehte Cañellas erst richtig auf und traf viermal in Folge. Als er in der letzten Sekunde der ersten Halbzeit seinen zweiten Strafwurf zur spanischen 14:12-Führung verwandelte, trommelte er mit seinen Fäuste auf die Brust. Mit zehn perfekten Minuten Handball hatte der „Schleicher“ dieses Halbfinale quasi im Alleingang gedreht.

Nach der Pause leitete Cañellas das 16:13 (34.) für Spanien ein. Doch kurz darauf leistete er sich eine unnötige Zeitstrafe, die Frankreich zu fünf Toren in Folge nutzte. Erst Cañellas brach mit einem Siebenmeter, seinem sechsten Treffer, den Bann, verkürzte zum 18:17 (37.). Aber beim nächsten Strafwurf scheiterte er und kassierte die nächste, allerdings umstrittene Zeitstrafe.

Dennoch, Cañellas lief weiter auf Hochtouren, mit zwei Würfen aus dem Feld stand es wieder 20:20-Remis (43.), und mit einem harten Schlagwurf glich er zum 23:23 (49.) aus. Danach aber humpelte Cañellas, er schien stehend K.o. Cañellas gelang nur noch ein Tor zum 27:29 (58.). So verpasste Spanien das Finale und musste erkennen, wie abhängig das Team von diesem überragenden Individualisten Cañellas ist.

Jubel dagegen bei den Franzosen: Nach dem Hauptrunden-Aus vor zwei Jahren und Rang sechs bei der WM vor zwölf Monaten giert die „Grande Nation“, die den Welthandball zwischen 2006 und 2011 beherrschte, nach einem Titel. Die Partie am Sonntag ist für Frankreich das dritte EM-Endspiel – noch kein Finale ging verloren.