Handballkeeper Johannes Bitter spricht über die Rolle der Talente, die Chancen der Rückserie und einen Vorwurf von Präsident Andreas Rudolph.

Hamburg. Es gab Zeiten, da musste sich der HSV Hamburg mit anderen Vereinen zusammentun, um seinen Profis im Januar überhaupt ein vernünftiges Training anbieten zu können. Der Januar gehört im Handball den Nationalmannschaften, die sich bei Welt- und Europameisterschaften messen. Doch in diesem Jahr sind es lediglich fünf und nicht mehr wie einst zehn Akteure, die der HSV für die EM abstellen muss: Domagoj Duvnjak (Kroatien), Hans Lindberg (Dänemark), Kentin Mahé (Frankreich), Joan Cañellas (Spanien) und Andreas Nilsson (Schweden).

Und so konnte Martin Schwalb beim Trainingsauftakt des Champions-League-Siegers am Donnerstag immerhin zwölf seiner Spieler in der Volksbank-Arena begrüßen, unter ihnen auch Blazenko Lackovic, der wegen Knieproblemen aus dem Trainingslager der kroatischen Nationalmannschaft abgereist war. Johannes Bitter kehrte hingegen gut erholt aus der zweiwöchigen Pause zurück. Die 24:35-Niederlage am zweiten Weihnachtstag in Kiel schien bei dem deutschen Toptorwart nicht mehr nachzuwirken.

Hamburger Abendblatt: Herr Bitter, wie oft haben Sie in den Ferien an Kiel gedacht?

Johannes Bitter: Einmal vielleicht. Für uns Sportler ist das schon ewig weit weg. Es war kein gutes Spiel von uns, wir haben es zu Recht verloren.

Mehr Erkenntnisse lassen sich nicht daraus ziehen?

Bitter: In Kiel zu verlieren ist schon vielen Mannschaften passiert, auch in der Höhe. Wir haben Fehler gemacht, die uns nicht zu oft passieren sollten. Aber deshalb muss man nicht gleich alles infrage stellen.

Präsident Andreas Rudolph hat Zweifel an der Moral der Mannschaft geäußert. Würden Sie das gelten lassen?

Bitter: Es ist schwer, hundertprozentigen Zusammenhalt heraufzubeschwören in einem Spiel, in dem es nicht gut läuft. Dafür ist jeder zu sehr mit seinen eigenen Fehlern beschäftigt. Grundsätzlich kann man der Mannschaft die Moral aber nicht absprechen, das haben wir in den Wochen zuvor bewiesen, als wir manches Spiel noch herumgerissen und knapp gewonnen haben.

Was ist in dieser Saison für den HSV noch möglich?

Bitter: Der Pokalsieg nicht, so viel ist sicher. In der Meisterschaft wird es angesichts von fünf Punkten Rückstand auf Kiel sehr schwer. Aber in der Champions League sind wir gut dabei. Und unser Hauptziel bleibt wie in jedem Jahr, einen Champions-League-Startplatz für die nächste Saison zu sichern. Das ist fürs Renommee des Vereins, aber auch für uns Spieler sehr wichtig. Wir haben jedenfalls schon oft genug eine starke Rückrunde gespielt.

Am Sonntag beginnt in Dänemark die EM. Verspüren Sie knapp drei Jahre nach Ihrem Rückzug aus der Nationalmannschaft noch einen Phantomschmerz?

Bitter: (überlegt lange): Von Schmerzen würde ich nicht sprechen. Es war eine sehr bewusste Entscheidung. Ich habe in den vergangenen Jahren meine Grenzen kennengelernt, was sowohl meine körperliche Belastung betrifft als auch alles andere, was im Leben wichtig ist. Im Moment denke ich nicht über eine Rückkehr nach, aber ich schließe sie weiterhin nicht aus.

Wie schwer fällt es, sich auf den HSV zu konzentrieren bei allen Turbulenzen, die es in den vergangenen Monaten rund um den Verein gab?

Bitter: War es bei uns turbulent? Im Ernst: Ich will nicht bestreiten, dass man sich auch mal mit Vorgängen im Verein beschäftigt. Aber wir Sportler tun gut daran, uns auf unsere Aufgaben zu konzentrieren. An allem anderen können wir ohnehin nichts ändern.

Der HSV hat im Juni die Champions League gewonnen, trotzdem ist das Interesse der Zuschauer rückläufig. Wurde der Schwung dieses Triumphs nicht ausreichend genutzt?

Bitter: Der schlechte Saisonstart mit den beiden Auftaktniederlagen in der Bundesliga mag dazu geführt haben, dass einige die Lust verloren haben. Mein Eindruck in den vergangenen Wochen war aber, dass das Interesse wieder angezogen hat. Es ist, ganz unabhängig von unserer Leistung, sicher insgesamt schwieriger geworden, das Publikum zu mobilisieren. Das betrifft andere Standorte aber genauso. Natürlich sind die Erwartungen nach dem Hype um die deutsche Meisterschaft 2011 sehr groß. Wir müssen das Handballpotenzial dieser Stadt weiter ausschöpfen.

Wie geht es Ihrem Knie knapp zwei Jahre nach dem Kreuzbandriss?

Bitter: Insgesamt gut. Aber ich muss einiges dafür tun, um beschwerdefrei trainieren zu können. Und ich brauche meine Pausen. Aber die bekomme ich beim HSV auch.

Dank Neuzugang Marcus Cleverly, der eine starke Saison spielt. Jetzt ist er möglicherweise auf dem Absprung nach Kopenhagen. Kann Nachwuchsmann Max-Henri Herrmann ihn schon ersetzen?

Bitter: Vorstellen kann ich mir das. Was er braucht, ist Spielpraxis, die Chance, sich in der Bundesliga dauerhaft zu beweisen. Als Torwart brauchst du das, weil du nun einmal in jeder Spielsituation hundertprozentig gefordert bist. Einem Linksaußen kann es passieren, dass das ganze Siel nur über rechtsaußen läuft. Was Max’ Einstellung betrifft, ist er allemal so weit. Aber sich durchzusetzen ist beim HSV nun einmal sehr schwer. Man sieht das auch an Kentin Mahé, der in der Bundesliga seit Jahren Leistung gebracht hat und bei uns manchmal nicht mal im Kader ist.

Dennoch sollen Spieler wie er, Petar Djordjic und vielleicht Herrmann nächste Saison Verantwortung übernehmen. Kann das gut gehen?

Bitter: Man muss sehen, wie schwer diese Entscheidungen für Martin Schwalb sind. Wir können es uns nun einmal nicht leisten, groß zu experimentieren. Für die Jungs ist das sicher eine schwere Zeit. Aber sie sind jung genug, um das als Ansporn zu nehmen, noch mehr Gas zu geben. Die Gefahr, dass Talente in so einer Situation verbrennen, ist allerdings nicht von der Hand zu weisen.

Ist der Umbruch, den der HSV nächste Saison mit dem Abgang von Domagoj Duvnjak zum THW Kiel zu verkraften hat, noch größer als in dieser Saison mit den acht Neuzugängen?

Bitter: Wenn ein Mittelmann dieses Niveaus weggeht, ist es immer problematisch. Aber Joan Cañellas hat bei uns auf Anhieb angedeutet, was er kann, sowohl offensiv als auch defensiv. Er ist ein anderer Spielertyp als Dule, gehört aber zu den besten Mittelleuten auf der Welt. Mir ist vor der Zukunft nicht bange.