Der ehemalige Nationalspieler Adrian Wagner traut in seinem Gastbeitrag für das Abendblatt den Hamburger Handballern eine erfolgreiche Saison zu.

Hamburg. Nach 35 Tagen Saisonvorbereitung, abgeschlossen am Freitagabend mit dem 27:26-Sieg gegen den dänischen Vizemeister Kolding Kopenhagen, kann ich feststellen: Den HSV-Handballern ist der Umbruch besser gelungen als anderen Mannschaften in vergleichbaren Situationen. Natürlich sind die sechs, zum Teil vom Club gewollten Abgänge schmerzhaft. Die Lücken sind aber gut geschlossen worden. Nur bei der Kreisläuferposition bin ich mir noch unsicher. Igor Vori zu ersetzen ist schwer genug. Bis sich blindes Verständnis zwischen den Rückraum und den Kreisläufern Henrik Toft Hansen und Andreas Nilsson einstellt, kann es Monate dauern – zumal ja auch auf der Mittelposition mit Joan Cañellas und Kentin Mahé zwei Neue dirigieren. Die Champions-League-Qualifikation in dieser Woche gegen die besser eingespielten Füchse Berlin (21. /23. August) stellt daher eine Herausforderung dar.

Bei Titelverteidiger THW Kiel, den vier seiner besten Spieler verlassen haben, rechne ich am Saisonanfang mit größeren Leistungseinbußen als beim HSV. Allerdings kommt dem Rekordmeister zugute, dass dort im Umfeld alles wie auf Schienen läuft. Du kannst dich dort als Profi immer voll auf den Handball konzentrieren. Zur Rückrunde aber sollte der THW wieder sein gewohntes Topniveau erreicht haben. Die SG Flensburg-Handewitt könnte derweil der Nutznießer des Umbruchs der beiden Topvereine sein. Die Mannschaft bleibt weitgehend intakt, spielt einen tollen Handball und macht das Beste aus ihren beschränkten finanziellen Möglichkeiten, was für die Arbeit von Trainer Ljubomir Vranjes spricht.

Der HSV hat den Vorteil, sich auf einen Kader stützen zu können, der mit 20 Spielern breit ist wie noch nie. Bis auf Linksaußen ist jede Position dreifach besetzt, wenn man den weiter verletzten Oscar Carlén hinzurechnet. Ich kann daran nichts Verwerfliches erkennen. Die Konkurrenzsituation sollte für alle ein Ansporn sein, es sich und Trainer Martin Schwalb zu beweisen. Dabei erweist sich dann der Charakter jedes Einzelnen. Zudem hat es der HSV selbst oft genug erlebt, wie schnell man an seine Reserven geraten kann, wenn Spieler ausfallen. Insofern ist es auch eine Lehre aus den schlechten Erfahrungen der vergangenen Serie, dass die Mannschaft jetzt so breit aufgestellt wird. Bei der heutigen Belastung ist es für jeden Spieler auch eine Wohltat zu wissen, dass man jederzeit Pausen bekommen kann. Am Ende eint ohnehin alle das Ziel, gemeinsam etwas zu feiern zu haben.

Auf Adrian Pfahl ist Verlass

Mit Žarko Marković hat der HSV im letzten Moment seinen personellen Engpass auf Halbrechts behoben. Dass der Montenegriner ein guter Handballer ist, glaube ich gern. Ich konnte ihn aus nächster Nähe erleben, weil ich 2009 mit ihm beim VfL Gummersbach die Saisonvorbereitung absolviert habe. Für Göppingen warf der Linkshänder vergangene Saison insgesamt 17 Tore gegen den HSV. Daran hat man sich in Hamburg offenbar erinnert.

In jedem Fall aber kann sich die Mannschaft auf dieser Position auf Adrian Pfahl verlassen. Er ist zwar ein ganz anderer Spielertyp als Marcin Lijewski, den er ersetzen soll. Adrian geht im Gegensatz zu Lijewski immer den sicheren Weg, spielt kein Harakiri, sondern wartet auf die klare Wurfmöglichkeit. In Gummersbach hat er gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Dort war er eine Stütze des Teams.

Gespannt bin ich auf die weitere Entwicklung von Kentin Mahé: Auf ihn trifft die Bezeichnung Straßenhandballer zu. Er wurde in Dormagen jahrelang von seinem Vater Pascal optimal gefördert und durfte die wildesten Sachen machen. Wenn er sich früher zwischen Genie und Wahnsinn bewegte, überwiegt heute eindeutig die Genialität.

Drei unterschiedliche Typen für die Rückraummitte

„Kenny“ spielt mit hohem Tempo und viel Risiko, hat dabei aber die seltene Fähigkeit, intuitiv die richtigen Entscheidungen zu treffen – und das auf höchstem Niveau. Dass er sich trotz seiner schmächtigen Statur in den von jeher körperlich dominierten Rückraum der französischen Nationalmannschaft spielen konnte, spricht für sich. Und bei alldem ist er auch noch ein ganz feiner Kerl, der jeder Mannschaft gut tut.

Deshalb bin ich überzeugt, dass er seine Spielanteile bekommt – wenn nicht in der Mitte, dann eben auf Linksaußen. Wenn „Kenny“ sagt, das sei nicht seine Position, flunkert er – immerhin geht es dabei um seinen Marktwert. Rückraumspieler haben bekanntlich einen weit höheren als die Außen. Dass Domagoj Duvnjak als Spielmacher vor ihm ist, steht außer Frage. Aber das gilt für jeden anderen in der Bundesliga. Duvnjak hat zuletzt überragend gespielt – allerdings auch so viel und so intensiv, dass er vielleicht froh sein wird, hin und wieder Pausen zu erhalten.

Mit Cañellas, Mahé und Duvnjak hat der HSV drei unterschiedliche Typen für die Rückraummitte: der eine, Cañellas, kräftig, wurfstark, der zweite, Mahé, klein, wendig, der dritte, Duvnjak, eine perfekte Mischung beider. Auf der Spielmacherposition ist kein Bundesligateam stärker besetzt.

Ich bin von dieser neuen HSV-Mannschaft überzeugt

Mit dem wurfgewaltigen Petar Djordjic aus Flensburg haben die Hamburger auch auf Halblinks perspektivisch aufgerüstet und den älteren Pascal Hens und Blazenko Lacković einen jungen, hochbegabten wie ehrgeizigen Konkurrenten zur Seite gestellt.

Auf der vielleicht noch wichtigeren Torwartposition hat der HSV indes Qualität verloren. Dan Beutler mag in Hamburg nicht richtig glücklich geworden sein, weil er anders als früher in Flensburg nie die klare Nummer eins war. Aber niemand hat vergessen, dass er an einem guten Tag den Kasten zumachen konnte. Sein erfahrener Nachfolger Marcus Cleverly muss diese Fähigkeiten in der Bundesliga erst noch nachweisen. Umso wichtiger ist, dass Johannes Bitter seine Form aus dem Champions-League-Finale konserviert, als er dem HSV den Titel festhielt, die Saison rettete und den größten Erfolg der Vereinsgeschichte sicherte.

Insgesamt bin ich von dieser neuen HSV-Mannschaft überzeugt. Sie wird ihren Weg machen – und Titel holen.

*Adrian Wagner, 35, spielte in der Bundesliga für den VfL Bad Schwartau, den HSV (2002/2003), THW Kiel, Bayer Dormagen und VfL Gummersbach. Der 24-malige Nationalspieler arbeitet jetzt als Landestrainer für den Hamburger Handballverband.