Hamburg. Im Kleiderschrank von Stefan Schröder, 30, liegen nicht nur jede Menge Sportklamotten, sondern seit einiger Zeit auch zahlreiche Hemden und Anzüge. "Das verlangt der Dresscode", sagt Schröder, der nach zwölf Jahren im Profihandball immer öfter auch an die Zeit nach seiner Sportkarriere denkt. Als Handballer könne man finanziell nicht aussorgen, betont der gebürtige Schweriner. Und deshalb bastelt der dreifache Familienvater in seiner geringen Freizeit akribisch an einer neuen Karriere - jenseits der Handballhallen dieser Welt.

Hamburger Abendblatt:

Herr Schröder, Sie könnten heute Millionär sein.

Stefan Schröder:

Tatsächlich? Und wie?

Sie hätten sich gegen eine Handball- und für die Fußballer-Laufbahn entscheiden können. Das Talent dazu sollen Sie ja gehabt haben.

Schröder:

Eine interessante Theorie. In meiner Kindheit und Jugend habe ich in der Tat zehn Jahre lang ausschließlich Fußball gespielt - und das mit Passion. Aber die Entscheidung für den Handball bereue ich nicht. Geld ist nicht alles.

Aber zumindest etwas, das Sicherheit bietet. Als Profi-Handballer kann man ungefähr bis Mitte 30 auf höchstem Niveau spielen, verdient aber nicht genug, um finanziell auszusorgen. Beschäftigt Sie das?

Schröder:

Je älter man wird, desto mehr schwirren die Gedanken um die Zeit nach dem Sport. Ich bin jetzt 30. Da überlegt man schon, wie es weitergeht.

Ärgern Sie sich darüber, dass Sie ihre Ausbildung zum Versicherungskaufmann als junger Spieler der SG Flensburg-Handewitt damals nicht abgeschlossen haben?

Schröder:

Im Nachhinein sicherlich. Aber der Job war keine Erfüllung für mich. Insofern ist es fraglich, ob mir das heute weitergeholfen hätte.

Wann haben Sie zum ersten Mal darüber nachgedacht, was nach der Zeit als Handballspieler kommen könnte?

Schröder:

Im Grunde nach der Geburt meines ersten Kindes im Sommer 2007. Man trägt plötzlich Verantwortung für eine Familie. Angesichts dessen kam das Angebot, bei meinem Schwiegervater als angehender Immobilienkaufmann einzusteigen, sehr gelegen. Handball ist und bleibt allerdings meine Priorität im Leben. Das wird sich in den nächsten Jahren auch nicht ändern.

Wie kann man sich eine Ausbildung neben der Profikarriere vorstellen?

Schröder:

Ich absolviere seit rund einem Jahr ein Fernstudium. Im Bus, im Flieger oder Hotel lese ich Texte über Immobilien, während die anderen Musik hören oder mit ihrem Smartphone spielen. Darüber hinaus berate ich manchmal auch Kunden in Elmshorn, dem Sitz der Firma.

Mieten, kaufen, wohnen mit Stefan Schröder?

Schröder:

Ungefähr so kann man sich das vorstellen.

Bleibt da noch Zeit für die Nationalmannschaft?

Schröder:

Nein, ein Comeback schließe ich aus. Ich habe 48 Länderspiele gemacht, war bei drei oder vier großen Turnieren dabei. Was gefehlt hat, waren die Olympischen Spiele. Aber es verschieben sich die Prioritäten im Leben, wenn man Kinder und Familie hat. Ich habe ich mit Bundestrainer Martin Heuberger ein offenes Gespräch geführt und ihm meine Situation erklärt. Er hat Verständnis für meine Entscheidung. Es war eine schöne Zeit in der Nationalmannschaft, aber Wehmut ist nach meinem Entschluss keine da.

Vielleicht auch deshalb nicht, weil Sie einige Titel gewonnen haben. Würdigt man Erfolge als erfahrener Spieler mehr denn als junges Talent?

Schröder:

Man nimmt Titel auf jeden Fall bewusster wahr, wenn man älter ist. Als ich zu Beginn meiner Karriere mit Flensburg deutscher Meister geworden bin, war das sehr unwirklich für mich. Heute kann ich Titel mehr genießen.

Welche Meisterschaft bedeutet Ihnen mehr - die mit Flensburg oder diejenige mit dem HSV?

Schröder:

Die Meisterschaft mit dem HSV war für mich viel emotionaler als die mit Flensburg. Hier hatte ich Teil an der Entwicklung des Vereins und war immer ein fester Bestandteil des Teams. Deshalb ist der Titel mit dem HSV aus persönlicher Sicht höherwertig anzusehen.

Vor Ihrem Wechsel zum HSV haben Sie bei der HSG Düsseldorf gespielt, konnten dort aber nicht überzeugen.

Schröder:

Im Rheinland haben meine Frau und ich uns damals nicht richtig heimisch gefühlt. In so einer Situation kannst du dein spielerisches Potenzial nicht immer abrufen. Hinzu kam, dass ich mit einigen Verletzungen zu kämpfen hatte.

Die Verletzungen traten oft vor oder bei bedeutsamen Turnieren mit dem Nationalteam auf. War die Belastung zu groß?

Schröder:

Nein, sicher nicht. Ich hatte ja keine Muskelverletzungen, die für eine Überbelastung im Sport sprechen würden. Im Grunde war es bei mir immer nur Pech. Vor allem Zweikämpfe sind mir zum Verhängnis geworden. So wie beispielsweise bei der Europameisterschaft in Österreich 2010, wo mir beim Auftaktspiel gegen Polen nach einem Zusammenprall mit Tomasz Rosinski das Trommelfell gerissen ist.

Spüren Sie die körperlichen Strapazen heute stärker als zu Karrierebeginn?

Schröder:

Definitiv. Ich wollte mir das eigentlich nie so richtig eingestehen. Aber wenn ich heutzutage am Morgen nach einem Spiel aufstehe, tun mir nicht nur die blauen Flecke, sondern auch sämtliche Knochen weh. Das war früher anders.

Viele frühere Handballprofis wie auch Martin Heuberger kämpfen mit Hüftproblemen. Haben Sie Angst vor den körperlichen Folgen des Leistungssports?

Schröder:

Darüber denke ich ehrlich gesagt nicht nach. Ich schiebe das weit von mir. Und das ist wahrscheinlich auch besser so.

Apropos Heuberger. Der Bundestrainer moniert die Athletik junger Handballer und führt darauf die Tatsache zurück, dass sich deutsche Talente meist erst spät durchsetzen. Ist der Sprung in den Profibereich wirklich so schwierig?

Schröder:

Nein, das würde ich nicht so sehen. Es gibt genug Spieler, denen der Durchbruch auch in jungen Jahren gelingt. Es hängt absolut von den individuellen Fähigkeiten ab. Bestes Beispiel ist Patrick Wiencek vom VfL Gummersbach. Mit 22 Jahren gehört er zu den besten Kreisläufern der Liga und wird bald für den THW Kiel spielen.

In welcher Phase Ihrer Karriere haben Sie die größte Entwicklung gemacht?

Schröder:

In meiner Zeit beim HSV. Hamburg hat mich geprägt - spielerisch wie menschlich.

Ist es angesichts dessen einfacher für Sie, Ihre Rolle als Nummer zwei hinter Hans Lindberg zu akzeptieren?

Schröder:

Sagen wir so: Es bereitet mir keine schlaflosen Nächte. Ich muss das nicht psychologisch verarbeiten. Sicherlich gibt es Phasen, in denen man sich ärgert, wenn man auf der Bank sitzt und nicht ins Spielgeschehen eingreifen kann. Als Profi will man nun einmal unbedingt spielen - egal wann, egal wo. Aber Hans ist ein hervorragender Handballer. Da muss man seine persönlichen Belange hinten anstellen und sich selbst einzuordnen wissen.

Wie lange hat es gedauert, bis Sie damit klargekommen sind?

Schröder:

Das ist ein Prozess, nichts, was von heute auf morgen funktioniert. Aber in der zwölften Saison als Profi kann man vieles akzeptieren, mit dem man am Anfang seiner Karriere vielleicht nicht so leicht hätte umgehen können.

Hatten Sie zu Beginn der Saison die Hoffnung, unter dem neuen HSV-Trainer Per Carlén mehr Einsatzzeiten zu erhalten?

Schröder:

Wenn ein neuer Trainer kommt, bedeutet das nicht, dass er alles auf den Kopf stellt. Hans hat in den ersten Spielen der Saison hervorragende Leistungen geboten. Als es gegen die Rhein-Neckar Löwen dann mal nicht so gut lief, wurde ich eingewechselt - und wir beide haben uns letztlich perfekt ergänzt. Es ist noch zu früh, ein abschließendes Urteil zu fällen. Aber der Trainer weiß, was er an mir hat. Ich kämpfe auf jeden Fall weiter um einen Platz in der Startformation.

Bei jedem anderen Verein hätten Sie einen Stammplatz sicher.

Schröder:

Ich fühle mich beim HSV unfassbar wohl - auch in der Situation, in der ich mich momentan befinde. Das ist das Entscheidende.

Noch angenehmer könnte die Situation sein, wenn der HSV zur Stärke der vergangenen Saison zurückfinden würde.

Schröder:

Sicherlich fehlt uns momentan die Konstanz. Da müssen wir nachlegen. Aber das ist uns bewusst, wir arbeiten daran.

Einige Beobachter glauben, Ihr Team sei nach dem Gewinn der Meisterschaft nicht mehr hungrig genug auf den Titel.

Schröder:

Keinesfalls, das ist Unsinn. Wir alle geben unser Bestes. Natürlich möchten wir wieder Meister werden. Was uns fehlt, ist die Selbstverständlichkeit des Siegens. Und die müssen wir uns zurückholen. Ein weiterer Sieg gegen Balingen könnte dabei helfen.