Nach seinem schweren Autounfall steht der HSV-Handballer heute in Balingen im DHB-Pokal vor dem Comeback. Statt Porsche fährt er nun Smart.

Hamburg. Die neue Liebschaft von Michael Kraus lässt sich täglich auf dem Parkplatz Grau vor der Volksbank-Arena besichtigen. Dort steht neuerdings ein weißer Smart. "Der geht richtig ab!", schwärmt der Spielmacher der HSV-Handballer, "das macht Spaß und ist auch vernünftiger." Nur die Farbe erinnert noch an den Vorgänger: einen mehr als 400 PS starken Porsche. Es war eine gefährliche Liebschaft. Der letzte gemeinsame Ausflug endete an einem Baum auf dem regennassen Maienweg. Der Wagen erlitt einen Totalschaden, sein Fahrer kam mit einer Meniskusquetschung, einem Innenbandriss und einer Rippenprellung davon.

Inzwischen hat Kraus, 28, seine Beweglichkeit auch zu Fuß zurückgewonnen. Sie ist ja immer sein handballerisches Kapital gewesen, der explosive Antritt, seine unberechenbaren Würfe haben ihn einst zum Weltmeister und zum Spieler des Jahres gemacht. Und auch wenn er nach elf Wochen Rehabilitation, Physiotherapie und Fitnesstraining noch nicht die Kraft seines alten Fahrzeugs und die Wendigkeit seines neuen hat, so sollte es doch reichen, um heute im Drittrundenpokalspiel bei HBW Balingen-Weilstetten seinen Saisoneinstand zu geben (19.30 Uhr).

Ohnehin, schätzt HSV-Trainer Per Carlén, würden unter normalen Umständen 90 Prozent des Leistungsvermögens seiner Mannschaft genügen, um beim Tabellenzehnten der Bundesliga zu bestehen. Am vergangenen Sonntag beim Champions-League-Sieg in Koper (24:23) war der deutsche Meister gegen Ende weit unter diese Marke gesackt. Genau genommen habe jeder ein bisschen schlechter gespielt, als er eigentlich könne, und das habe sich zu einer grottenschlechten Leistung summiert. Warum, wüsste Carlén auch gern. In Balingen wird sich seine Mannschaft einen solchen Leistungsabfall nicht erlauben können. Sonst geht es ihr wie dem TBV Lemgo, der den Schwaben am Sonntag 28:32 unterlag.

Vielleicht kommt Kraus' Rückkehr gerade recht. "Gegen die offensive Abwehr der Balinger ist seine Schnelligkeit super", sagt Carlén. Domagoj Duvnjak und Guillaume Gille, seine anderen Spielmacher, brauche er, um sein Konzept auf dem Spielfeld umzusetzen. Kraus brauche er, wenn eine individuelle Problemlösung gefragt sei.

"Seine Rückkehr wird dem HSV guttun", sagt Christian Kraus, der Bruder und Berater. Erst am Montag war Michael Kraus auf Kurzbesuch in seiner schwäbischen Heimat, gemeinsam sei man eine Runde laufen gegangen, er habe einen topfitten Eindruck gemacht. Auf die Fitness habe Michael Kraus ja immer großen Wert gelegt. Und weil es Carlén ähnlich hält, sei die Hoffnung seines Bruders groß gewesen, öfter zum Zuge zu kommen als unter Vorgänger Martin Schwalb: "Mimi hat sich schon mehr Spielanteile gewünscht."

Nur 94 Tore konnte Michael Kraus zur deutschen Meisterschaft beitragen, das ist nicht wenig, in seinem Fall aber so wenig wie seit sieben Jahren nicht mehr in der Bundesliga. In Göppingen und Lemgo war er der Fixstern im zentralen Rückraum. Von seiner Strahlkraft als "Bravo-Boy" hat der Verein auch abseits des Platzes gezehrt. In Hamburg ist er ein Star unter vielen. Und anders als Duvnjak und Gille hat Kraus das Abwehrspielen nie gelernt. Das schränkt seine Möglichkeiten ein, beim Meister ins Spiel zu kommen.

In der Vorbereitung auf seine zweite HSV-Saison schien er seinen Platz in der Mannschaft gefunden zu haben. Dann kam der Unfall. "Sehr deprimiert" sei sein Bruder danach gewesen, erzählt Christian Kraus. Heute will er ihn endlich wieder auf dem Feld sehen. Das Saisondebüt könnte für Michael Kraus auch ein Neustart beim HSV werden. Vielleicht muss er sich noch bis zum Bundesliga-Heimspiel am Sonnabend gedulden, wiederum gegen Balingen. Den Supercup (3. bis 6. November) lässt er nach Rücksprache mit Bundestrainer Martin Heuberger aus. "Die Gesamtbelastung wäre zu hoch", sagt sein Bruder.

Carlén will die fast dreiwöchige Spielpause auch nutzen, um Michael Kraus mit Sondereinheiten wieder in Form zu bringen. "Mimi wird schnell in unser Spiel finden", glaubt Kapitän Guillaume Gille, "aber wir sollten jetzt noch keine Wunderdinge erwarten."