Der HSV-Trainer und der Rückraumspieler sprechen im Abendblatt über ihre persönliche Beziehung zwischen Sport und Familie.

Hamburg. Per Carlén, 50, kommt mit einem dicken Aktenordner in den Besprechungsraum in der Volksbank-Arena. Der neue Trainer der HSV-Handballer, einst als Kreisläufer mit Schweden Weltmeister und zweimal Olympiazweiter, dokumentiert seit 30 Jahren jede Übungseinheit. Er gilt als akribischer Arbeiter, der viel Wert auf Kraft und Schnelligkeit legt. Gerade in diesen Bereichen sollten sich die Spieler des deutschen Meisters noch verbessern können. Sohn Oscar, 23, nach einem Kreuzbandriss rekonvaleszent, verspätet sich. Die beim Pizza-Service bestellten Spaghetti mit Pilzsoße drohen kalt zu werden. HSV-Physiotherapeut Niklas Albers hat ihm nach dem zweieinhalbstündigen Training noch eine Entspannungsmassage verordnet. Mitte Oktober will der Linkshänder das erste Mal für den HSV spielen - für die Mannschaft seines Vaters. Am Sonntag sind die beiden Schweden im NDR-"Sportclub" um 23.15 Uhr bei Moderator Gerhard Delling zu Gast

Hamburger Abendblatt: Meine Herren, von wem stammt der Satz, "für Oscars Entwicklung wäre es gut, wenn er irgendwann seinen eigenen Weg geht"?

Per Carlén: Das habe ich gesagt.

Und? Gilt der Satz noch?

Per Carlén: Natürlich. Aber irgendwann heißt ja nicht sofort. Ich denke, dass ich Oscars sportlicher Entwicklung momentan nicht im Wege stehe.

Oscar, können Sie nicht ohne Ihren Vater?

Oscar Carlén: Als Juniorenspieler habe ich sechs verschiedene Trainer gehabt. Einer davon, der erste, war mein Vater. Er ist also einer von sechs.

Können Sie noch etwas von ihm lernen?

Oscar Carlén: Er ist jetzt 30 Jahre Handballprofi, erst als Spieler, inzwischen als Trainer. Ich bin gerade vier Jahre Profi. Da wäre es doch vermessen, wenn ich sagen würde, ich könnte nichts mehr von ihm lernen. Mein Vater versteht sehr viel vom Handball, er arbeitet sehr akribisch. Und das sage ich nicht als Sohn, sondern als Handballprofi.

War er Ihr bisher bester Trainer?

Per Carlén: Was soll der arme Junge jetzt bloß sagen?

Seine Meinung!

Oscar Carlén: Wenn ich nicht viele gute Trainer gehabt hätte, würde ich heute wohl nicht beim HSV spielen, einer der besten Mannschaften der Welt. Kent-Harry Andersson habe ich bei der SG Flensburg-Handewitt als herausragenden Trainer empfunden, der taktisch sehr versiert war, aber auch später Lubomir Vranjes. Meine besten Leistungen habe ich allerdings in Flensburg gezeigt in den anderthalb Jahren, als mein Vater dort Trainer war.

Weil Sie sich in dieser Zeit besonders wohlfühlten?

Oscar Carlén: Das hat mit seiner Philosophie zu tun, wie er trainiert, wie er spielen lässt. Das passt zu meinen Qualitäten.

Wie schwierig ist es für Sie, Per Carlén, gleichzeitig ein gerechter Trainer und ein guter Vater zu sein, wenn der eigene Sohn in der Mannschaft spielt?

Per Carlén: Das ist ein reines Medienthema. Das ist kein Thema für mich oder Oscar, noch denke ich für die Mannschaft des HSV. Ich weiß da sehr wohl zu differenzieren zwischen dem Handballspieler und dem Sohn. Alles andere führte ins Chaos.

Auf dem Spielfeld ist er also nicht mehr Ihr Sohn?

Per Carlén: Dort ist er ein Spieler wie jeder andere. Alles andere wäre schlecht für mich, ihn und die Mannschaft. Erst zu Hause sind wir wieder eine Familie.

Und das funktioniert?

Per Carlén: Das funktioniert sehr gut.

Oscar Carlén: Das stimmt.

Per Carlén: Ich muss ihn bei handwerklichen Arbeiten in der Wohnung unterstützen. Oscar hat den Daumen in der Mitte, wie wir in Schweden sagen.

Bereitet es Ihnen Schmerzen, wenn Ihr Sohn schwer gefoult wird und der Arzt aufs Spielfeld stürmt?

Per Carlén: Das klingt brutal, aber ich muss in dieser Situation darüber nachdenken, kann er weiterspielen oder nicht, wer soll ihn gegebenenfalls ersetzen. Natürlich sorge ich mich auch um ihn, das würde ich jedoch auch bei jedem anderen Spieler tun.

Als sich Oscar vor einem halben Jahr in Flensburg das Kreuzband riss, sind Sie damals auch derart rational mit seiner schweren Verletzung umgegangen?

Per Carlén: Ich war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr Trainer in Flensburg. Bei mir hätte Oscar gar nicht gespielt, weil er zuvor über Kniebeschwerden geklagt hatte. Da bin ich immer sehr hellhörig, weil eine kleine Verletzung schnell zu einer großen werden kann.

Oscar, hatten Sie in Flensburg und jetzt beim HSV schon mal das Gefühl, dass die Mitspieler Sie anders behandeln, weil Sie der Sohn des Trainers sind?

Oscar Carlén: Noch nie. Das sind alles gestandene, selbstbewusste Profis, in Flensburg wie beim HSV, die fast alle schon Weltmeister und/oder Olympiasieger waren. Die interessiert, was für ein Spieler, was für ein Typ ich bin, ob ich dem Team sportlich helfen kann, aber nicht, welches verwandtschaftliche Verhältnis ich zum Trainer habe.

In der Kabine wird doch sicherlich über den Trainer gesprochen, auch in Ihrer Anwesenheit?

Oscar Carlén: Natürlich. Dass man über den Trainer redet, seine Methoden oder Taktik hinterfragt, gehört dazu.

Gehören sie gelegentlich auch zu den Kritikern Ihres Vaters?

Oscar Carlén: Ich halte mich da schon zurück. Aber wenn ich etwas zu kritisieren hätte, würde ich das auch tun.

Per Carlén: Oscar ist 23, da kann er noch nicht der große Wortführer sein. In diese Rolle muss man hineinwachsen. Auch ein Domagoj Duvnjak, der ebenfalls 23 Jahre alt ist, hält sich zurück, obwohl er für den HSV schon viele wichtige Tore geworfen hat.

Oscar, berichten Sie Ihrem Vater über das Kabinengeflüster?

Oscar Carlén: Das wäre ein eklatanter Vertrauensbruch gegenüber meinen Mitspielern. Gäbe es ein schwerwiegendes Problem, würden Sie sich ohnehin an meinen Vater wenden.

Und Sie, Per Carlén, fragen nicht mal klammheimlich bei Ihrem Sohn nach, wie die Stimmung im Team ist?

Per Carlén: Das wäre das sportliche Todesurteil für mich und ihn. Erfolg ist nicht möglich ohne gegenseitiges Vertrauen. Ich wäre aber ein schlechter Trainer, wenn ich kein Gespür für die Stimmungen in der Mannschaft hätte. Habe ich das Gefühl, es gibt etwas zu bereden, da braut sich Unmut zusammen, spreche ich die beiden Mannschaftsführer Guillaume Gille und Pascal Hens direkt an. Einen anderen Weg gibt es für mich nicht. Und ich weiß, Spieler wie Guillaume Gille und Pascal Hens sagen die Wahrheit. Erfahrene Spieler sagen immer die Wahrheit. Die müssen kein Blatt mehr vor den Mund nehmen.

Gelebtes Vertrauen ist genauso wichtig wie gefühlte Gerechtigkeit. Gerade sensible Spieler wie zum Beispiel beim HSV Marcin Lijewski, der auf derselben Position wie Ihr Sohn spielt, könnte das Gefühl beschleichen, Sie würden Ihrem Sohn mehr Spielanteile zugestehen.

Per Carlén: Noch mal: Wir spielen beim HSV Handball auf allerhöchstem Niveau. Ich würde nichts tun, was den Erfolg gefährdet. Da darf es keine Sentimentalitäten oder Vatergefühle geben. Ich geben Ihnen ein Beispiel: Als in Flensburg der Isländer Alexander Pettersson bekannt gab, dass er zu den Füchsen Berlin wechselt, haben alle damit gerechnet, dass ich ihn auf die Bank setzen und Oscar länger spielen lassen würde. Petersson hat bei mir weiter 35 oder 40 Minuten gespielt, weil er weiter seine Leistung gebracht hat. Er hat mir später dafür die Hand gegeben und sich bedankt. Und dass ein Marcin Lijewski beim HSV spielt, war übrigens einer der Gründe, warum Oscar nach Hamburg gewechselt ist. Weil es hier auf seiner Position diesen Weltklassespieler gibt und Oscar mit ihm reifen kann.

Oscar, wie haben Sie in Flensburg vor einem Dreivierteljahr den Rauswurf Ihres Vater miterlebt?

Oscar Carlén: Ich hatte an einem Dienstag dem Verein erklärt, dass ich in der nächsten Saison für einen anderen Klub spielen möchte, ohne zu sagen, für welchen. Am nächsten Tag haben sie meinen Vater beurlaubt. Ich kann es nicht beweisen, aber ich vermute stark, dass es da einen Zusammenhang gab. Dass Trainer entlassen werden, passiert immer wieder und überall. Dass es dann auch meinen Vater treffen kann, ergibt sich daraus. Ein Problem habe ich aber damit, dass der Beirat in Flensburg damals offenbar nur auf meine Entscheidung gewartet hat, um dann meinen Vater rauszuschmeißen.

Oscar, war es für Sie ein Problem, in Schweden an den großen Erfolgen Ihres Vaters gemessen zu werden?

Oscar Carlén: Ich habe keinen besonderen Druck gespürt. Ich war schon immer ehrgeizig und wollte selbst so erfolgreich sein wie möglich.

Haben Sie sich in jungen Jahren mal gegen Ihren Vater aufgelehnt, gegen ihn rebelliert?

Oscar Carlén: Nein, wir hatten stets ein gutes Verhältnis. Dass es auch mal Meinungsverschiedenheiten gab oder gibt, ist ja völlig normal.

Hören Sie heute außerhalb des Spielfeldes noch auf Ihren Vater?

Oscar Carlén: Das muss ich nicht, weil er klug genug ist, mir keine gut gemeinten Ratschläge zu geben, die ich doch nicht beherzigen will.

Per, ist es für Ihre Familie ein Problem, dass die Beziehung zwischen Vater und Sohn besonders eng ist? Sie haben schließlich noch zwei Töchter, Hilda und Hanna.

Per Carlén: Problem wäre zu viel gesagt, aber als Vater möchte man zu jeder Zeit für alle da sein, alle möglichst gleich viel unterstützen. Ich bin da schon ein wenig hin- und hergerissen. Hilda und Hanna haben auch Handball gespielt, und ich habe auch ihre Jugend-Mannschaften trainiert. Aber ich habe immer mehr Zeit mit Oscar verbracht. Das hat sich einfach so ergeben. Hilda ist heute übrigens eine gute Fußballtorhüterin.

Hat Oscar es in seiner Handballkarriere leichter gehabt als Sie?

Per Carlén: Ich hoffe, er hat von meinen Erfahrungen profitiert und wiederholt nicht die Fehler, die ich gemacht habe. Dann wird er, wenn er gesund bleibt, einmal ein sehr guter Spieler.

Haben Sie ihm empfohlen, aus Flensburg zum HSV zu wechseln?

Oscar Carlén: Das war allein meine Entscheidung!

Und der Vater hat keinen Einfluss darauf genommen?

Per Carlén: Ich habe ihm nur gesagt, er soll Plus und Minus aufschreiben, gegeneinander abwägen und dann in Ruhe seine Entscheidung treffen.

Was gehörte zum Plus?

Oscar Carlén: Der HSV ist eine der besten Mannschaften der Welt, ein charakterlich starkes, harmonisches und leistungswilliges Team, mit einem hervorragenden Umfeld, herausragenden Spiel- und Trainingsbedingungen in einer wunderschönen Stadt.

Und die Minuspunkte?

Per Carlén: Da gibt es beim HSV kaum welche. Vielleicht, dass die Mannschaft die älteste in der Bundesliga ist. Dass es dadurch häufiger verletzte Spieler geben kann. Und diejenigen, die dann einspringen müssen, überbelastet und frühzeitig verschlissen werden.

Und am Ende gab wie immer das Geld den Ausschlag?

Per Carlén: Oscar hatte finanziell bessere Angebote von anderen Vereinen. Der HSV ist eine der ersten Adressen. Für mich zählte in meiner Karriere in erster Linie immer der Erfolg, nie das Geld. Für Oscar scheint das auch zu gelten.