Die HSV-Handballer pflegen einen entspannteren Umgang mit der Tabellenführung als in der vergangenen Saison

Hamburg. Martin Schwalb, 47, wirkt entspannt. Seine Hände liegen beim Reden ruhig auf dem Tisch, manchmal hebt er die rechte, um einem Argument Nachdruck zu verleihen. In der Gelassenheit scheint die Kraft für die nächsten schweren Wochen bis zum Saisonende zu liegen. "Es geht ja nicht um die Existenz des HSV-Handball", sagt der Cheftrainer des Bundesliga-Tabellenführers irgendwann und lächelt mild, "es geht nur um die deutsche Meisterschaft." Das sei schon ein himmelweiter Unterschied. Natürlich, betont Schwalb, wolle man Meister werden, doch dass diese Möglichkeit bestehe, sei kein Grund durchzudrehen.

Mit dem Spiel beim Tabellendritten Füchse Berlin starten die Hamburger am Sonntag in der Max-Schmeling-Halle (15 Uhr, Sport1) in die letzten zehn Bundesligabegegnungen, die sie auch noch nach Flensburg (6. April), Kiel (20. April) und nach Mannheim zu den Rhein-Neckar Löwen (4. Mai) führen. Auswärts wird der Titelkampf entschieden. In der vergangenen Saison holte der HSV aus diesen vier Spielen sieben Punkte, fünf, vielleicht sogar vier würden diesmal reichen. Es sei auch ein Vorteil, das möglicherweise entscheidende Duell mit Verfolger und Titelverteidiger Kiel in deren Sparkassen-Arena bestreiten zu dürfen, glaubt Schwalb.

"Wenn die Zuschauer dort aufstöhnen, wenn ein Ball übers Tor geworfen wird, wissen meine Spieler, dass diese Gemütsregungen nicht ihnen, sondern dem Gegner gelten. Deshalb freuen wir uns, dass wir in Kiel spielen dürfen." Im vergangenen Mai hatte der HSV die Meisterschaft in der heimischen Halle gegen den THW verspielt. Der Wille, es vor den eigenen Fans besonders gut machen zu wollen, lähmte damals Hirn und Hände. Die Mannschaft, hat Schwalb beobachtet, scheint diesmal gelassener mit der Situation umzugehen, mit der Last und dem Druck, eine Tabellenführung verteidigen, jedes Spiel gewinnen zu müssen. Vor einem Jahr hätten seine Spieler monatelang auf das Spiel gegen Kiel gestarrt und dabei ein Stück ihrer Lockerheit verloren.

Dass die Kieler ihre zurückliegenden Bundesligaspiele souverän und mit großer innerer Überzeugung gewannen, wie am vergangenen Dienstag beim 33:21 in Göppingen, beim HSV dagegen nach der WM-Pause im Januar nicht alles rhythmisch und rund lief, beunruhigt Schwalb nicht. Er weist dann auf die Tabelle. "Die sieben Minuspunkte von Kiel kommen ja irgendwo her." Und mancher Sieg des THW sei auch glücklich zustande gekommen. "Das ist bei denen nicht anders wie bei uns. Uns interessiert aber nicht, was die Kieler machen, wir schauen auf uns." Eher sorgt den Coach der körperliche Zustand seiner Mannschaft. Es ist Ende März, entsprechend sei auch die physische Verfassung seines Teams. "Die vielen kleinen Wehwehchen sind bei uns jedoch kein Thema, darüber diskutieren wir in der Kabine nicht", sagt Schwalb, "man kann eine Mannschaft auch schwachreden. Meine Spieler sind alle erfahren genug, mit den anstehenden Belastungen umzugehen."

Ganz unproblematisch sind die momentanen Ausfälle der beiden Gille-Brüder Bertrand (Schulter) und Guillaume (Achillessehne) allerdings nicht, räumt Schwalb ein. Igor Vori, einer der wichtigsten Faktoren im Angriffsspiel des HSV, ist ohne das Back-up eines Bertrand Gille am Kreis doppelter Beanspruchung und größerer gegnerischer Aufmerksamkeit ausgesetzt. Guillaume Gille wiederum sei jemand, ohne dessen Erfahrung und Stabilität der HSV in kritischen Situationen nicht auskommen kann. "Auf ihn ist immer Verlass", sagt Schwalb, "bei ihm weiß ich, was ich erwarten darf." Das sei wichtig, wenn der Mannschaft die Linie verloren zu gehen droht. Die Leistungsamplituden der anderen Spielmacher, eines Domagoj Duvnjak oder eines Michael Kraus, hätten größere Ausschläge, nach oben wie manchmal nach unten, sagt Schwalb. "Wenn es eng wird, muss ich jemanden haben, der seine Möglichkeiten rational einschätzt, der die besten Entscheidungen für die Mannschaft trifft." Das sei eben Guillaume Gille.

Lamentieren jedoch liegt Schwalb fern. "Wir wollten einen großen Kader, wir haben einen großen Kader, und wir haben vor allem das Niveau, egal, welche Konstellation bei uns auf dem Feld steht, jede Mannschaft auf der Welt schlagen zu können." Eins dürfe aber in keinem Spiel fehlen: die notwendige Aggressivität, dieser eine Schritt näher zum Gegner, der am Ende der Saison den Unterschied ausmacht. Und dieser Schritt werde nicht nur auf dem Boden, sondern in erster Linie im Kopf gemacht. "Ich spüre in diesen Tagen", sagt Schwalb, "dass die Mannschaft bereit ist, diesen Schritt mehr zu gehen."