Ohne weitere finanzielle Hilfe seines Haupteigners droht dem deutschen Handballmeister HSV Hamburg ein radikaler Umbruch. Auch Blazenko Lackovic steht vor dem Absprung

Hamburg. Als die HSV-Handballer Mitte Januar, drei Wochen nach der Trennung von ihrem schwedischen Übungsleiter Per Carlén, immer noch keinen neuen Trainer präsentieren konnten, warb Vereinspräsident Martin Schwalb, 48, um Geduld: "Wir arbeiten an einer großen Lösung. Das kann aber einige Zeit dauern." Drei Monate später sind derartige Bemühungen beim Tabellenvierten der Bundesliga zum Stillstand gekommen, inzwischen scheint eher das kleine Karo angesagt. "Trainer- und Spielersuche stehen bei uns momentan nicht im Mittelpunkt. Wir müssen unsere Kräfte bündeln, um nach den zahlreichen Rückschlägen und dem riesigen Verletzungspech das Beste aus der laufenden Saison zu machen", erklärte Andreas Rudolph, 57. Zur Gestaltung der nächsten Spielzeit ließ sich der Mehrheitseigner der HSV-Handball-Betriebsgesellschaft nichts Konkretes entlocken, nur so viel: "Es geht weiter."

Über das Wie darf gerätselt werden. Denn Rudolph stellte zuletzt wiederholt klar, dass er seine Zuwendungen erheblich reduzieren werde, in Vorstand und Aufsichtrat des deutschen Meisters fürchten die meisten Mandatsträger sogar, der Ahrensburger Medizindienstleister könnte sein finanzielles Zusatzengagement - geschätzte zwei Millionen Euro pro Jahr - ganz einstellen. Immerhin verlängerte die GesundHeits GmbH Deutschland (GHD), dort ist Rudolph Vorsitzender der Geschäftsführung, ihren Vertrag als Hauptsponsor mit dem HSV Hamburg in den vergangenen Wochen um ein weiteres Jahr. GHD zahlt geschätzte 1,8 Millionen Euro. Überhaupt scheint das Interesse der Wirtschaft an dem Hamburger Handballklub trotz der derzeitigen sportlichen Probleme ungebrochen. "Wir rechnen damit, dass wir unsere Erlöse aus dem Sponsoring in der nächsten Saison noch einmal steigern können", sagte HSV-Geschäftsführer Christoph Wendt dem Abendblatt.

Dieses Geld und die erhofften Zuschauereinnahmen - Schnitt in dieser Saison: 10 550 pro Spiel - dürften indes kaum ausreichen, um die teure Mannschaft künftig zu unterhalten. Deshalb stehen für mehrere Spieler die Zeichen auf Abschied. Während die Franzosen Bertrand, 34, und Guillaume Gille, 35, ihre Verträge vorzeitig kündigten, um nach zehn Jahren nach Chambéry zurückzukehren, plant der HSV, um weitere Kosten zu sparen, sich vom Halbrechten Marcin Lijewski, 34, vom Halblinken Blazenko Lackovic, 31, und von Linksaußen Torsten Jansen, 35, zu trennen. Lackovic ließ seine Option auf einen neuen Einjahresvertrag verstreichen, bei den beiden anderen laufen die Kontrakte am 30. Juni aus.

Obwohl der Trainer Schwalb diese drei Leistungsträger auch in Zukunft an den Verein binden möchte, weiß der Präsident Schwalb, dass dem HSV, Stand heute, eigentlich die Mittel dafür fehlen. In der Vergangenheit ließen sich derartige Diskrepanzen schnell aus der Welt schaffen. Rudolph machte fast alles möglich, er stopfte sieben Jahre lang die Löcher, die sich im Bundesliga-Etat (2011/2012: rund zehn Millionen Euro) auftaten, für den er mit einer Patronatserklärung gegenüber der Handball-Bundesliga (HBL) geradestand. Für die nächste Serie steht diese noch aus. Und mancher Spieler war gar überrascht, dass er mit der heimlichen Hoffnung auf einen neuen Zweijahresvertrag in die Verhandlungen mit Rudolph ging und mit Arbeitspapieren für die nächsten fünf Jahre herauskam. Die Zeiten aber haben sich geändert.

Spätestens seitdem das Finanzamt in diesem Jahr von Rudolph Steuernachzahlungen in Millionenhöhe für seine Einlagen bei der HSV-Handball-Betriebsgesellschaft fordert, scheint dem erfolgreichen Unternehmer die Lust vergangen zu sein, ungebremst neue Millionen in die Mannschaft fließen zu lassen. Geschätzte 20 bis 25 waren es seit 2004. Dennoch mag niemand im Klub ausschließen, dass sich Rudolph wieder eines anderen besinnt, vor allem wenn Spieler im persönlichen Gespräch mit ihm ihre Hoffnung auf einen Verbleib beim HSV äußern. Im österreichischen Nobelskiort Ischgl, wo die Mannschaft bis zum Donnerstag ihre Kräfte für den Saisonendspurt auffrischt, könnten sich wieder solche Gelegenheiten ergeben. Verlässliche Planungen lassen sich auf dieserart Umstände allerdings nicht aufbauen. Daran krankt der deutsche Meister derzeit.

Die Situation ist deshalb kritischer, als es Schwalb ("Wir haben eine gute Mannschaft für die nächste Saison") öffentlich eingestehen will. Müssen Lijewski, Lackovic und Jansen gehen, wäre im kommenden HSV-Kader der rechte Rückraum verwaist (Oscar Carlén fällt mindestens bis zum Jahresende aus), für den Halbrechten Pascal Hens, 32, fehlte die Alternative, und auf Linksaußen stünde nur noch Matthias Flohr, 30, zur Verfügung. Hinzu kommt die Torwartproblematik. Johannes Bitter, 29, kehrt nach seinem Kreuzbandriss frühestens im November ins Team zurück, sein Kollege Dan Beutler, 34, muss wahrscheinlich im Sommer am Knie operiert werden. In dieser Konstellation wäre das Team im nächsten Jahr kein Kandidat für die ersten vier, fünf Plätze mehr. Bei "der großen Lösung", einer nicht ganz billigen zudem, die Rudolph und Schwalb lange im Sinn hatten, wären diese Schwierigkeiten dagegen kaum nennenswert. Trainer Talant Dujshebaev hätte dann von Atlético Madrid (früher Ciudad Real) das entsprechende Personal im Sommer mitgebracht. Neuerdings wird jedoch im Verein Bogdan Wenta (Kielce) als Schwalb-Nachfolger gehandelt.

Die Hoffnung auf Rudolph, damit trösten sich viele, habe jedoch noch nie getrogen. Andernfalls müsste der HSV wohl auf den Preisverfall im europäischen Handball setzen, der durch die Finanzkrise der spanischen Spitzenklubs ausgelöst wurde. Wie es um das Gehaltsniveau derzeit bestellt ist, musste Lackovic erfahren. Sein Agent bietet ihn für 70 Prozent seiner HSV-Bezüge in der Bundesliga an. Bisher vergeblich.