Nach den ehrgeizigsten Saisonzielen müssen die HSV-Handballer auch Torwart Johannes Bitter ersetzen. Er zog sich einen Kreuzbandriss zu.

Hamburg. Als ihm Physiotherapeut Niklas Albers die Nachricht überbrachte, schlug Martin Schwalb die Hände vors Gesicht. Zwei-, dreimal rieb er sich über die Augen. Dann öffnete er sie und sagte: "So viele Verletzte, es ist unfassbar! Wie kann so was nur passieren?" Nein, das Schicksal meint es derzeit nicht gut mit den HSV-Handballern und ihrem zurückgekehrten Trainer. Und auch wenn Albers' Mitteilung seit dem Vorabend schon erwartet worden war, versetzte sie den deutschen Meister in Schockzustand: Torwart Johannes Bitter hatte sich bei der 23:24-Niederlage im Achtelfinalrückspiel der Champions League gegen die Füchse Berlin tatsächlich das vordere Kreuzband des rechten Knies gerissen. Zudem waren bei der unglücklichen Landung nach einer Parade auch das Innenband und der Meniskus in Mitleidenschaft gezogen worden.

"Für Jogi ist die Saison vorbei, er wird etwa acht Monate pausieren müssen", kündigte Mannschaftsarzt Oliver Dierk an, nachdem er die Bilder der Kernspintomografie in Augenschein genommen hatte. Bitter soll am Donnerstag von einem Spezialisten in Bad Griesbach operiert werden. "Das ist eine der schlimmsten Diagnosen für einen Sportler", sagte Schwalb. Er muss nun also auch noch einen Torwart finden, der seiner Mannschaft in den verbleibenden zehn Punktspielen und bei der Pokalendrunde Anfang Mai in Hamburg aushelfen kann.

+++ Bitter! Kreuzbandriss bei Hamburgs Schlussmann +++

Das ist fast noch eine leichte Aufgabe, verglichen mit dem, was beim scheidenden deutschen Meister sonst im Argen liegt. Sieben Monate reichten, um aus einer starken Mannschaft, die vor Schaffenskraft und Selbstvertrauen kaum laufen konnte, eine verzagte Mannschaft zu machen, die sich bei jeder kleinen Störung ihres Systems in Selbstzweifel stürzt. Die Ära HSV ist bereits zu Ende, noch ehe sie überhaupt beginnen konnte. Noch ist zwar nicht alles verloren, wohl aber die wichtigsten Titel: Meisterschaft und Champions League. Dass dieser HSV im Pokalhalbfinale am 5. Mai den THW Kiel stürzen könnte, der in der Bundesliga mit 50:0 Punkten einer perfekten Saison entgegenstrebt, die Hoffnung hält selbst Schwalb für vermessen: "Der THW Kiel ist im Moment weit weg von uns."

Um genau zu sein, beträgt der Unterschied elf Minuspunkte und drei Tabellenplätze. Bleibt der HSV Vierter, würde er nach fünf Jahren erstmals die Champions League verpassen. Den Anspruch, an der Kieler Vormachtstellung zu rütteln, kann er derzeit nicht erfüllen. Selbst Berlins Manager Bob Hanning hält diese Entwicklung für bedenklich: "Einzig Hamburg und die Rhein-Neckar Löwen haben die wirtschaftliche Kraft, um den THW anzugreifen und an der Spitze für mehr Konkurrenz zu sorgen. Dass sie es nicht schaffen, ist für die Bundesliga problematisch."

Wann der HSV wieder wettbewerbsfähig ist, vermag Schwalb nicht zu sagen: "Wir haben die Seuche. Und im Sport muss man lange kämpfen, um sie loszuwerden." Sein Glaube an die Leistungsfähigkeit der Mannschaft sei trotz deren fortgeschrittenen Alters nicht erschüttert, weshalb es keinen Anlass gebe, von den Personalplanungen abzurücken. So soll der Vertrag von Linksaußen Torsten Jansen, 35, in Kürze verlängert werden. Auch ein Verbleib des Halbrechten Marcin Lijewski, 34, ist nicht unwahrscheinlich. Verhandlungen darüber sollen während der Länderspielpause in der ersten April-Woche stattfinden. Fest stehen der Abgang der Gille-Brüder sowie der Zugang des schwedischen Kreisläufers Andreas Nilsson, 21. Die Verpflichtung des Gummersbacher Linkshänders Adrian Pfahl, 29, ist noch unbestätigt.

Bliebe die Frage, wer diesen HSV zurück zum Erfolg führt; eine Mannschaft, die in dieser Saison bereits zwei Trainer verschlissen hat. Meistermacher Schwalb steht nach eigenem Bekunden nicht zur Verfügung. Umso stärker ist der Druck auf ihn als Präsidenten, nach dem Fehlgriff Per Carlén einen geeigneten Nachfolger zu finden. Dem Schweden, der sich nur ein halbes Jahr im Amt hielt, wird vereinsintern die fehlende körperliche Frische der Mannschaft angelastet. In einem Interview mit Sport1 verwahrte sich Schwalb gegen den Anschein, er habe die Verpflichtung Carléns maßgeblich betrieben: "Die Entscheidung habe ich nicht allein im stillen Kämmerlein getroffen. Ich bereue das auch nicht."

Keinen Aufschub duldet die Suche nach einem Bitter-Ersatz. Infrage kommt nur, wer in der laufenden Saison nicht in der Liga aktiv gewesen ist. Vom 2010 zurückgetretenen schwedischen Idol Peter Gentzel, 43, handelte sich der HSV bereits eine Absage ein: "Es wäre sicher ein großer Spaß gewesen, aber meine Aufgaben als Organisator der schwedischen Liga lassen das zeitlich nicht zu." Möglich ist, dass Schwalb seinen früheren Assistenten Goran Stojanovic, 46, nach fünf Jahren reaktiviert. Für das Spiel morgen in Balingen (20.15 Uhr/Sport1.de) stünde notfalls Florian Meier aus der U23-Mannschaft als zweiter Mann bereit.