Der Meistermacher über seine Rückkehr ins Amt, die Suche nach einem Nachfolger und die Verlangsamung des HSV-Spiels.

Hamburg. Auch äußerlich hat Martin Schwalb den Amtswechsel bereits vollzogen. Statt im feinen Jackett des Präsidenten und Geschäftsführers der HSV-Handballer erscheint der 48-Jährige im legeren Sweatshirt zum Interview. Am Sonntag (16 Uhr/Eurosport) gibt er im Achtelfinalhinspiel der Champions League bei den Füchsen Berlin sein Comeback als Trainer.

Hamburger Abendblatt: Herr Schwalb, sprechen wir mit dem neuen Cheftrainer des HSV Hamburg?

Martin Schwalb: Mit 50 Prozent des Trainerteams. Jens Häusler und ich haben unterschiedliche Aufgaben, die wir von Training zu Training und auch fürs Spiel definieren. Da gibt es keinen Chef und keinen Assistenten.

Jens Häusler ist deutlicher geworden: Sie geben das Kommando.

Schwalb: Das ehrt ihn. Ich gebe im Training meine Anweisungen und er seine. Wichtig ist, dass die Stoßrichtung die Gleiche ist. Aber Sie können sicher sein, dass wir am Sonntag nicht wild durcheinanderbrüllen werden.

Wo sehen Sie Ihren Aufgabenbereich?

Schwalb: Ich will der Mannschaft den roten Faden zurückgeben, ihr Sicherheit und Stabilität vermitteln. Es geht dabei oft um Kleinigkeiten, die ich kenne, weil ich jahrelang mit der Mannschaft zusammengearbeitet habe. Ich weiß, wer sich wo wie wohlfühlt. Aber klar ist auch: Ich bin nicht der Heilsbringer. Es wird am Sonntag nicht plötzlich alles aus einem Guss laufen.

Freuen Sie sich, wieder auf der Bank zu sitzen?

Schwalb: Ich bin ein Mensch, der Herausforderungen liebt. Aber ich habe es nicht unbedingt vermisst. Natürlich macht diese Arbeit Spaß, sonst hätte ich sie kaum so lange gemacht. Das ist ja kein Steineklopfen. Ich muss nur zusehen, ein paar Spinnweben aus dem Kopf zu bekommen. Das Trainerhirn war eigentlich schon abgeschaltet, jetzt läuft es wieder auf Hochtouren.

Als Jens Häusler im Januar zum Interimstrainer ernannt wurde, hat er Unterstützung gefordert. Das sollte die Mannschaft leisten. Ist dieses Experiment gescheitert?

Schwalb: Das war kein Experiment und auch kein Scheitern. Die Mannschaft hat durchaus Charakter bewiesen, sie hat nicht kämpferisch versagt. Was sie braucht, ist eine klare Linie.

Wie konnte die nach der Meisterschaft 2011 so schnell verloren gehen?

Schwalb: Das sind Kleinigkeiten: hier ein negatives Erlebnis, da eine Verletzung, der schlechte Saisonstart - schon beginnen die Ungereimtheiten. Es gibt in einer Mannschaft immer unterschiedliche Strömungen und Auffassungen des Spiels, das ist auch gut so. Wichtig ist, sie zu kanalisieren. Das meine ich, wenn ich vom roten Faden spreche. Im Übrigen ist die Mannschaft außerhalb des Spielfelds fast schon zu homogen. Natürlich sind auch viele Verletzungen dazwischengekommen.

Gegen Ende der Amtszeit Ihres Nachfolgers Per Carlén schien es Ihnen schwerzufallen, sich herauszuhalten.

Schwalb: Das ist nicht richtig. Sie spielen auf das Pokalspiel in Mannheim an. Es war das einzige Mal, dass unser Hauptgesellschafter Andreas Rudolph und ich hinter der Bank standen, weil wir der Mannschaft in einer schwierigen Situation helfen und zeigen wollten, dass wir zusammenstehen. Den Besserwisser habe ich bestimmt nicht gemacht. Ich will nicht das Damoklesschwert sein. Umso schwerer ist mir der Schritt zurück jetzt gefallen. Wäre es nicht der Wunsch der Mannschaft und aller wichtigen Personen im Verein gewesen, hätte ich es niemals gemacht. Bis Sonntagnachmittag hatte ich doch einen Traumjob hier! Und wir konnten gerade im Sponsoring viel bewegen.

Wie viel kann man in dieser Phase der Saison sportlich noch bewegen?

Schwalb: Wenn ich daran denke, hätte ich mich eigentlich nie bereit erklären dürfen. Es ist schwierig, keine Frage. Es kann nur darum gehen, sich in kleinen Schritten zu verbessern. Aber wenn am Ende alles schiefgeht, müssen wir uns zumindest nicht den Vorwurf gefallen lassen, nicht alles versucht zu haben.

Unser Eindruck ist, dass es der Mannschaft vor allem an Spritzigkeit und Schnelligkeit fehlt. Täuscht das?

Schwalb: Ich gebe zu, dass von außen alles ein bisschen träge wirkt. Es fehlt die gemeinsame Bewegung. Solche Situationen werden wir auch am Sonntag erleben, aber dann werde ich der Mannschaft klar sagen, was ich davon halte.

Ist das ein körperliches Problem?

Schwalb: Bei dem einen oder anderen schon. Wir haben viele Verletzte und viele Spiele in den Knochen. Da sind viele Problemchen entstanden, die eine Topleistung verhindern. Wenn du irgendwo Schmerz empfindest, kommt die Schonhaltung automatisch.

Ist die Häufung nur Pech oder auch Folge falschen Trainings?

Schwalb: Ich will nicht in der Vergangenheit herumrühren. Unter meiner Ägide gab es ähnliche Häufungen. Verletzungen kann man im heutigen Handball nicht nur am Trainer festmachen, dafür sind die Belastungen einfach zu hoch. Man kommt oft genug in Situationen, in denen man Spieler aufs Parkett beordert, die man eigentlich zur Genesung ins Bett schicken müsste.

Der HSV der Vorsaison schien damit dank Ihres Selbstvertrauens besser umgehen zu können.

Schwalb: Das ist nicht nur eine Frage des Selbstvertrauens. Zu viel davon kann sogar hinderlich sein. Es geht darum, Vertrauen in den anderen zu haben und sich daran auch zu erfreuen, dass die Abstimmung funktioniert.

Kann es sein, dass die Mannschaft altersbedingt ihren Zenit überschritten hat?

Schwalb: Sie ist so zusammengestellt, dass wir über Jahre erfolgreich sein können. Erfahrung ist wichtig, um vorn dabei zu sein. Schauen Sie sich die anderen an! Ist Berlin eine junge Mannschaft? Sie haben doch Torsten Laen und Iker Romero nicht verpflichtet, weil die so junge Spritzer sind. Es gibt nicht alte oder junge Spieler, sondern nur gute und schlechte. Wir schieben sicher nicht die Oldtimer übers Parkett. Natürlich braucht jede Mannschaft immer wieder frisches Blut. Nächste Saison bekommen wir Andreas Nilsson als Nachfolger für Bertrand Gille dazu.

Ist der Abgang der Gilles im Sommer eine Chance, die Mannschaft umzubauen?

Schwalb: So fassen wir das nicht auf. Wir haben ihnen nicht umsonst Verträge bis 2013 gegeben. Trotzdem werden wir für Guillaume Gille nach jetzigem Stand keinen Ersatz verpflichten.

Ist es ein vertretbares Risiko, auf die Genesung von Oscar Carlén nach dessen Kreuzbandriss zu vertrauen?

Schwalb: Der Heilungsverlauf macht uns Mut. Aber wir sind nicht so blauäugig, dass wir nicht reagieren könnten. Die halbrechte Position ist die, über die wir uns Gedanken machen.

Muss der künftige Trainer dabei eingebunden werden?

Schwalb: Ginge es darum, eine ganz neue Mannschaft zusammenzustellen, schon. Mit unserem Niveau wird jeder Trainer der Welt gut leben können.

Auch Talant Dujshebaev?

Schwalb: Er hat in unseren Gesprächen nie einen Spieler gefordert. Im Übrigen ist die Situation so, dass er auch nächste Saison Atlético Madrid trainiert.

Könnte der neue Trainer des HSV Martin Schwalb heißen?

Schwalb: Zum jetzigen Zeitpunkt kann man das ausschließen.

Lajos Mocsai soll ein Kandidat sein.

Schwalb: Nein. Aber machen Sie sich keine Sorgen: Es gibt viele tolle Trainer, die den HSV gern trainieren würden.

Am Mittwoch fand in Mannheim ein Länderspiel gegen Island statt - ohne HSV-Beteiligung. Ist das nicht ein Armutszeugnis für den deutschen Meister?

Schwalb: Finde ich nicht. Wir hatten zuletzt so viele Teilnehmer an großen Turnieren wie kein anderer Bundesligist.

Hat das Olympia-Aus Auswirkungen für den HSV?

Schwalb: Die Menschen verstehen sehr wohl, dass die Bundesliga ein eigenständiges, erstklassiges Produkt ist. Der WM-Sieg 2007 war ein Türöffner. Seither sind die Deutschen handballbegeistert. Das hängt nicht von einzelnen Ergebnissen ab. Wir haben eine Handballgeneration geschaffen, wie es Boris Becker 1985 mit Tennis geschaffen hat.

Bei HSV-Spielen scheint die Begeisterung derzeit zu stagnieren. Wie belastbar ist Ihre Fan-Basis?

Schwalb: Wir muten ihr doch keinen Abstiegskampf zu! Aber die Zuschauer haben alles Recht, Unmut zu äußern. Unser Anspruch muss sein, sie wieder mit guten Leistungen zu hofieren.

Die Füchse Berlin können am Sonntag auf Rückraummann Sven-Sören Christophersen zurückgreifen. Der Europaverband EHF gab dem Einspruch des Klubs gegen die Sperre des Nationalspielers statt.