Der Einzug ins Achtelfinale ist so gut wie gesichert, doch die deutsche Nationalmannschaft greift im letzten Vorrundenspiel gegen USA nach dem Gruppensieg. Zwei Akteure stehen dabei im Fokus.

Santo André. Immerhin 24 Sekunden dauert die Frage, die ganz Deutschland beschäftigt. Der Fragensteller spricht über Portugal, über das begeisternde 4:0 der Nationalmannschaft vor zehn Tagen in Salvador und das Hochgefühl in der Heimat. Dann wird seine Stimme ernst. Nun ist das 2:2 gegen Ghana am vergangenen Sonnabend in Fortaleza an der Reihe. Die Enttäuschung, die plötzlichen Zweifel. Und schließlich, nachdem der Medienvertreter noch ein wenig hier und dahin abschweift, folgt die Frage: Wo bitteschön ist die deutsche Mannschaft vor dem Gruppenfinale gegen die USA (18 Uhr/ZDF und im Liveticker auf abendblatt.de) einzuordnen?

„Wir sind auf Kurs“, antwortet DFB-Manager Oliver Bierhoff. Punkt. Doch Bierhoff ist ein höflicher Mann. Deshalb belässt es der frühere Nationalstürmer kurz vor dem Abflug des DFB-Teams am späten Dienstagabend von Porto Seguro nach Recife dann doch nicht bei seiner Vier-Worte-Antwort. Er müsse schon schmunzeln, sagt Bierhoff. Und schmunzelt. „Das ist jetzt mein zehntes Turnier. Und irgendwie wiederholen sich die Geschichten immer wieder.“ Man gewinne das erste Spiel, souverän, aber hier und da auch glücklich. Und überall herrsche nur noch Euphorie. „Nach einem Spiel“, sagt Bierhoff. Und schmunzelt erneut. „Dann spielen wir unsere zweite Partie, sind nicht mehr ganz so stark und spielen sogar nur unentschieden.“ Und plötzlich sei alles nur noch negativ. „Uns beunruhigt das aber überhaupt nicht“, erklärt Bierhoff. „Wir können noch immer Erster in der Gruppe werden. Und wir können noch immer Weltmeister werden.“

Und Bierhoff hat natürlich recht: Die Situation vor dem letzten Gruppenspiel ist für Deutschlands Mannschaft nicht neu. Auch 2010 in Südafrika brillierte Löws Team im ersten Spiel beim 4:0 gegen Australien, enttäuschte in der zweiten Partie beim 0:1 gegen Serbien und musste dann das dritte Spiel gegen Ghana (1:0) gewinnen. Ein Sieg im ersten Spiel, kein Sieg im zweiten Spiel und entsprechender Druck vor dem dritten Spiel: so war es mit Ausnahme der Heim-WM 2006 bei jeder Weltmeisterschaft seit 1994. Und obwohl die mathematische Wahrscheinlichkeit, nach dem Duell gegen die USA vorzeitig auszuscheiden, gering ist, dürfte die Partie für den weiteren Turnierverlauf entscheidenden Charakter haben. Für Deutschland ist es das Schlüsselspiel.

Lahm und Özil müssen noch Fahrt aufnehmen

Schuld daran sind vor allem Löws Schlüsselspieler. Im defensiven Mittelfeld ist das Philipp Lahm. Im offensiven Mittelfeld ist das Mesut Özil. Will Deutschland wirklich Weltmeister werden, müssten sich vor allem die beiden in einen Turnierrausch spielen. Beide gehören zweifelsohne zu den besten Spielern der Welt auf ihren Positionen. Nur spielen beide bei dieser WM nicht so. Noch nicht.

Der Fall Lahm: Der „intelligenteste Spieler, den ich je hatte“ (Bayern-Trainer Pep Guardiola) spielte gegen Portugal und Ghana durchschnittlich. Nicht gut, aber auch nicht wirklich schlecht. Doch Durchschnitt ist man von Lahm einfach nicht gewohnt. Und so dauerte es nicht lange, ehe die ganze Nation darüber debattierte, ob der Münchner nicht doch besser rechts in der Abwehr aufgehoben wäre.

Sogar Ex-Kapitän Michael Ballack fühlte sich bemüßigt, in seiner Kolumne im „Express“ in die Debatte einzugreifen. „Ich kann mir vorstellen, dass Philipp eine Rückkehr in die Viererkette nicht schmecken könnte“, so Ballack, der dieses Verhalten nicht nur durch die Blume anprangerte: „Mit dieser Maßnahme schwächen wir uns doch nur selbst.“ Ganz Deutschland stellt also die Lahm-Frage. Nur nicht Joachim Löw. Der Bundestrainer zeigte seinem Kapitän am Dienstag in der Videoanalyse dessen Fehlpass vor dem 1:2 der Ghanaer – und soll ihm anschließend zugesichert haben, dass er weiter im Mittelfeld spielen dürfe.

Der Fall Özil: Auch José Mourinhos erklärter Lieblingsspieler der Deutschen spielte gegen Portugal und Ghana nur durchschnittlich. Ebenfalls nicht so richtig gut, aber ebenfalls nicht wirklich schlecht. Doch anders als bei Lahm ist das wenig überraschend. „Özil ist Özil“, hatte auch Mourinho gesagt. Mal die erste Geige, dann nicht mal ein Triangelspieler in der letzten Reihe. 2010 brillierte der Offensivkünstler gegen England (4:1) und Argentinien (4:0) – und die Deutschen siegten. Gegen Spanien (0:1) ging er unter – und mit ihm das ganze deutsche Team. Doch bevor das DFB-Orchester nach dem USA-Spiel voraussichtlich in die K.o.-Runde eingreift, muss die erste Geige nun noch gestimmt werden.

Podolski und Schürrle stehen bereit

Anders als bei Lahm ließ Bundestrainer Joachim Löw aber zunächst mal offen, ob er nicht doch gegen die USA eine andere Tonart bevorzuge. Özil und auch Ghana-Torschütze Mario Götze haben ihren Stammplatz keinesfalls zementiert, Lukas Podolski und André Schürrle stünden bereit. Im defensiven Mittelfeld hofft Bastian Schweinsteiger darauf, neben den gesetzten Lahm und Toni Kroos auflaufen zu dürfen. Sami Khedira, der seine Knieverletzung aus dem Ghana-Spiel in Rekordzeit ausgeheilt hat, droht ein Platz auf der Bank. Und in der Viererkette darf man gespannt sein, ob der Bundestrainer ein drittes Mal auf seinen sogenannten Ochsenspieß mit vier Innenverteidigern (Boateng, Mertesacker, Hummels, Höwedes) setzt.

Oder doch etwa Lahm? Was ist mit Christoph Kramer? Und bleibt Rekord-Torjäger Miroslav Klose die „Spezialkraft“ für die besonderen Momente, wie Löw seine Reservisten gerne nennt? Mit welcher Formation er beginnen wird, ließ Löw wie immer offen. „Meine Überlegungen sind weit fortgeschritten. Ich bin mir ziemlich sicher, wie wir beginnen. Aber heute möchte ich nicht drüber reden“, sagte der Bundestrainer und fügte hinzu: „Nicht die Aufstellung ist wichtig, sondern die Einstellung.“

Viele Fragezeichen vor dem mutmaßlichen Schlüsselspiel gegen die USA, das auch darüber entscheidet, gegen wen die deutsche Mannschaft im Achtelfinale anzutreten hätte. Vorausgesetzt natürlich, dass es nicht doch eine unangenehme Überraschung gibt und Deutschland allen mathematischen Wahrscheinlichkeitsrechnungen zum Trotz doch vorzeitig ausscheidet.

Es wird Zeit, ein Ausrufezeichen zu setzen.

Deutschland: 1 Neuer – 4 Höwedes, 5 Hummels, 17 Mertesacker, 20 Boateng – 10 Podolski, 7 Schweinsteiger, 16 Lahm, 18 Kroos, 8 Özil – 13 Müller.

USA: 1 Howard – 7 Beasley, 5 Besler, 20 Cameron, 23 Johnson – 15 Beckerman, 13 Jones – 19 Zusi, 4 Bradley, 11 Bedoya – 8 Dempsey.

Schiedsrichter: Irmatow (Usbekistan).