Das verrückte 2:2 gegen Ghana sorgt für Spannung. Im Duell gegen Ex-Chef Klinsmann müssen sich Lahm & Co. beweisen. An eine frühzeitige Heimreise denkt niemand. Khedira und Boateng sind verletzt.

Fortaleza. Jetzt gibt es doch ein Finale, das beide nicht haben wollten: Joachim Löw kontra Jürgen Klinsmann, Bundestrainer gegen Vorgänger. Zu aller Brisanz kamen am Tag nach dem zwiespältigen 2:2 gegen Ghana für den DFB-Chefcoach auch noch personelle Sorgen.

Leitwolf Sami Khedira hat sich beim Schlagabtausch im zweiten WM-Gruppenspiel eine Innenbandzerrung im linken Knie zugezogen. Jérome Boateng leidet an einer neurogenen Muskelverhärtung. Der Einsatz beider Stammkräfte am Donnerstag in Recife gegen die USA mit Coach Klinsmann ist gefährdet. Erst einmal müssen beide Verletzte eine Trainingspause einlegen. Löw muss umdenken.

Der Wahl-Amerikaner Klinsmann wird seine US-Boys garantiert richtig heißmachen auf das Gruppenfinale gegen Deutschland. „Davon gehen wir aus. Aber wir sind auch richtig heiß darauf, ins Achtelfinale einzuziehen“, erklärte Philipp Lahm kämpferisch. Verbandschef Wolfgang Niersbach hatte dem Team schon auf dem Rückflug nach Porto Seguro Zuversicht mitgegeben. „Es war ein tolles WM-Spiel, es war alles drin. Vor allem war es ein echter Härtetest für den Willen“, sagte der DFB-Präsident beim Landeanflug über den Bordfunk.

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Dennoch werden die geschlauchten Spieler gemeinsam mit Joachim Löw zunächst den zweiten Auftritt der Nationalelf bei der Fußball-WM in Brasilien intensiv besprechen müssen. „Das Spiel hat sich irgendwie so entwickelt, obwohl das nicht so geplant war“, gab Löw nach dem umkämpften 2:2 gegen Ghana leicht irritiert zu Protokoll. Die Aufarbeitung der 93 Minuten im heißen Estadio Castelão wird sicher etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen. Eines war bei der nächtlichen Flussüberquerung ins WM-Stammquartier Campo Bahia schon klar: Gegen die USA wird es richtig heiß. Um sicher ins Achtelfinale einzuziehen, braucht das Löw-Team (derzeit vier Zähler) noch einen Punkt.

Thomas Müller steht für das Gruppenendspiel trotz eines genähten Cuts über der Augenbraue auf jeden Fall zur Verfügung. „Die Ausgangslage hat sich für uns nicht entscheidend geändert“, stellte der Bundestrainer zwar fest. Doch das erste Remis in einem Turnierspiel unter Löw überhaupt hatte nach dem kapitalen 4:0-Auftakt gegen Portugal gezeigt, dass schon das kleinste Nachlassen bei dieser WM große Auswirkungen nach sich ziehen kann. „Man sieht, wenn man ein bisschen nachlässig wird, dass man auch gegen Ghana direkt zwei Tore kassiert“, bemerkte der weiterhin um Topform ringende Mesut Özil.

Trotz der etwas kuriosen Führung durch Mario Götze, dessen Kopfball erst ans eigene Knie und dann ins Tor der Ghanaer ging, verlor das Team die Kontrolle über die Partie. Löw sprach von einem „irrsinnigen Tempo“, von „Dramatik und Spannung“ pur und von einem „offenen Schlagabtausch“, vor dem er noch ausdrücklich gewarnt hatte. 59 612 Zuschauer wurden hin- und hergerissen, als André Ayew und Asamoah Gyan die „Black Stars“ in Front brachten, dann aber Oldie Miroslav Klose zwei Minuten nach seiner Einwechslung seinen 15. WM-Treffer markierte. „Sonst wäre es wahrscheinlich noch wilder geworden“, räumte der von einer Oberschenkelblessur genesene Mats Hummels ein.

DFB-Spieler vom Achtelfinale überzeugt

Die Spieler sind weiter fest vom Weiterkommen überzeugt, und sie wollen weiter Gruppensieger werden. „Wenn wir unsere Leistung abrufen, wie im ersten Spiel und phasenweise heute, sehe ich keine Gefahr, dass wir nach Hause fahren“, meinte Kapitän Lahm, der sich ungewohnt viele Fehler erlaubte und das zweite Gegentor maßgeblich verschuldete. „Wir sind stark, keine Sorge“, betonte Toni Kroos – und gab zu: „Die letzte Viertelstunde war Harakiri.“

Über die Ursachen gingen die Meinungen auseinander. „Wir waren nicht so kompakt, haben das taktisch nicht gut gelöst“, erklärte Khedira. „Die Mannschaft von Ghana hat nie aufgesteckt, sie waren aggressiv, laufstark. Da waren sie uns ein Stück weit überlegen.“ Gegen die wuchtigen Afrikaner traten auch Khediras Defizite nach seinem Kreuzbandriss im rechten Knie zutage. „Bei diesem Tempo und bei diesen Bedingungen ist Sami Khedira körperlich ein bisschen an die Grenzen gekommen“, analysierte Löw.

Für den nun am linken Knie verletzten Khedira muss er sich wohl eine andere Lösung zurechtlegen, die sich in Fortaleza bereits andeutete. Nach 70 Minuten kam Bastian Schweinsteiger neben Lahm und Toni Kroos in der Mittelfeldzentrale zu seinem ersten Einsatz bei dieser WM. Für Lahm waren fehlende Aggressivität und Cleverness sowie Probleme im eigenen Aufbauspiel die Gründe dafür, dass es lange nicht so gut wie gegen die Portugiesen lief. „Die Raumaufteilung hat nicht so gut funktioniert. Wir haben wenig Überzahl kreieren können in den entscheidenden Phasen“, bemerkte der Münchner, der Teil des Problems war.

Dem 30-Jährigen, der bei seinem sechsten Turnier erstmals im Mittelfeld agiert, gelang der Beweis noch nicht, dass er im DFB-Team dort wertvoller sein kann als auf der Außenverteidigerposition. Eine System-Diskussion aber wollten weder Kapitän noch Bundestrainer zulassen. „Vor fünf Tagen war alles gut“, sagte Lahm: „Es ist kein generelles Problem, wir haben gesehen, dass es funktioniert.“ Und Löw hob hervor: „Wir haben gute Moral gezeigt, sind bei diesen Temperaturen nach dem Rückstand nochmal zurückgekommen.“

Zu den positiven Erkenntnissen zählte der Chefcoach natürlich auch die ersten WM-Minuten in Brasilien von Klose und Schweinsteiger. Beide hätten der Mannschaft nochmals „einige frische Impulse“ gebracht und „neue Kräfte mobilisiert“, lobte Löw. Er hob zudem die historische Leistung des 36 Jahre alten Klose hervor, der mit dem Brasilianer Ronaldo als bester WM-Torjäger gleichzog. „20 Spiele, 15 Kisten ist schon nicht schlecht. Aber wichtig ist, dass wir gegen die USA gut auftreten“, erklärte der Rekordmann. „Ich glaube, das bringt uns weiter“, beschrieb Per Mertesacker nach seinem 100. Länderspiel die erhoffte Wirkung der Harakiri-Partie gegen Ghana. „Das hält erstens die Spannung hoch und zweitens haben wir mal richtig gelitten unter diesen Bedingungen. Das war gut so, damit wir gerüstet sind für den weiteren Weg.“