Der ehemalige HSV-Stürmer Anthony Yeboah prophezeit dem Löw-Team eine harte Aufgabe. Allerdings hält er die afrikanischen Länder noch nicht für titelreif.

Johannesburg. Er ist der "König von Ghana", wie ihn zumindest ghanaische Fußballer bezeichnen. Er hat einen eigenen Erstligaklub in Ghana und ist der wohl bekannteste Vertreter des Landes in der Bundesliga gewesen. 223 Bundesligaspiele absolvierte der heute 44-Jährige, erzielte dabei 96 Tore, 28 davon in 100 Spielen für den HSV. Im Abendblatt spricht Anthony Yeboah, der momentan als TV-Experte bei der WM vor Ort ist, über Afrika, seine Ghanaer und die Chancen der Deutschen weiterzukommen.

Abendblatt: Herr Yeboah, Deutschland hat gegen Serbien 0:1 verloren. Wie stark ist Deutschland?

Anthony Yeboah: Nach dem ersten Spiel wurde sicher zu viel gelobt, genau wie jetzt vielleicht zu viel schlechtgemacht wird. Klar ist, dass alle gesehen haben, dass Deutschland schlagbar ist. Aber genauso klar ist, dass diese deutsche Mannschaft eine Menge Qualität hat.

Wie groß ist die Euphorie in Ghana nach dem Auftaktsieg gegen Serbien vor dem Spiel gegen Australien?

Die Menschen hier leben die Euphorie des ersten Turniers in Afrika voll mit. Der Sieg unserer Mannschaft hat das noch verstärkt.

Wie stehen die Chancen Ihres Landes gegen Deutschland?

Wenn wir gegen Australien gewinnen, könnte es für die Deutschen etwas leichter werden. Aber nur dann! Sollten wir remis spielen oder verlieren, wird es ein echtes Finale. Und das wird für Deutschland alles andere als leicht. Es wird ein sehr intensives Spiel, noch schwerer als gegen Serbien.

Wie verfolgen Sie die WM-Spiele?

Ich bin als Kommentator für einen privaten TV-Sender live dabei, arbeite auch häufig mit dem Radio zusammen. Solange Ghana im Turnier dabei ist, bleibe ich in Südafrika.

Wie lange, schätzen Sie, wird das sein?

Sollte es ein afrikanisches Land schaffen - vielleicht sind wir es ja -, bis ins Halbfinale vorzustoßen, wäre das schon ein überragender Erfolg. Aber wenn ich jetzt das Turnier verfolge, fühle ich mich in meiner Einschätzung bestätigt, dass Afrika noch nicht bereit ist für einen Titelgewinn.

Was fehlt für den ganz großen Erfolg?

Sie können die Qualität der afrikanischen Spieler nicht mit der von europäischen vergleichen, zum Beispiel mit Deutschland, Spanien oder England.

Wirklich? Viele Fußballer sind doch inzwischen in Europa aktiv und dort Stars.

Was die individuelle Klasse betrifft, können Sie aus jeder Mannschaft sicher zwei, drei gute Spieler nennen. Aber einige haben nicht den nötigen Spielrhythmus, weil sie nicht regelmäßig eingesetzt wurden, in der Breite fehlt es noch. Und vor allem müssen sie noch viel besser zusammenspielen.

Wie meinen Sie das?

Beim Afrika-Cup haben wir viel zu viele junge Spieler gebracht, weil man den Irrglauben hatte, bei uns könnte jeder spielen. Die Menschen haben keine Geduld, fast jedes Jahr kommen neue Spieler, um eine neue Mannschaft zu bauen.

Hätten Sie nicht Lust mitzuhelfen, damit es besser wird?

Das schon. Aber ich kann ja nicht sagen: Hallo, hier bin ich, und ich mache jetzt mit. In Ghana ist der Fußball extrem mit der Politik verknüpft. Wenn man nicht eng mit denen zusammenarbeitet, ist es schwer. Es gibt ja nicht nur mich, sondern auch Abedi Pele oder Tony Baffoe, die mit ihrer Erfahrung noch viel direkter helfen könnten.

Aber es passiert nichts?

Zu wenig. Die haben offenbar auch Angst, dass der eine oder andere seinen Job verlieren könnte. Es ist viel komplizierter als in Deutschland. Nicht dass Sie denken, mich würde der Nationaltrainer-Job reizen. Ich habe ja noch nicht mal einen Trainerschein. Aber sie geben Fußballern keine Chance, das verstehe ich einfach nicht.

Welche Leute sind es denn, die an ihrer Macht festhalten?

Rechtsanwälte oder Geschäftsleute, die bei Sitzungen zu viel über Quatsch reden. Es gibt zu viele Leute, die keine Ahnung vom Fußball haben. Nur wenn sie mal ein Problem haben oder doch mal unsere Meinung hören wollen, kommen sie zu uns. Während der WM wollen sie, dass wir auch mal mit den Spielern reden und versuchen, sie besonders zu motivieren. Hoffentlich kommen bald andere Zeiten. Man muss sich noch besser auf die Arbeit konzentrieren.

Was bedeutet es für Afrika, dass das Turnier hier stattfindet?

Das ist wirklich sehr, sehr wichtig, dass Südafrika etwas in der Qualität wie Europa schafft. In Afrika konnte nur dieses Land so eine Organisation auf die Beine stellen, andere Nationen wären noch nicht so weit gewesen.

Welchen Effekt hat die WM für Afrika?

Jetzt sieht die Welt das erste Mal, dass wir hier gut organisieren und gut Fußball spielen können. Dieses Prestige allein ist schon extrem wichtig für Afrika. Wir haben jetzt die Chance, hier zu wachsen. Wie groß wir am Ende werden, das bleibt aber abzuwarten.

Wann wird es den ersten Titelträger aus Afrika geben?

In Brasilien 2014 sicher noch nicht. Frühestens in acht Jahren.

Es gibt doch gerade in Afrika mehr Straßenfußballer mit überragenden technischen Qualitäten als in Europa. Warum spielt die Zeit nicht für den Kontinent?

Im Vergleich zu früher hat sich der Fußball viel mehr von der Unterhaltung zum Geschäft gewandelt. Das Spielerische steht weniger im Vordergrund als der athletische Aspekt. So geht afrikanischen Mannschaften ihr Vorteil verloren. Sie haben heute keine Zeit mehr, in diesem immer schnelleren Spiel lange den Ball zu halten. Außerdem weiß inzwischen die ganze Welt, dass die Afrikaner technische Qualitäten haben, und hat sich darauf eingestellt. Außerdem fehlt es im Kopf.

Im Kopf?

Genau. Fußball ist nicht nur der Ball oder die Technik. Du brauchst auch einen guten Kopf, gerade wir Afrikaner. Wenn heute ein weißer Mann zu uns kommt und sagt: Ich habe einen Verein für dich in Europa, und zahlt für Kleidung und Transport, dann geht man sofort weg. Jedes Kind in Ghana will nach Europa. Aber weil sie völlig unvorbereitet sind, funktionieren sie nicht sofort, der Traum vom großen Fußballstar platzt, sie verlieren womöglich ihre Aufenthaltsgenehmigung, kommen zurück und fangen irgendwo eine andere Arbeit an, zum Beispiel in der Küche. Von Fußball ist dann keine Rede mehr. Auf diese Art verlieren wir viele, viele talentierte Spieler. Das ist ein Trauerspiel.

Wie kann man das ändern?

Ganz einfach: Wir müssen viel mehr in die Ausbildung der Spieler investieren und sie überzeugen, dass sie länger in Ghana bleiben. Sie müssen vorher lernen, was sie erwartet. Zum Beispiel wie man richtig deutsch ist. Es darf nicht sein, dass ein Spieler dort ankommt und staunt: Oh, was ist hier los, welches Essen ist das denn? Es darf nicht wie bei mir früher wie ein Einstieg in eine andere Welt sein. Und sportlich wäre es sicher besser, wenn man schon in Ghana den Sprung in die Nationalmannschaft geschafft hat und nicht bei der erstbesten Gelegenheit seine Koffer packt ...

... und in Europa sofort Erfolg erwartet wird ...

... so ist es. Den Vereinen muss bewusster werden, dass sie den Jungs Zeit geben. Aber noch viel zu oft wird die Chance vertan, den Jungs 50 000 Euro weniger Gehalt zu zahlen und ihnen dafür jemanden zur Seite zu stellen, der sich um sie kümmert. So jemanden brauchen sie. Sonst haben sie schnell den Druck, weil heutzutage nach drei, vier Monaten von einem Fehleinkauf gesprochen wird. Dabei sind das Rohdiamanten, die erst fit gemacht werden müssen, damit sie glänzen.

Helfen Sie dabei aktiv mit?

Ich versuche als Präsident von meinem Erstligaklub FC Yegola, beim Aufbau von Internaten zu helfen. Wenn sie kommen, bin ich immer für sie da. Meine Mannschaft hat einen Altersschnitt von 17, 18 Jahren. Daneben habe ich viel mit meinen Geschäften wie meinen beiden Hotels zu tun. Außerdem läuft ja bald eine Aktion mit der Hamburger Firma "Kick-it-like!" an, mit der wir 10 000 Fußballschuhe für Ghana sammeln wollen.

Sie waren als aktiver Spieler ein Idol in Ihrem Land. Werden Sie in Ghana immer noch an jeder Ecke erkannt?

Natürlich. Aber mein Leben ist normal. Ich bin nicht der Typ, der viel ausgeht. Aus diesem Grund sehen mich die Menschen in Ghana nicht so oft. Viele denken, dass ich in Europa lebe, und fragen mich dann erstaunt: "Oh, wann bist du zurückgekommen?" Aber klar, es ist ein bisschen ruhiger geworden im Vergleich zu der Zeit, als ich noch aktiv für Frankfurt oder besonders Leeds United und den HSV gespielt habe.