Hamburg. Welche Bedeutung die persönlichen Besitztümer für Malcolm Bidali hatten, die bei einer Aufräumaktion in seinem Wohnraum, in dem er mit fünf weiteren Arbeitern eingepfercht war, zerstört wurden, ist dem 30-Jährigen noch heute anzumerken. Eine externe Inspektion stand an, und die Räume sollten weitläufiger wirken.
Also wurde, während Bidali und seine Kollegen an der Arbeit waren, alles Überflüssige entsorgt oder in Schränke gequetscht. „Ich möchte nicht sagen, was für Gegenstände es waren“, sagt er. Doch von diesem Moment an stand für den Kenianer, der als Wachmann viereinhalb Jahre in Katar auf den Stadionbaustellen für die WM in diesem Winter gearbeitet hatte, fest, alles andere zu sagen.
WM in Katar: Bidali prangert Arbeitsbedingungen an
Das tat er auch am Dienstagabend bei der Veranstaltung „Foulspiel mit System“ im Ballsaal des Millerntor-Stadions, zu der die Rosa-Luxemburg-Stiftung geladen hatte. „Wir haben lange genug über die Menschen in Katar gesprochen. Nun wurde es Zeit, ihnen ein Forum für ihre eigene Sichtweise zu bieten“, sagt Henning Obers, stellvertretender Leiter Kommunikation der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die die Veranstaltung in acht deutschen Städten durchführt – jeweils in Kooperation mit Fanorganisationen vor Ort. Beim FC St. Pauli sind dies der Fanladen und die Braun-Weiße Hilfe.
Bidali prangert offen die Arbeitsbedingungen im Wüstenstaat an. Zu offen. Im Mai 2021 brachten ihm seine Veröffentlichungen im Internet einen Monat Haft in Katar ein. Was sie auch brachten? Veränderung. Durch seine Hartnäckigkeit erreichte Bidali zumindest bei seinem damaligen Arbeitgeber eine Anhebung der Arbeitsbedingungen zu den geltenden Standards.
Redner fürchten Repressalien in Katar
„Es hat mir gezeigt, was es bringen kann, seine Stimme zu erheben“, sagt der athletisch gebaute junge Mann, der nach seiner Rückkehr nach Kenia die Migrant Defenders gegründet hat, die sich für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen von Migranten in Golfstaaten einsetzen. Unterstützung erhält der Aktivist von der nepalesischen Gewerkschafterin und Parlamentarierin Binda Pandey. Rund 400.000 Nepalesen arbeiten im Katar.
Während sich Bidali und Pandey zu erkennen geben, treten zwei weitere Repräsentanten des Migrant Worker Networks anonym auf. Sie nennen sich Krishna Shrestha und Jeevan KC. Der Grund: Beide fürchten Repressalien, denn sie wollen zurück nach Katar, um dort zu arbeiten. Nach all dem, was Bidali schildert, stellt sich zwangsläufig die Frage: Warum?
Zahl der Arbeitsmigranten soll während WM reduziert werden
„Lass es mich mit meiner Geschichte begründen“, sagt Bidali. „Ich bin nach Kenia heimgekehrt, um mein eigenes Business zu starten. Als das scheiterte, war Katar die sicherste Wahl. Dort bekommst du zumindest ein konstantes Einkommen. Ich kenne viele Landsleute, die sich dadurch ein Haus bauen und ihre Kinder zur Schule schicken konnten.“ Auch für Nepalesen sei es eine „ökonomische Entscheidung“, ergänzt Pandey. Arbeitsvisa in Ländern außerhalb der Golfregion zu erhalten, sei nahezu unmöglich.
„Allein das Besuchsvisum für Deutschland zu bekommen, war ein Kraftakt. In den Golfstaaten ist es eine Sache von drei Wochen und ein bisschen Geld, dann kannst du arbeiten“, sagt Bidali. Aus guter Quelle wisse er, dass die Zahl der Arbeitsmigranten während der WM reduziert werden soll. Anschließend werden wieder Abermillionen Arbeitskräfte benötigt, um die Bauprojekte in Rekordzeit umzusetzen. Von den 2,9 Millionen Einwohnern Katars sind 2,4 Millionen Gastarbeiter.
WM in Katar: "Für einen Boykott ist es zu spät"
Beide sorgen sich daher um die Zeit nach der WM, wenn Katar wieder aus dem Fokus der Weltöffentlichkeit gerät. „Das Innenministerium hat uns zugesichert, die Konditionen weiter zu verbessern, aber ich habe meine Zweifel“, sagt Pandey. Bidali untermauert, weswegen diese Zweifel gerechtfertigt sind: „Kürzlich wurden 60 Arbeiter in ihre Heimatländer deportiert, weil sie ihr Gehalt eingefordert haben. Wenn katarische Unternehmen so etwas machen, obwohl sie im Rampenlicht stehen, mag ich mir gar nicht ausmalen, was nach der WM geschehen wird.“
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Einen WM-Boykott lehnt er allerdings ab. „Dafür ist es längst zu spät. Es würde den Arbeitern nur noch mehr schaden, weil es dann weniger Arbeit gäbe, für die sie bezahlt würden.“ Wie man es dreht und wendet, es ist deprimierend.
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