Nach der Wutrede des Trainers hat der Kontrollausschuss St. Pauli zu einer Stellungnahme aufgefordert. Hat Lienens Ausraster ein Nachspiel?

Hamburg. Am Tag danach hatte sich Ewald Lienen wieder ein wenig beruhigt. „Da habe ich sicher überzogen. Ich war emotional sehr aufgebracht“, sagte der Trainer des FC St. Pauli 15 Stunden nach der schwerwiegenden 0:1-Heimniederlage gegen Greuther Fürth. „Ich möchte den Schiedsrichtern keine Schuld geben“, so Lienen.

Am Abend zuvor hatte das noch anders geklungen. Wenige Minuten nach dem Schlusspfiff am Millerntor tobte der 61 Jahre alte Übungsleiter vor laufender Fernsehkamera. „Ich bin noch nie von einem Schiedsrichterteam im eigenen Stadion so vorgeführt worden“, echauffierte sich Lienen bei Sky-Moderatorin Esther Sedlaczek. Und weiter: „Ich habe selten erlebt, dass ein Schiedsrichter so einseitig gepfiffen hat.“ 190 Sekunden dauerte der Monolog des Trainers, Sedlaczek blieb nicht mal mehr Zeit für eine Nachfrage. Die war aber auch nicht nötig. Lienen hatte alles gesagt.

Vorausgegangen war ein hochemotionales Spiel, das den Begriff Abstiegskampf auf die Spitze getrieben hatte. Von Beginn an begegneten sich der Tabellenletzte St. Pauli und die zuvor in acht Spielen sieglos gebliebenen Fürther mit enormer Aggressivität. Zu viel Aggressivität aufseiten der Gäste, wie Lienen hinterher befand. „Fürth hat die Grenzen des Erlaubten immer wieder überschritten, die Zweikämpfe überhart geführt.“ Lienen ärgerte aber auch, dass seine Mannschaft in der ersten Halbzeit nicht dieselbe Aggressivität an den Tag gelegt hatte wie der Gegner.

Dennoch, glaubt Lienen, wäre das Spiel aus Sicht der Hamburger anders ausgegangen, hätte Schiedsrichterassistent Arno Blos seinen jüngeren Kollegen Martin Petersen in der 16. Minute nicht überraschend überstimmt. „Das war die Schlüsselszene“, so Lienen. Was war passiert? Eine Hereingabe von Waldemar Sobota von der rechten Seite hatte Fürths Innenverteidiger Benedikt Röcker im Rutschen mit dem Ellenbogen abgeblockt. Petersen entschied sofort auf Strafstoß, St. Paulis Stürmer John Verhoek legte sich den Ball bereits zurecht, bevor Blos sich einmischte und Petersens Entscheidung korrigierte.

„Das ist doch Wahnsinn, dass ein Linienrichter so eine Situation entscheidet“, sagte Sportchef Thomas Meggle nach dem Spiel in den Stadionkatakomben, während auf einem Bildschirm im Hintergrund noch einmal die besagte Szene lief. Meggle schüttelte nur mit dem Kopf und verschwand. Kapitän Sören Gonther war zuvor kaum zu beruhigen. „Der Schiedsrichter hat jede Szene gegen uns gepfiffen“, schimpfte der Innenverteidiger. Sogar der sonst so besonnene Lasse Sobiech schloss sich dieser Meinung an.

Lienen will selber kein Schiedsrichter sein


Allein die Ursache für die Niederlage beim Schiedsrichter zu suchen, das war Ewald Lienen dann aber doch zu einfach. „Die Schiedsrichter haben den schwersten Job der Welt, ich möchte den nicht machen“, sagte er am Tag danach. Ganz verflogen war sein Ärger aber auch eine Nacht später noch nicht. Vielmehr stellte Lienen die Ansetzung des erst 29 Jahre alten Unparteiischen Martin Petersen infrage. „Das ist für mich nicht nachvollziehbar. In so einem Spiel vor so einer Kulisse wäre es gut gewesen, einen erfahrenen Schiedsrichter zu nominieren“, sagte Lienen. „Dass man mal danebenliegt, ist völlig normal, aber der Schiedsrichter war völlig überfordert. Mit 29 hätte ich wahrscheinlich auch so gepfiffen.“

Ein Neuling in der Schiedsrichterszene ist Petersen aber nicht. Seit 2011 pfeift der Stuttgarter bereits in Liga zwei, die Partie am Montagabend war sein 30. Spiel im Profifußball. Für Lienen reicht diese Erfahrung aber nicht aus, um ein brisantes Duell im Tabellenkeller zu leiten. Das Problem sei die Altersgrenze für Bundesliga-Schiedsrichter, die bei 47 Jahren liegt. „Wir müssen uns damit abfinden, dass wir mit jungen Leuten zu tun haben, die noch in der Ausbildung sind, aber die Ausbildung findet auf unserem Rücken statt“, sagte Lienen.

Auf internationaler Ebene liegt die Grenze sogar bei 45 Jahren. „Das ist eine Regel der Fifa, über die man nur mit dem Kopf schütteln kann. Das sage ich schon seit Jahren. Dass man mit 45 Jahren nicht mehr pfeifen darf, ist an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbieten. In diesem Alter ist man doch gerade erst zur Persönlichkeit gereift.“

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) wollte sich auf Abendblatt-Anfrage zur Elfmeterszene sowie zur Ansetzung des Schiedsrichters nicht äußern. Für Lienen könnten die Aussagen nach dem Spiel aber Folgen haben. Der DFB-Kontrollausschuss hat gegen St. Paulis Trainer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und ihn sowie den Verein zu einer Stellungnahme aufgefordert. Ein Urteil könnte noch in dieser Woche fallen. Im schlimmsten Fall droht Lienen eine Spielsperre. Die Partie bei 1860 München am Sonnabend könnte er dann nur von der Tribüne aus verfolgen.