St. Paulis Ewald Lienen und Abder Ramdane bilden ein ungewöhnliches Trainergespann mit viel Akribie und Emotionen

Belek. Abder Ramdane steht auf der Torauslinie und hüpft unablässig mit beiden Füßen. „Ihr müsst bereit sein wie ein Boxer“, ruft er den Spielern des FC St.Pauli beim Morgentraining zu, die gerade in Erwartung eines Eckballs sind. Was er damit meint, macht er selbst vor. Nicht statisch darauf warten, dass der Ball in den Strafraum segelt, sondern immer bereit zum Sprung oder Antritt sein – das will er den Akteuren vermitteln. Am liebsten, so scheint es, würde er selbst immer noch zu gern im Getümmel vor dem Tor mitmischen.

Der 40 Jahre alte Ramdane ist seit dem 16. Dezember Co-Trainer des FC St.Pauli. Der neue Cheftrainer Ewald Lienen, 61, hatte bei seiner Anstellung als Cheftrainer darauf Wert gelegt, Ramdane mitzubringen. Wer die beiden bei der täglichen Arbeit im Trainingslager in Belek beobachtet, kann dies nachvollziehen. Schon seit 2007 bilden die beiden ein Trainergespann. „Ich vertraue ihm voll und ganz, das ist über Jahre gewachsen. Er kann auch einmal eine Einheit in meinem Sinne ganz allein leiten“, sagt Lienen über Abder Ramdane.

Ein auffälliges Merkmal beim Trainerduo Lienen/Ramdane ist, dass beide die jeweiligen Einheiten sehr aktiv, mit großer Akribie und auch sehr emotional leiten. „Hau den Ball doch bis in die Karpaten“, ruft Lienen Außenverteidiger Marcel Halstenberg zu, als dieser den Ball nach einer abgewehrten Ecke nach seinem Geschmack zu kurz aus der Gefahrenzone köpft.

Immer wieder greifen Lienen und Ramdane bei den Übungsformen und Trainingsspielen abwechselnd ein, weisen mit unmissverständlichen Ansagen auf Stellungsfehler und gefährliche Pässe hin, loben aber auch immer wieder bewusst Aktionen, bei denen sie bei den Spielern einen Lerneffekt erkennen.

„Wir sprechen uns nicht ab oder geben uns geheime Zeichen, wer wann etwas sagt. Abder hat bei mir immer die Erlaubnis einzugreifen, wenn ihm etwas auffällt“, erläutert Lienen das Zusammenspiel. Bisweilen, so räumt Ramdane ein, gebe es auch mal ein Rollenspiel nach dem Motto „good cop, bad cop“. Oft aber seien die Spieler auch überrascht, wenn beide Trainer gleichzeitig das Spiel unterbrechen, weil sie einen Fehler entdeckt haben. „Meistens erkläre ich das dann und Ewald ergänzt, wenn ich mich vielleicht nicht so gut ausgedrückt habe“, sagt Ramdane bescheiden. Der Dialekt des aus Nimes stammenden Franzosen mit algerischen Wurzeln ist zwar unverkennbar. Doch die Sorge, dass jemand nicht begreift, was er will, ist unbegründet.

„Ewald gibt mir als Co-Trainer eine Freiheit, wie es nicht viele Cheftrainer machen“, sagt Ramdane. „Klar ist aber auch, dass er am Ende eben der Chef ist.“ Beide berichten unabhängig voneinander, dass sie unter vier Augen über inhaltliche Details leidenschaftlich diskutieren und streiten. „Ewald ist ein Mensch, der immer viel fragt und andere Meinungen hören will. Man kann mit ihm über alles reden, er ist sehr offen“, sagt Ramdane und zeigt sich beeindruckt von den rhetorischen Stärken seines Vorgesetzten und Förderers. „Wenn man nicht diskutiert, kann man sich auch nicht weiterentwickeln“, sagt Lienen dazu.

Kennengelernt haben sich beide 1998, als Lienen bei Hansa Rostock Trainer war und Ramdane aus Frankreich holte. „Wir waren dann Nachbarn in Warnemünde“, erzählt der ehemalige Mittelfeldspieler. Nach einer Saison wechselte er zum SC Freiburg. „Es war meine schönste Zeit“, sagt Ramdane. Allerdings war das Ende 2005 bitter. Ein Kniescheibenbruch, der auch noch über Monate falsch behandelt wurde, beschloss unfreiwillig die Spielerkarriere. Lienen holte Ramdane aus der Depression, riet ihm, die Trainerausbildung zu beginnen und begleitete seinen weiteren Werdegang. „Wir haben eine Beziehung wie Vater und Sohn“, sagt Ramdane.

Beide haben grundsätzlich dieselbe Auffassung davon, wie ihre Mannschaft Fußball spielen soll. „Wir wollen den Ballbesitz verteidigen“, impft Lienen seinen Spielern immer wieder ein. Ein einfaches Kalkül. Die erfolgreichste Defensive sei es, wenn der Gegner den Ball nicht habe.

Weitgehend erledigt hat sich inzwischen der Vorwurf, Lienen setze nur deshalb auf Ramdane, weil dieser sein Schwiegersohn ist. Die Ehe Ramdanes mit Lienens Tochter ist längst wieder geschieden. „Abder ist mein Co-Trainer, weil er fachlich gut ist und sich auch immer weiter fortgebildet hat“, stellt Lienen klar. Er sagt aber auch: „Er wird immer Teil unserer Familie sein, schließlich ist er ja auch Vater unseres Enkelkindes.“

In der aktuellen Lage, in der sich die Mannschaft des FC St. Pauli als Tabellen-17. der Zweiten Liga befindet, hofft Ramdane darauf, dass er seine Emotionalität ein wenig auf die Spieler übertragen kann. „Sie sollen gegen ihre Situation eine Revolte, einen Aufstand zeigen“, sagt er fast beschwörend.