Der ehemalige St.-Pauli-Trainer Holger Stanislawski führt mit Erfolg einen großen Supermarkt in Winterhude. Ein Job mit Zehn-Stunden-Tagen und viel Spaß, bei dem ihm seine Fußball-Erfahrung hilft.

Hamburg. Ja, natürlich kommen auch Kunden auf ihn zu, und wollen über Fußball und insbesondere über den FC St. Pauli reden. Oder ein Autogramm haben oder ein Selfie. Ein Selfie mit Supermarktchef. Macht er natürlich. „Was machen Sie noch hier, den Käse finde ich auch alleine“, habe neulich allerdings auch einer gesagt, „machen Sie unseren Club wieder fit.“ Macht er natürlich nicht. Nicht jetzt.

Geht ja gar nicht, nach so kurzer Zeit. Holger Stanislawski ist jetzt Supermarkchef, seit November gehören ihm und seinen Partnern Alexander Laas und Bernd Enge 80 Prozent des gigantischen Rewe-Centers in einem alten Straßenbahn-Depot in Winterhude, 20 Prozent sind im Besitz des Mutterhauses Rewe. 45.000 Artikel werden auf auf 6300 Quadratmetern angeboten, 120 voll- und teilzeitbeschäftigte Angestellte arbeiten dort.

Der langjährige Fußballprofi, Vizepräsident, Manager und Trainer setzt mit seinem Kompagnon Laas (einst Profi beim HSV und in Wolfsburg) auf gewisse Weise eine alte Tradition fort, die in den Zeiten explodierter Spielergehälter seit zehn, 20 Jahren fast vergessen ist. Die Karriere nach der Karriere halt. Das Schreibwarengeschäft von Weltmeister Hans-Georg „Katsche“ Schwarzenbeck in München ist legendär. In Mittelhessen besitzt der ehemalige Frankfurter Bernd „Dr. Hammer“ Nickel Sportgeschäfte, die Zahl der Versicherungsagenturen und Lotto-Annahmestellen von einstigen Profis war in den 60er- und 70er-Jahren Legion. Manche, wie St.-Pauli-Legende Walter Frosch, hatten auch Kneipen oder Trinkhallen. Das nahm oft kein gutes Ende. Uwe Seeler betrieb neben seiner Adidas-Vertretung auch mal eine Tankstelle.

„Kaffee-Idee“ als zweites Standbein

„Ich will nicht mit 60 noch auf Trainerjobs warten müssen und in der Weltgeschichte herumreisen, wo gerade was frei wird“, begründet der 45-Jährige seine Entscheidung für das „zweite Standbein“. Letztlich war es eine Kaffee-Idee“ („Schnaps trinke ich nicht“), die sich immer mehr konkretisierte. Im Oktober 2013 hat er mit dem langjährigen HSV-Aufsichtsrat Bernd Enge, der sein Trainer beim SC Concordia war, beim Kaffee zusammengesessen. Der war jahrelang bei Edeka, kennt sich aus im Supermarktgeschäft, sie redeten erst locker, schließlich planten sie die Details. Und jetzt will Stanislawski lernen, auf dem zweiten Standbein auch tatsächlich zu stehen.

Er redet von „Renner-Penner-Listen“, auf denen die Produkte stehen, die gut gehen oder eben nicht. Beschreibt die Vorteile elektronischer Preisschilder („Man muss nicht immer Zettel tauschen“), hat eine Schulung am MDE-Gerät hinter sich gebracht, mit dem die Warenbestände kontrolliert werden, hat im Rahmen einer „Fleischschulung“ zahlreiche Höfe abgefahren: „Unser Schweinefleisch stammt aus Schleswig-Holstein, das Rind aus Norddeutschland.“ Und die Eier von Schönecke, „dem Landwirt des Jahres“ aus Neu Wulmstorf. Das erklärt er so im Vorbeigehen.

Bio-Gemüse gibt es am Wochenende auch frisch und einzeln, das spart Plastikmüll. Vegetarische, vegane und glutenfreie Produkte werden demnächst noch deutlich mehr dazukommen. „Leute, die sich gesund ernähren, geben auch mehr Geld aus“, hat Stanislawski schon festgestellt. Die will er haben, ist ja klar. Der Laden soll alles bieten und jeden reinziehen: „Vom Rotwein für 1,29 Euro bis zum Whiskey für über 500 Euro haben wir hier alles.“

Andreas Langer ist seit Anfang Dezember für den Bereich Bio und Trockenware zuständig. Er ist einer von 20 Arbeitskräften, die die neuen Chefs seit ihrer Übernahme eingestellt haben. „Der Name Stanislawski hat schon etwas gezogen, als ich mich zu der Bewerbung hier entschieden habe“, sagt der seit 20 Jahren tätige Obst- und Gemüseexperte, „aber das Konzept ist tatsächlich gut durchdacht, alles wirkt frisch, modern und zeitgemäß.“ „Das muss er jetzt sagen“, meint sein Chef, „er ist schließlich noch in der Probezeit.“ Man lacht.

Für seine Angestellten ist er der „Herr Stanislawski“ und nicht der „Stani“ wie beim Fußball. Die im Fußballlehrer-Lehrgang und langer Laufbahn erworbenen Kenntnisse in Menschenführung kann er dennoch anwenden. „Motivieren, die Mitarbeiter mitnehmen, sie von gemeinsamen Zielen überzeugen“, das sei schon ähnlich, allerdings braucht es eine größere Distanz: „Ich bin vom Typ her natürlich nicht anders als früher, aber ich kann mich ja nicht mit einem Mitarbeiter aus der Käseabteilung abklatschen und fragen: Digger, was geht?“

Stani macht die Fläche, Laas das Büro

Der Herr Stanislawski ist öfter zwischen den Regalen präsent als die beiden anderen Mitinhaber. Bernd Enge hat das Fachwissen, kümmert sich vor allem um die Lieferanten, hält die Kontakte zu ihnen, „die kennt er seit Jahren, mit vielen sitzt er regelmäßig beim HSV in der Loge.“ Alexander Laas ist für die Verwaltung zuständig, Personal, Rechnungen. Immerhin rund 30 Millionen Euro setzen sie um. „Ich bin für die Fläche verantwortlich, Dekorationen, Regale, Präsentation“, erklärt Stanislawski.

Da hat er durchaus neue Ideen. Die „Kinderkassse“ beispielsweise, wo keine Schokolade und sonstige „Quengelware“ angeboten wird. Mütter werden sie lieben. Oder hier, dieses Regal gegenüber der – sehr umfangreichen – „Weinwelt“, das kommt noch weg. Derzeit werden dort noch Gläser angeboten, Spirituosen sollen da zukünftig hin.

Viele alte Strukturen wurden verändert, auch die Kunden mussten sich an einiges erst gewöhnen. Dass die Tiefkühltruhen jetzt erst kurz vor den Kassen stehen zum Beispiel, statt ganz am anderen Ende wie in den Jahren zuvor. Eigentlich ganz klar, aber wahrscheinlich muss erst ein ursprünglich Fachfremder auf diese Idee kommen: „Der Weg zum Auto ist so kürzer, früher war das Vanilleeis ja zur Vanillesoße geworden, bevor es nach Hause ging.“

An manchen Tagen steht er schon um 6 Uhr morgens auf der Matte, wenn die Lieferungen kommen. Manchmal bleibt er auch bis 22.30 Uhr, wenn die Rollläden runtergelassen werden. Zehn Stunden täglich ist er vor Ort, sagt er, „an sechs Tagen in der Woche“. Das erstaunt so manchen, auch von den Mitarbeitern. Aber es ist eben nicht nur ein Investment, „und wir können auch am Abend noch herzhaft lachen“. Genau das ist bei den Hamburger Fußballvereinen derzeit eher nicht der Fall.

Kein Rücktritt als Fußball-Trainer

Holger Stanislawski verfolgt das Profigeschäft noch sehr intensiv. Von „seinem“ Verein hat er in dieser Saison praktisch jedes Spiel gesehen. Aber nicht im Millerntor-Stadion – „das geht aus Respekt vor den Trainerkollegen nicht, wenn die Lage so ernst ist.“ Eine Rückkehr in das Profigeschäft ist theoretisch jederzeit denkbar: „Ich habe meine Trainerlaufbahn nie beendet. Ich bin noch mittendrin, in allen Ligen. Da soll sich niemand täuschen.“ Im Sommer hat er sich in Essen das Regionalligaspiel zwischen Essen und Oberhausen angeschaut und schwärmt: „Mein Kumpel Marc Fascher ist da Trainer. 4:4, ein Super-Kick.“

Die Szene hat ihn auch noch nicht vergessen: „Ich habe im letzten Jahr zwölf konkrete Anfragen als Trainer und Sportchef erhalten.“ So verhandelte er im Sommer mit Bundesliga-Absteiger 1. FC Nürnberg. Aber noch ist er nicht wieder bereit. Im Sommer 2013 hatte er beim 1. FC Köln aufgehört, er brauchte eine Pause. Erholung, freien Kopf, neue Ideen. „Mir war auch immer klar, dass ich etwas in Hamburg machen will. Hier wird immer mein Lebensmittelpunkt bleiben.“ Dann kam der Kaffee mit Bernd Enge…

Rewes obersten Geschäftsführer Lionel Souque hat Stanislawski in Köln kennengelernt, wo das Unternehmen als Trikotsponsor des FC engagiert ist. So etwas erleichtert den Einstieg. Mit Peter Maly, dem Regionalleiter Nord, ist er in regelmäßigem Austausch. Der Handelsriese unterstützt seine prominenten Partner so gut es eben geht. Schon vor ihrem offiziellen Einstieg absolvierten Laas und Stanislawski ein dreimonatiges Praktikum, erhielten Büros, gingen ein und aus. Denn natürlich ist ein „Kult-Trainer“ als Supermarktchef auch ein Werbeträger.

Fußball muss deshalb im Markt vorkommen. Mitten im Laden steht die „H. Stanislawski & A. Laas-Arena“, eine kleine Spielfläche, Kunstrasen, zwei Fußballtore, ein Basketballkorb. Der Hit beim Familieneinkauf, Vati kickt mit Sohnemann und Mutti shoppt. Daneben ist eine kleine Ruhezone mit Sesseln und Tischen, es gibt Kaffee – aufs Haus, der Preis dafür sind Pappbecher. „Eine Ruhezone für ältere Kunden“, ebenfalls „super angenommen“. Links und rechts davon werden Fanartikel verkauft, HSV und FC St. Pauli, klar. Aber auch Kosmetika in den Farben von Bayern München und Borussia Dortmund. „Die sind sogar echt gut“, sagt Stanislawski.

Er verkauft seinen Laden mit einer ansteckenden Überzeugungskraft. Der Markt brummt, 6000 Kunden kommen am Sonnabend, 35.000 in der gesamten Woche. Manche grüßen den bekannten Inhaber. Stanislawski geht gerne durch die Reihen, sagt „Moin“ zu Kunden, Kollegen und Lieferanten. Er zeigt Umbauten, Sortimentserweiterungen, erzählt seine weiteren Pläne. Er sagt: „Es ist eine große Herausforderung. Ich lerne jeden Tag dazu. Aber es macht auch jeden Tag Spaß.“ Man glaubt es ihm sofort. Der Fußball muss noch warten.