Ob St. Paulis neuer Trainer nach der Winterpause auf Robin Himmelmann oder Philipp Tschauner setzt, wird Folgen über die Saison hinaus haben

Hamburg. Wenn der FC St. Pauli am 7. Februar zum ersten Punktspiel des Jahres 2015 beim SV Sandhausen antritt, wird die Nummer eins des Clubs nicht im Tor der Kiezkicker stehen. Diese Prognose ist allerdings, wenn man sie allein auf die Rückennummer bezieht, nicht sonderlich gewagt. Diese Ziffer trägt Philipp Heerwagen, 31, auf dem Trikot, der im Zweitligateam des FC St. Pauli die Rolle des erfahrenen, stets loyalen dritten Torwarts innehat und dabei keine ernsthaften Ansprüche auf einen Stammplatz erhebt.

Umso brisanter aber ist die Entscheidung zwischen der Nummer 13 und der Nummer 30, namentlich zwischen Philipp Tschauner und Robin Himmelmann. „Philipp und Robin haben dieselbe Chance“, hatte der seit dem 16. Dezember amtierende Cheftrainer Ewald Lienen nach dem 3:1 gegen den VfR Aalen vor gut einer Woche im Hinblick auf die verbleibenden 15 Zweitligaspiele gesagt, ehe er sich in den kurzen Urlaub über Weihnachten und den Jahreswechsel verabschiedete.

Demnach haben weder Himmelmann, 25, der die beiden letzten Spiele unter Trainer Thomas Meggle sowie die beiden ersten Partien unter der Leitung von Ewald Lienen im Tor des Kiezclubs bestritt, noch Philipp Tschauner, 29, der zuvor fast dreieinhalb Jahre lang St. Paulis gesetzter Stammtorwart war, einen Bonus. Jedes Testspiel, ja womöglich jede Übungseinheit vom Trainingsauftakt am 5. Januar bis zur Entscheidung über die Mannschaftsaufstellung für die Partie beim direkten Konkurrenten SV Sandhausen wird für die beiden Konkurrenten eine Chance zur Profilierung bieten und gleichzeitig die Gefahr, ins Hintertreffen zu geraten, in sich bergen.

Allein dieser offene Zweikampf um den einen zu besetzenden Posten im Tor, den es zuvor beim FC St. Pauli seit Jahren nicht mehr gegeben hatte, ist eine erhebliche Nervenprobe für die beiden Kandidaten. Trainer Lienens Kalkül könnte dabei sein, dass derjenige, der diesen mental anspruchsvollen Test besser besteht, auch der geeignetere Torwart ist, um den Kampf um den Klassenverbleib erfolgreich zu bestehen, und der stabilere Rückhalt für die gesamte Mannschaft ist.

Bei den Trainern Schubert, Frontzeck und Vrabec war Tschauner gesetzt

Doch dieser wichtige Aspekt ist nur ein vordergründiger. In der Konsequenz geht es um mehr als die Frage, ob Tschauner oder Himmelmann die kommenden 15 Spiele und dazu eventuell die beiden Relegationsmatches gegen den Tabellendritten der Dritten Liga als erster Torwart bestreiten darf. Es geht auch darum, wie sich der FC St. Pauli, wenn er denn in der Zweiten Liga bleibt, in Zukunft auf der Torwartposition aufstellt und welche Perspektiven sich daraus für die beiden Konkurrenten ergeben.

Ein zentraler Punkt dabei ist die Tatsache, dass Philipp Tschauners Drei-Jahres-Vertrag am Ende der laufenden Saison ausläuft. Robin Himmelmann verlängerte dagegen sein Arbeitspapier vor knapp einem Jahr vorzeitig bis zum 30. Juni 2016. Dementsprechend hat also Tschauner allein mit Blick auf die spätestens im Frühjahr anstehenden Vertragsverhandlungen mit dem FC St. Pauli oder anderen Clubs ein existenzielles Interesse daran, wieder auf den gewohnten Platz zwischen den Pfosten zurückzukehren. Nur in diesem Fall hätte der stellvertretende St.-Pauli-Kapitän die Aussicht, einen ähnlich dotierten Vertrag wie bisher zu erhalten.

Nimmt er dagegen wie in den vergangenen vier Partien nur die Rolle des Reservetorwarts ein, müsste er zumindest beim FC St. Pauli mit erheblichen Einbußen rechnen, wenn es denn überhaupt zu einer Einigung über einen neuen Vertrag kommen würde. Bei einem auf höchstens gut acht Millionen Euro begrenzten Gehaltsbudget für das Profiteam wird es sich der Kiezclub nicht leisten wollen, einen Reservetorwart wie einen etablierten Stammspieler zu entlohnen. Aber auch die Suche nach einem neuen Arbeitgeber im deutschen Profifußball wäre kein Selbstgänger, wenn Tschauner sein letztes Pflichtspiel am 30. November (1:3 gegen Kaiserslautern) bestritten hätte.

Vor diesem Hintergrund steht für Philipp Tschauner in den kommenden Wochen mehr auf dem Spiel als je zuvor. Bisher konnte er lange darauf vertrauen, dass beim FC St. Pauli die Trainer immer auf ihn setzen. Dies war bei André Schubert ebenso der Fall wie bei dessen Nachfolgern Michael Frontzeck und Roland Vrabec. Erst der von Anfang September bis Mitte Dezember als Cheftrainer amtierende Thomas Meggle vollzog zum Auswärtsspiel in Bochum am 5. Dezember den Wechsel und schenkte Robin Himmelmann das Vertrauen.

In diesem Zusammenhang ist es ebenso brisant, dass Meggle nun als neuer Sportchef derjenige sein wird, der den Kader für die nächste Saison zusammenstellen muss, also auch über einen neuen Vertrag für Philipp Tschauner oder die Trennung nach vier Jahren zu befinden hat. Dies allerdings wird in enger Absprache mit Trainer Lienen geschehen. Dieser hatte kürzlich bereits deutlich gemacht, dass Meggle nur auf dem Papier sein Vorgesetzter sei, de facto aber alle Personalien mit ihm abgestimmt werden. Für Tschauner bedeutet dies: Überzeugt er Lienen in der anstehenden Vorbereitung davon, dass er für den entscheidenden Kampf um den Klassenverbleib geeigneter ist, und untermauert er dies bis zum Saisonende im Mai mit Taten und Erfolgen, so dürfte sich Lienen auch für eine Vertragsverlängerung starkmachen, der Meggle kaum widersprechen kann.

Die Torwarttalente Mitja Bieren und Svend Brodersen reifen heran

Auf der anderen Seite aber ist es keineswegs völlig unrealistisch, dass der FC St. Pauli im Sommer 2015 ohne Tschauner in die neue Spielzeit geht. Bekommt Himmelmann jetzt erneut den Zuschlag von Lienen und schafft es das Team, mit ihm im Tor dem Abstieg zu entrinnen, so könnte das Millerntor-Team mit Himmelmann als Nummer eins, Philipp Heerwagen als erfahrenen Ersatzmann und zwei hoch talentierten jungen Schlussmännern in die nächste Saison gehen. Namentlich wären diese Nachwuchskräfte Mitja Bieren, 18, und Svend Brodersen, 17, die auch schon Trainingslager und etliche Übungseinheiten mit dem Profiteam erfolgreich absolviert haben.

Doch noch gehört Philipp Tschauner zum Kader und ist als Stellvertreter von Kapitän Sören Gonther ein Führungsspieler. Geht es nach ihm, wird dies so bleiben. „Ich bin nie einer gewesen, der wegläuft. Das wird auch jetzt nicht der Fall sein. Ich werde weiter Vollgas geben, auf dem Platz und in der Kabine“, hatte er nach seiner Degradierung zum Ersatzmann gesagt und einen Wechsel in der Winterpause ausgeschlossen.