Der HSV und der FC St. Pauli in Abstiegsnöten: Höchste Zeit für ein Gespräch zwischen zwei frustrierten Fans aus beiden Lagern

Hamburg. Es ist nicht leicht in diesen Tagen, Fan vom HSV und dem FC St. Pauli zu sein. Auf den Plätzen 17 und 18 in ihren Ligen stehen die beiden Hamburger Proficlubs, ein historischer Tiefpunkt. Das Hamburger Abendblatt hat deshalb jeweils einen Anhänger beider Vereine zu einem Gespräch über die Lage, ihre Hoffnungen und Ängste gebeten – exakt auf halber Strecke zwischen beiden Stadien in Eimsbüttel, bei der Apostelkirche.

Michael Schuldt, 46, ist seit 20 Jahren HSV-Mitglied. Der Versicherungskaufmann hat zwei Söhne im Alter von elf und dreieinhalb Jahren und musste schon vor vier Jahren einen Schock verkraften, als sein größerer Sohn von einem Tag auf den anderen erklärte: „Papa, ich bin jetzt Bayern-Fan.“ Christian Dreyer, 50, arbeitet als selbstständiger Kommunikationsdesigner. Er steht seit Jahren in der Gegengerade. Sein Sohn ist 17, die Tochter 14 und entdeckt gerade ihr Herz für den FC St. Pauli.

Mal ganz einfach gefragt: Wie geht es Ihnen denn so?

Christian Dreyer:

Natürlich grämt man sich. Obwohl wir ja Kummer gewohnt sind, merkt man auf den Tribünen, dass so ein bisschen die Stimmung kippt. Das ist halt traurig.

Michael Schuldt:

Die Traurigkeit ist schon da. Vor allem, nachdem man letzte Saison fast abgestiegen wäre. Und jetzt geht das alles schon wieder los.

Haben Sie beide eine Erklärung für die aktuelle Lage?

Schuldt:

Dass gewisse Änderungen Zeit brauchen bis sie wirken, das ist nun mal so. Andererseits schienen mir die Personalien bei den Spielerkäufen eigentlich positiv, und deswegen habe ich es nicht für möglich gehalten, dass wir da schon wieder unten drin stehen.

Dreyer:

Ich glaube, das ist typisch für die Zweite Liga. Die ist wahnsinnig homogen von der Leistungsdichte her. Da bist du mit zwei Siegen plötzlich wieder oben dabei, und mit ein paar Niederlagen wie bei uns jetzt bist du halt unten drin. Deswegen finde ich die Panikmacherei auch ein bisschen übertrieben.

Geht es den Spielern in Hamburg zu gut?

Dreyer:

Es sind sicher Spieler dabei, die nicht kapieren, wo sie hier spielen. Es kommt aber leider oft so rüber, als würde den Spielern der Wille fehlen. In den Heimspielen war es oft erschütternd. Aber mein Eindruck ist schon, dass sie wollen. Ich sehe da durchaus Parallelen zu unseren Stellinger Freunden, die müssen ja auch über den Kampf kommen jetzt. Das ist dann mit so Leuten wie van der Vaart auch ein bisschen schwierig. Aber das ist dein Thema ...

Schuldt:

Man muss sich natürlich die Frage stellen, warum Spieler, die in Mainz und in Augsburg überragend spielen, in Hamburg auf einmal längst nicht die Leistung abrufen. Da muss ich wirklich sagen, der HSV zahlt für einige Spieler immer zu gut. Und das Zweite ist die Stadt, die bietet einfach zu viele Möglichkeiten. Aber das sind absolute Profis, und die sollen für anderthalb, zwei Millionen Euro regelmäßig ihre Leistung bringen. Das fehlt mir, die Konstanz. Dieser regelmäßige Rückfall nach tollen Spielen, der kotzt uns an.

Fehlt bei St. Pauli eine Identifikationsfigur wie Fabian Boll, ein Typ, der die Mannschaft mitreißen kann?

Dreyer:

Ja, in jedem Fall. Boller klar, der würde der Mannschaft guttun. Aber einen Boller kannst du dir nicht aus den Rippen schneiden. Ich glaube übrigens, dass das Abschiedsspiel für Boller der Mannschaft geschadet hat. Plötzlich war das Stadion gegen sie und hat die „Alten“ angefeuert. Und dann haben sie auch noch 1:5 verloren. Ich glaube, mit der Situation konnten einige nicht umgehen, Das hat sie verunsichert, und das schleppen sie immer noch mit.

Beide Clubs haben bereits den Trainer getauscht und den ehemaligen U23-Coch befördert. Ihre Meinung?

Dreyer:

Thomas Meggle wünsche ich alles Gute. Der ist halt ’ne Legende am Millerntor. Wenn man schon Leute mit Stallgeruch holt, dann ist er der Richtige. Er hat ja auch bewiesen mit der zweiten Mannschaft, dass er nach einer schlechten Hinrunde den Hebel umlegen kann, eine gute Rückrunde spielt.

Schuldt:

Vom Typ her finde ich Joe Zinnbauer rund. Aber er muss noch nachweisen, dass er als Trainer Erstligaformat hat. Bei ihm sieht man auf jeden Fall mehr Kampfgeist. Es ist auch gut, dass er die jungen Leute ranbringt. Ich fand es allerdings traurig, dass er nach dem Werder-Sieg, was für uns ja immer sehr geil und wichtig ist, einen Spieler wie Holtby rausgenommen hat, der in meinen Augen jetzt nicht so schlecht gespielt hat, dass der durch einen Youngster ersetzt werden musste.

Beim HSV sind nach der Ausgliederung einige Ultras ausgetreten. Hat der HSV seine Seele verloren?

Schuldt:

Nein, ich bin ein Anhänger der neuen Strukturen. Fußball ist Geschäft, und ich hoffe, dass sich auch noch andere Investoren als nur der Herr Kühne engagieren. Ich verknüpfe auch große Hoffnungen mit Dietmar Beiersdorfer. Die andere Gruppe rund um Jürgen Hunke, sag ich mal, die haben ja oft in die andere Richtung Stimmung gemacht, das war nicht unbedingt im Sinne für den HSV. Wir haben jetzt endlich einmal die richtigen handelnden Personen und endlich nicht mehr diese Ahnungslosen im alten Aufsichtsrat. Dementsprechend bin ich eigentlich nach wie vor positiv gestimmt. Natürlich traurig, dass man jetzt schon wieder an vorletzter Position steht.

Was ist denn bei Pauli an der Vereinsspitze los, ein erfolgreiches Präsidium musste gehen?

Dreyer:

Na ja, man soll ja gehen, wenn es am schönsten ist, oder? Die können in der Rückbetrachtung sagen, wir haben den Verein sauber übergeben, mit einem echt amtlichen Plus mal wieder. Für die ist es wahrscheinlich schade, aber so funktioniert nun mal Demokratie. Die Fanschaft ist nun mal sehr mächtig im Verein. Das ist eines der Dinge, die St. Pauli weiterhin ausmachen. Ich hoffe auch, dass das neue Präsidium jetzt nicht aktionistisch handelt. Ich würde auch Sportchef Rachid Azzouzi nicht rauswerfen, ihm haben ja ständig Trainer zugerufen, ich will diesen oder jenen Spieler.

Schuldt:

Ich muss ein wenig widersprechen was Azzouzi angeht. Für mich hat ein Sportchef schon die Aufgabe, nicht nur für einen Trainer Spieler zu holen, sondern für den Verein. Da muss es eine langfristige Ausrichtung geben. Das erhoffe ich mir beim HSV jetzt mit Peter Knäbel auch. Man muss Leute holen, die zum Verein, zur Mannschaft zur Spielidee passen, die man aufbauen will. Und nicht immer nur dem jeweiligen Trainer die Wunschspieler holen.

Erleben Sie Sticheleien während der Arbeit oder im Freundeskreis?

Schuldt:

Ja, auch. Es ist schon bitter, wenn man regelmäßig verliert und sich die Sprüche anhören muss. Die vergangene Saison war schon zum Abgewöhnen, das ganze Chaos. Das war schon ein Wahnsinnsjahr, das war schon sehr bescheiden. Das bringt keinen Spaß.

Herr Dreyer, mal ehrlich, schauen Sie auch zum HSV?

Dreyer:

Na klar. Früher hatte ich Ressentiments, gebe ich zu. Aber inzwischen bin ich altersmilde geworden. Trotzdem war für mich der Derbysieg 2011 der schönste Moment. Ich finde die Reibereien ja auch ganz reizvoll, solange man sich nicht auf die Glocke haut. Dass die mit 27 Punkten nicht abgestiegen sind, ist ja sensationell. Mein Schwiegervater ist alte Raute. Auch mein Schwager in spe ist großer HSV-Fan. Mein Schwiegervater hat jetzt allerdings die Schnauze voll und geht nicht mehr hin.

Herr Schuldt, schauen Sie als HSVer, was am Millerntor passiert?

Schuldt:

Ja. Mir ist schon wichtig, dass Pauli möglichst mit oben in der Zweiten Liga spielt. Wenn wir einen guten Erstligaverein und einen guten Zweitligaverein haben, ist das für die Stadt einfach gut.

Und aktuell: Ihre Prognose?

Dreyer:

Ich glaube fest an den Klassenerhalt. Wir brauchen nur einfach mal eine Serie mit zwei, drei Siegen, dann sind wir schnell wieder mitten im Geschehen.

Schuldt:

Es braucht eben seine Zeit, bis alles eingespielt ist. Aber ich bin überzeugt, dass Mannschaft und Trainer beim HSV genug Qualität haben.