St. Paulis Sportchef Rachid Azzouzi nimmt Stellung zur Kritik an ihm und sieht in der sportlichen Krise eine Chance

Hamburg. Nach der Heimniederlage gegen den 1. FC Kaiserslautern (1:3) diskutierte er mit Fans auf der Gegengerade. Rachid Azzouzi, 43, gilt derzeit als das Gesicht der sportlichen Krise des FC St. Pauli. Seit Wochen wird von vielen Anhängern seine Ablösung gefordert. Der Vorwurf ist, dass er eine Mannschaft zusammengestellt hat, die den Herausforderungen der Zweiten Liga nicht gewachsen ist. Im Abendblatt nimmt Azzouzi Stellung dazu und erklärt, wie der Tabellenletzte den drohenden Abstieg vermeiden kann.

Hamburger Abendblatt:

Herr Azzouzi, wie gehen Sie damit um, erstmals in Ihrer Karriere als Manager von den Fans Ihres Clubs beschimpft und für die aktuelle Krise verantwortlich gemacht zu werden.

Rachid Azzouzi:

Ich nehme diese Dinge nicht persönlich. Wenn man im Fokus der Öffentlichkeit steht, gibt es in guten Phasen Lob und in Zeiten, in denen es nicht so läuft, auch zum Teil starke Kritik. Es gehört zum Job, dies auch aushalten zu können. Jeder, der den FC St. Pauli liebt, hat ein Recht auf Kritik.

Ist die Kritik, Sie hätten die falschen Spieler verpflichtet und damit eine für die Anforderungen der Zweiten Liga untaugliche Mannschaft zusammengestellt, unberechtigt?

Azzouzi:

Wenn es so klar ist, dass die Spieler, die wir geholt haben, die falschen sind, hätte man dies ja schon sofort in der Sommerpause sagen können. Das war aber nicht der Fall. Vielmehr waren an unseren Neuzugängen immer auch andere Vereine interessiert, gegen die wir uns dann durchgesetzt haben. Von der Mannschaft, die in der vergangenen Saison lange unter den ersten Sechs gestanden hat, hat uns als einziger Stammspieler Fin Bartels verlassen. Wir haben dann Spieler nach einem klaren Anforderungsprofil dazugeholt, um den nächsten Schritt machen zu können. Lasse Sobiech ist ein kopfballstarker Innenverteidiger, Ante Budimir ist ein Stürmer, der vorn die Bälle festmacht, aber leider noch nicht ins Tor trifft, Daniel Buballa ist ein schneller Spieler für die Außenbahn, Enis Alushi ein erfahrener Mittelfeldspieler, und Michael Görlitz hat beim FSV Frankfurt als dribbelstarker Offensivspieler gute Leistungen gezeigt. Wir haben nicht einfach irgendwelche Spieler geholt.

Wie erklären Sie sich, dass etliche von Ihnen als vermeintliche Leistungsträger verpflichtete Spieler, die ja auch in der Gehaltsliste des Teams weit oben angesiedelt sind, so viel schlechter spielen als bei ihren vorherigen Vereinen?

Azzouzi:

Vor allem müssen wir uns kritisch hinterfragen, warum wir zusammen in diese Situation gekommen sind. Meine Analyse ist, dass wir die eigentlich sehr ordentliche vergangene Saison zu negativ bewertet haben, nachdem wir durch Niederlagen am Ende nur Achter geworden sind. Diese Negativität haben wir dann mit in diese Saison genommen. Ich denke nur daran, dass schon am ersten Spieltag das 1:1 gegen Ingolstadt, der jetzt klarer Tabellenführer ist, negativ betrachtet wurde.

Glauben Sie jetzt noch an eine Steigerung der vorgesehenen Leistungsträger?

Azzouzi:

Ich bin von unseren Spielern überzeugt und davon, dass sie ihr Potenzial abrufen werden. Wir arbeiten jetzt daran, dass jeder trotz der schwierigen Situation seine Top-Leistung zeigen kann.

Vielen Anhängern fehlen „Typen“ in der Mannschaft.

Azzouzi:

Die Frage nach einem „Typ“, wird immer nur dann gestellt, wenn es nicht läuft. Vor der WM gab es diese Frage in Bezug auf die deutsche Mannschaft auch. Nach dem Titelgewinn war das plötzlich kein Thema mehr. Wir haben auch Spieler, die das Potenzial haben, eine Mannschaft zu führen. Das hat sich unter anderem aber auch wegen Verletzungen und Formschwankungen noch nicht so klar abgebildet.

Warum sperren Sie sich bisher gegen eine Verpflichtung von Deniz Naki?

Azzouzi:

Ich sperre mich keineswegs. Das ist im Moment nur gar nicht unser Thema. Wir konzentrieren uns jetzt auf unsere Situation und auf die Spieler, die wir zur Verfügung haben. Alles andere ist ein Thema für die Winterpause. Auch wenn Deniz Naki seinen Vertrag in der Türkei aufgelöst hat, könnte er frühestens am 1. Januar zu einem anderen Verein gehen. Er ist laut Fifa-Reglement nicht sofort verfügbar.

Auf welchen Positionen muss die Mannschaft in der Winterpause unbedingt verstärkt werden?

Azzouzi:

Wir vertrauen unserer Mannschaft und werden weiter unsere Spieler stärken. Nach den vier bis zur Winterpause noch ausstehenden Spielen ziehen wir ein Resümee und entscheiden, was wir personell machen. Das könnte auch eine Verschlankung des Kaders sein, um die Kräfte zu bündeln. Natürlich haben wir auch jetzt schon einige Erkenntnisse gewonnen.

Sind die Verlockungen und Ablenkungen in einer Metropole wie Hamburg zu groß, um sich auf den Beruf als Fußballprofi zu konzentrieren?

Azzouzi:

Es ist für einen Profi sicher sehr attraktiv, für einen der beiden Hamburger Proficlubs zu spielen. Die Stadien, die Trainingszentren und natürlich die Stadt sind großartig. Andererseits sind aber auch die Erwartungen sehr hoch, womit mancher Spieler vielleicht nicht so gut zurecht kommt. Im alten Stadion war es für die St.-Pauli-Spieler sicher einfacher, die Rolle des Außenseiters einzunehmen. Manchmal behindern zu große Erwartungen die Entwicklung eines Spielers und einer Mannschaft.

St. Paulis neuer Club-Präsident Oke Göttlich hat Ihnen zumindest öffentlich ausdrücklich das Vertrauen ausgesprochen. Was ist dieses Bekenntnis wert?

Azzouzi:

Es tut natürlich gut, dass der neue Präsident zu den handelnden Personen steht und kein Misstrauen ausstrahlt. Ich glaube, er sieht, dass wir alles daransetzen, diese schwierige Situation zu lösen. Unsere schwierige Lage ist auch eine Chance für den gesamten Verein, wieder zusammenzuwachsen und Energie freizusetzen. Ich glaube, diese Situation wird uns alle zusammenschweißen.