Die Mitglieder des FC St. Pauli wählen das komplette Präsidium und fünf von sieben Aufsichträten neu in ihre Ämter

Hamburg . Der personelle Machtwechsel beim FC St. Pauli ist vollzogen. Es war genau 16.01 Uhr, als der Fußball- Zweitligist am Sonntag bei seiner Jahreshauptversammlung im CCH auch offiziell in eine neue Ära startete. Zu diesem Zeitpunkt stand fest, dass nicht nur Oke Göttlich, 38, als neuer Präsident, sondern auch die von ihm vorgeschlagenen Kandidaten für die Vizepräsidentenposten von den gut 1000 Mitgliedern mit deutlicher Mehrheit in ihre Ämter gewählt worden waren.

Göttlich erhielt von insgesamt 1064 abgegebenen Stimmen 831 Jastimmen, was einem Anteil von 78,1 Prozent entspricht. 139 Mitglieder stimmten mit Nein, 88 enthielten sich, sechs Stimmen waren ungültig. „Ich freue mich über das Ergebnis und darüber, dass die Mitglieder dem neuen Weg eine Chance geben“, sagte er.

Nachdem der Musikunternehmer die Wahl angenommen hatte, konnten die übrigen Kandidaten zwar einzeln, aber per Akklamation gewählt werden. Alle vier, namentlich Thomas Happe, 50, Reinher Karl, 45, Joachim Pawlik, 49, und Jochen Winand, 63, erhielten dabei jeweils eine große Mehrheit bei wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen. Fast dreieinhalb Stunden später stand auch fest, dass der siebenköpfige Aufsichtsrat mit fünf neuen Mitgliedern (siehe Text rechts) seine Arbeit aufnehmen wird.

In seiner Vorstellungsrede hatte Oke Göttlich angekündigt: „Wir werden in den kommenden Wochen eine umfangreiche Bestandsaufnahme vornehmen.“ Insbesondere im sportlichen Bereich gehe es jetzt darum, bis zur Winterpause Pläne und Regeln zu erarbeiten und vor allem ein verbessertes Personalauswahlverfahren sowie eine „engmaschigere Leistungskontrolle“ umzusetzen. „Wir werden künftig ein Sechsaugenprinzip praktizieren. Das heißt, dass bei einer möglichen Spielerverpflichtung Trainer, Sportchef und das zuständige Präsidiumsmitglied davon überzeugt sein müssen“, sagte er. Dies war klar zu verstehen als Kritik an den jüngsten Spielerverpflichtungen.

Andererseits stellte er nochmals klar, dass es ihm nicht um eine baldige Ablösung von Sportchef Rachid Azzouzi gehe. „Die Geduld ist da. Eilige Personalrochaden bringen keinen Erfolg“, sagte er später. „Aber wir wollen die Leistungen messbar bewerten.“

Für den Nachwuchsbereich kündigte Göttlich an, die Talente künftig noch stärker auch in Sachen Berufsfindung zu fördern. „Wir wollen Menschen ausbilden“, sagte er. Und abschließend: „Jetzt geht es an die Arbeit. Lasst uns konstruktiv nach vorne denken.“

„Das ist kein leichter Gang für mich, hier zum letzten Mal einen Rechenschaftsbericht für das Präsidium vorzutragen“, hatte anfangs Stefan Orth gesagt. In seiner Rede trug der unfreiwillig scheidende Präsident die bekannten Erfolge der vergangenen vier Jahre vor, verwies unter anderem auf den finanziellen Gewinn von insgesamt 14 Millionen Euro vor Steuern in dieser Zeit, die fast abgeschlossenen Bauprojekte Millerntor- Stadion und Trainingsgelände an der Kollaustraße sowie den Mitgliederzuwachs von 5000 auf nun 23.000.

Zum sportlichen Teil stellte Orth klar: „Wir sind nicht einverstanden mit der sportlichen Entwicklung seit Beginn dieses Jahres und dem aktuellen Tabellenplatz.“ Selbstkritisch merkte er an, dass sich das Präsidium schon in der Sommerpause zum Wechsel des Cheftrainers von Roland Vrabec zu Thomas Meggle hätte entschließen sollen.

Abschließend betonte Stefan Orth, dass er von der Entscheidung des Aufsichtsrats, den Mitgliedern ein komplett neues Präsidium vorzuschlagen, nach wie vor enttäuscht sei. „Ich respektiere und akzeptiere dies aber und hege keinen Groll“, sagte Orth weiter. Gleichzeitig aber machte er deutlich, dass er eine Variante favorisiert hätte, in der Oke Göttlich zunächst Vizepräsident geworden wäre und ihn nach „ein oder zwei Jahren“ abgelöst hätte. Diese Option kam für Göttlich, nicht in Betracht.

„Dieser komplette Personalwechsel im Präsidium hat bei den Sponsoren und der Stadt zu Verunsicherung und Unverständnis geführt. Dieses Vorgehen hat unseren Verein in Schwierigkeiten gebracht“, sagte Orth, wurde dann aber auch versöhnlich: „Mein Dank geht an den Aufsichtsrat, auch wenn ich mir das Ende anders vorgestellt hätte. Und ich wünsche Oke und seinem Team alles Gute.“

Der bisherige Aufsichtsratschef Marcus Schulz rechtfertigte die Entscheidung seines Gremiums nochmals damit, dass man Göttlich und seinem Team die Bewältigung der künftigen Herausforderungen des Profifußballs eher zutraue als der bisherigen Führungscrew. Vor allem das Durchsetzungsvermögen und die Kommunikationsstärke Göttlichs stellte Schulz heraus. „An Kommunikation hat es vorher oft gemangelt“, sagte er. Zu den von Orth genannten Erfolgen merkte Schulz zudem kritisch an, dass die meisten Projekte bereits in der vorherigen Ära unter Präsident Corny Littmann auf den Weg gebracht wurden. Orth habe sich eher als „guter Umsetzer“ betätigt, während Göttlich nun den Verein mit neuen Ideen entwickeln werde und „Zug zum Tor“ habe.

Zum offenen Disput kam es, als ein Mitglied die Frage stellte, warum der Aufsichtsrat keine Kampfabstimmung zwischen Orth und Göttlich ermöglicht hat. Schulz antwortete: „Das wollten beide Kandidaten nicht.“ Orths Widerspruch kam prompt. „Man hätte mich ja mal fragen können.“ Auf Nachfrage sagte Schulz: „Das ist alles besprochen worden. Orth hielt dagegen: „Ich wurde nicht gefragt, ob ich für eine Kampfkandidatur zur Verfügung stehe. Das steht dann eben Aussage gegen Aussage.“

Als die Versammlung schon fast neun Stunden lief, stimmten die verbliebenen Mitglieder über verschiedene Anträge ab, kippten dabei den „Altersparagrafen“ für Präsidium und Aufsichtsrat und lehnten das Ansinnen ab, der FC St. Pauli solle sich gegen eine Hamburger Olympiabewerbung stellen.