St. Paulis neuer Cheftrainer will seine Chance nutzen, sich im Profigeschäft zu etablieren. Präsident Orth rechtfertigt Trennung von Roland Vrabec

Hamburg. Als am Mittwochmorgen die Fußballprofis des FC St. Pauli um 9.56 Uhr auf ihren Trainingsplatz an der Kollaustraße gingen, war Roland Vrabec schon nicht mehr dabei. Dem bisherigen Cheftrainer hatten rund eine Stunde zuvor St. Paulis Präsident Stefan Orth, der für Sport zuständige Vizepräsident Jens Duve und Sportchef Rachid Azzouzi offiziell seine Beurlaubung mitgeteilt. Nach diversen Sitzungen hatte die Clubführung die Trennung am späten Dienstagabend beschlossen und sich für den bisherigen U23-Trainer Thomas Meggle, 39, als Nachfolger entschieden.

Dies alles war nach dem 0:3-Debakel am Montagabend im Auswärtsspiel bei der SpVgg Greuther Fürth keine Überraschung mehr. Schon unmittelbar nach der Rückkehr des Teams am frühen Dienstagmorgen hatte Azzouzi bei einem Kaffee Vrabec nahe gebracht, dass es mit ihm nicht mehr weitergehen werde. „Ich bin mit Roland immer ehrlich umgegangen“, betonte Azzouzi.

„Die Auftritte und Ergebnisse der vergangenen Spiele, auch saisonübergreifend, haben uns nicht mehr gefallen. Deshalb haben wir uns entschlossen, sofort die Reißleine zu ziehen“, begründete Präsident Orth die Maßnahme. Nur ein Sieg in den vergangenen neun Punktspielen und lediglich sechs von 27 möglichen Punkten lautet in Zahlen ausgedrückt die Bilanz, aufgrund derer sich das Präsidium zum Handeln gezwungen sah. „Wir haben in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder mit Roland Vrabec nach Lösungswegen gesucht, müssen aber feststellen, dass die Hebel, die wir angesetzt, und die Maßnahmen, die wir ergriffen haben, nicht gefruchtet haben“, sagte Azzouzi. Am Ende sei der Trainer „das schwächste Glied in der Kette“. In der Verantwortung aber, so der Sportchef, würden alle stehen. „Das habe ich heute auch der Mannschaft gesagt.“

Zuletzt war von Verantwortungsbewusstsein gerade auch bei den Spielern auf dem Rasen nur wenig zu sehen gewesen. Die ersten beiden Gegentore in Fürth waren schon in ihrer Entstehung das Resultat einer mehr als nachlässigen Defensivarbeit mehrerer Akteure. Diese Szenen hatten auch nichts damit zu tun, ob die Profis nun das von Vrabec propagierte Spielsystem begriffen und verinnerlicht hatten oder nicht.

„Wir haben vollstes Vertrauen in Thomas Meggle und darin, dass er uns aus dem Tal der Tränen wieder herausführt“, sagte jetzt Präsident Orth. „Es geht nicht um hochtrabende Ziele. Aber wir wollen den Negativtrend umbiegen und vor allem am Millerntor wieder den Fußball sehen, den wir uns wünschen, und nicht das, was wir dort zuletzt gesehen haben“, nannte Azzouzi seine Erwartungen an den neuen Cheftrainer.

„Ich kenne Thomas Meggle jetzt auch schon seit zwei Jahren. Er hat eine gute Entwicklung genommen und vor allem im vergangenen halben Jahr unsere U23 zu einer starken Mannschaft geformt“, sagte Azzouzi weiter. Das von Meggle bisher betreute Team hatte sich in der Regionalliga Nord in der abgelaufenen Saison mit einer Erfolgsserie aus der drohenden Abstiegsgefahr befreit und am Ende den neunten Platz belegt – mit zwölf Punkten mehr als die zweite Mannschaft des HSV (14.). „Wir haben auch mit keinem anderen Trainerkandidaten gesprochen“, beteuerte Azzouzi. Der derzeit freie Mike Büskens (zuvor Düsseldorf) hatte demnach in den Überlegungen der St.-Pauli-Führung keine Rolle gespielt.

Thomas Meggle selbst gab sich unterdessen eher zurückhaltend im Hinblick auf die von seiner Arbeit erwartete Leistungssteigerung des Zweitligateams. „Es geht jetzt darum, von Tag zu Tag zu denken und einzelne Prioritäten abzuarbeiten. Wir wollen eine Ist-Analyse erstellen und uns darüber klar werden, wo wir am meisten bewirken können“, sagte er. Grundsätzlich aber sei seine Devise: „Harte Arbeit gepaart mit Freude führt zum Erfolg.“

Am Mittwoch war Meggle noch nicht auf dem Trainingsplatz. Somit wird seine erste Aufgabe mit dem Zweitligateam an diesem Donnerstag (18.30 Uhr) das Testspiel bei Bayer Leverkusen sein. „Vielleicht werden wir da schon im ganz kleinen Bereich ein paar Änderungen vornehmen“, kündigte der frühere Mittelfeldspieler an. Das erste Training wird der neue Cheftrainer somit am Freitagnachmittag leiten.

Im Gegensatz zum beurlaubten Roland Vrabec hat der gebürtige Münchner Meggle ohne Zweifel sogenannten Stallgeruch des FC St. Pauli vorzuweisen. Bereits im Sommer 1997 kam er als Mittelfeldspieler vom FC Starnberg ans Millerntor, ehe es ihn zwei Jahre später zu 1860 München zog. Bei den „Löwen“ aber blieb er nur ein Jahr und kehrte im Sommer 2000 zu St. Pauli zurück. Mit ihm gelang dem Kiezclub 2001 der völlig unerwartete Bundesligaaufstieg.

In der anschließenden Erstligasaison sollte eines der größten Erfolgserlebnisse Meggles im St.-Pauli-Dress folgen. Im Heimspiel gegen den damaligen Weltpokalsieger FC Bayern München steuerte er einen Treffer zum sensationellen 2:1-Sieg bei. Dennoch stieg St.Pauli am Saisonende ab, Meggle bescherte dem Club mit seinem Wechsel zu Hansa Rostock immerhin eine Ablöse von 480.000 Euro. 2005 kehrte er dann abermals zurück zum FC St. Pauli, beendete hier 2010 seine aktive Karriere und begann seine Trainerausbildung.

Bis zum Frühjahr 2013 war er Co-Trainer des Profiteams. „Ich habe hier von den Cheftrainern Holger Stanislawski, André Schubert und Michael Frontzeck viel gelernt“, sagte Meggle, der seine Ausbildung zum Fußballlehrer mit Bravour bestand. Als jetzt das Angebot kam, erstmals Cheftrainer in der Zweiten Liga zu werden, musste er nicht lange überlegen. „Es gibt im Leben immer Züge, die vorbeifahren. Aber irgendwann muss man aufspringen. In diesem Fall war klar, dass ich diesen Zug nicht vorbeifahren lassen werde“, sagte er zur Chance, sich im Profigeschäft auch als Trainer etablieren zu können.