St. Paulis Präsident Stefan Orth erklärt, warum er den Cheftrainer dennoch auch weiter für die richtige Besetzung hält

Hamburg. Vor wenigen Tagen analysierte das Präsidium des FC St.Pauli die abgelaufene, in der Schlussphase doch noch enttäuschende Zweitligasaison mit Sportdirektor Rachid Azzouzi und Cheftrainer Roland Vrabec. Dabei wurden die Defizite klar angesprochen. Im Abendblatt-Interview spricht Präsident Stefan Orth über die wichtigsten Kritikpunkte, die Lehren für die kommende Saison und erklärt, warum eine Ausgliederung wie beim HSV für seinen Verein nicht infrage kommt.

Hamburger Abendblatt:

Vor der abgelaufenen Saison hatten Sie gesagt, der FC St.Pauli wird das Überraschungsteam der Saison. Das hat nicht so geklappt. Warum ist dem SC Paderborn und nicht Ihrer Mannschaft die Überraschung des Bundesliga-Aufstiegs gelungen?

Stefan Orth:

Ganz einfach: Paderborn hat stabiler gespielt und die nötigen Punkte gesammelt. Wir selbst haben lange eine sehr ordentliche Saison gespielt, waren lange Zeit als Vierter oder Fünfter nah an den Aufstiegsplätzen, haben den Sprung dorthin aber nicht geschafft, weil wir zu Hause sechs oder sieben Punkte haben liegen lassen.

Das große Manko waren die Heimspiele mit nur fünf Siegen im eigenen Stadion. Das war sogar deutlich schwächer als in der Serie zuvor, als die Mannschaft bis zum Schluss gegen den Abstieg gespielt hat. Wie ist das bei diesem tollen Stadion und der großen Unterstützung der Fans zu erklären?

Orth:

Darüber haben wir bei der sportlichen Analyse der Saison sehr lange gesprochen. Wir werden am Auftritt der Mannschaft arbeiten. Es wäre plausibler gewesen, wenn unsere junge Mannschaft auswärts nicht so stark und zu Hause erfolgreicher gespielt hätte. Das Thema wird mit der Mannschaft intensiv aufgearbeitet, damit wir in der neuen Saison zu Hause wieder stabiler und aggressiver spielen.

Welche Ursachen haben Sie für diese Entwicklung erkannt?

Orth:

Es fehlte der Mannschaft zu Hause gerade in den Spielen gegen vermeintlich kleinere Gegner die körperliche Präsenz und das nötige Selbstbewusstsein, um die Spiele zu gewinnen.

Fehlte es also an Führungsspielern, die dieses Selbstbewusstsein besitzen und vermitteln? Wog der lange Ausfall von Kapitän Fabian Boll so schwer?

Orth:

Wir sind ja dabei, eine Mannschaft zu entwickeln, daher hat es den vielen jungen Spielern auch an Führungsspielern gemangelt. Boller hätte da mit seiner Präsenz helfen können. Das hat man im letzten Spiel gesehen. Es ging gleich ein Ruck durch die Mannschaft, als er im Mittelfeld ein Kopfballduell gewonnen hatte.

Wie wollen Sie das jetzt ändern?

Orth:

Wir halten nach neuen Spielern Ausschau, die die genannten Qualitäten mitbringen.

Für einen neuen Spieler ist das eine große Bürde.

Orth:

Das stimmt. Aber wir haben jetzt die jungen, entwicklungsfähigen Spieler im Kader, nach denen wir in den beiden vergangenen Jahren gesucht haben. Nur mit ihnen aber kann man nicht planen. Um die Mannschaft weiterzuentwickeln, brauchen wir jetzt Spieler mit Erfahrung und Qualität, die auf dem Platz Präsenz und Emotionen zeigen.

Dafür ist ja offenbar auch mehr Geld als bisher vorhanden. Sie könnten also mehr ins wirtschaftliche Risiko gehen.

Orth:

Es bleibt dabei, dass wir nur das Geld ausgeben, das wir auch haben. Und Rücklagen werden wir auch weiter bilden, um handlungsfähig zu bleiben. Richtig ist, dass unser Sportdirektor Rachid Azzouzi gezielt nach zwei oder drei Verstärkungen sucht. Wir können aber auch weiter keine Erstligagehälter bezahlen, die drei- bis viermal so hoch wie bei uns sind.

Der Trainerwechsel im vergangenen Herbst sollte ja auch gerade für attraktivere Auftritte in Heimspielen sorgen. Das hat nicht funktioniert. Unter Roland Vrabec gab es nur noch zwei Siege im Millerntor-Stadion. Ist er weiter der richtige Trainer?

Orth:

Ja, absolut. Er bringt großen Willen, große Leidenschaft und fachliche Kompetenz mit. Wir vertrauen ihm und seinem Team voll und sind überzeugt, dass wir mit ihm eine erfolgreiche Saison 2014/15 spielen werden.

Es gab für Roland Vrabec zuletzt im Zusammenhang mit seinem Umgang mit Urgestein Fabian Boll Stress mit den Fans. Haben Sie mit ihm darüber noch einmal gesprochen?

Orth:

Das haben wir natürlich getan. Wir haben einen noch jungen Cheftrainer. Er arbeitet an sich und entwickelt sich weiter. Er hat auch ein, zwei Fehler gemacht in der öffentlichen Darstellung. Aber das macht jeder Trainer in seiner Entwicklung durch. Daraus muss man lernen.

Von den Zugängen vor einem Jahr haben vor allem die als feste Größen geholten Stürmer Christopher Nöthe und John Verhoek sowie auch Defensivmann Bernd Nehrig enttäuscht. Hat sich Ihr Sportdirektor Rachid Azzouzi für die falschen Spieler entschieden?

Orth:

Richtig ist, dass wir in der Offensive nicht genügend stattgefunden haben, unser Angriff war nicht abschlussstark genug. Aber auch im Mittelfeld fehlte es an Präsenz und in der Abwehr an Stabilität. Daran müssen wir arbeiten. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir die Mannschaft neu zusammengestellt haben und trotz allem in der letzten Saison eine ordentliche Entwicklung genommen haben, auf der wir weiter aufbauen wollen. Die sogenannten Königstransfers waren allerdings im letzten Jahr nicht präsent genug. Das müssen die drei genannten Spieler deutlich ändern. Das erwarten wir von ihnen und haben es ihnen auch deutlich gesagt.

Welchen sportlichen Anspruch haben Sie für die kommende Saison?

Orth:

Es wird wieder sechs bis acht Mannschaften geben, die um den Aufstieg mitspielen werden. Unser Anspruch ist es, dass wir zu diesem Kreis gehören. Das Ziel, zu den Top 25 in Deutschland zu gehören, gilt weiterhin. Sicherlich kommt mit RB Leipzig ein neuer Club mit viel Geld in die Liga, und auch die Bundesligaabsteiger haben eine hohe Qualität. Doch ich glaube nicht, dass die Konkurrenz härter wird als in der vergangenen Saison. Wir müssen wieder an unsere Stärken glauben.

Eigentlich hätte in diesen Tagen schon eifrig am Abriss und dem Neubau der Nordtribüne gearbeitet werden sollen. Warum ist das Ganze eine Hängepartie?

Orth:

Bei diesem letzten Bauabschnitt gehört viel zusammen. Außer der Nordtribüne soll auch die externe Stadionwache auf dem Domgelände neu gebaut werden. Diese baut die Stadt und muss einen Bauunternehmer benennen. Drei Behörden sind involviert, um den Gesamtvertrag unter Dach und Fach zu bringen. Im Moment liegt das Ganze nicht in unserer Hand. Wir hoffen, dass bis Ende Juni alles geklärt ist und wir anfangen können zu bauen. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen sind von unserer Seite auf jeden Fall gegeben.

Ihr Club hat den jahrelangen Rechtsstreit um die Merchandisingrechte gegen die Firma Upsolut gewonnen. Warum betreiben Sie das Geschäft und die Fanshops dennoch erst einmal nicht in eigener Regie und machen mit Ihrem Verfahrensgegner gemeinsame Sache?

Orth:

Das wollen und müssen wir auch. In sehr vernünftigen Gesprächen haben wir uns darauf geeinigt. Die letzte Beurteilung des Bundesgerichtshofs steht noch aus. Das kann noch einmal eineinhalb Jahre dauern. Deshalb haben wir uns jetzt verständigt, dass wir uns bis zum Urteil die Überschüsse im Verhältnis 50:50 teilen wollen. Und zwar für beide Seiten ohne Regressanspruch.

Wie war das Verhältnis denn bisher?

Orth:

Das lag bei 90:10 für Upsolut.

Der HSV hat die Ausgliederung der Profiabteilung in eine Kapitalgesellschaft beschlossen. Wann wird der FC St. Pauli diesen Weg beschreiten?

Orth:

Gar nicht! Wir sind ein von seinen Mitgliedern bestimmter Verein. Das ist und bleibt für uns der richtige Weg.

Die HSVPlus-Befürworter argumentieren, die Ausgliederung sei der einzige Weg, um einen Profifußballclub zukunftsträchtig aufzustellen.

Orth:

Das wird man sehen. Wir stellen uns gern dem Vergleich. Wir wollen auch sportlichen Erfolg, aber nur mit dem vorhandenen Geld und nicht durch externe Investoren und Mitentscheider. Unser Weg bleibt Einsatz und Leidenschaft und wird nicht der Versuch sein, sich Erfolg zu erkaufen. Unser Ziel muss ja auch nicht sein, sich für den Europapokal zu qualifizieren.