Gänsehaut-Atmosphäre im Millerntor-Stadion beim letzten Spiel des langjährigen St.-Pauli-Kapitäns

Hamburg. „Fabian Boll, Fußballgott“, schallte es immer wieder im Wechselgesang durch das Millerntor-Stadion. Die Spieler des FC St. Pauli hatten sich allesamt braune Trikots mit dem Namen und der Rückennummer 17 ihres Kapitäns übergestreift. Boll selbst hatte ein weißes Shirt bekommen und hob sich so für jedermann sichtbar ab. Die Feierlichkeiten zu Fabian Bolls Abschied erreichten in diesen Momenten, rund 15 Minuten nach dem Abpfiff des Heimspiels gegen Erzgebirge Aue (2:2), ihren Höhepunkt.

„Es ist unglaublich, was sich hier abgespielt hat. Es ist mir echt schwergefallen, mich zusammenzureißen. Als Thees angefangen hat, auf der Gitarre zu spielen, war es um mich geschehen“, erzählte Boll später von einem der ganz besonders emotionalen Momente an diesem Nachmittag. Der Musiker hatte auf dem Rasen live ein auf Boll umgedichtetes Lied zum Besten gegeben.

Mehr als eine halbe Stunde dauerten die Huldigungen und Feierlichkeiten auf dem Rasen für den Mann, der zwölf Jahre lang für den FC St. Pauli gespielt und zum unumstrittenen Idol geworden war. In seiner Rede wurde er von weiteren „Fußballgott“-Rufen unterbrochen. „Macht es mir doch nicht so schwer“, flehte er. Auch hoch oben auf den Rängen war zu spüren, wie sehr der große Mann mit den Tränen kämpfte. „In den vergangenen Tagen hatte ich viel um die Ohren. Das hat mich abgelenkt. Gestern Abend war ich noch ganz cool, aber heute Morgen war ich schon ganz schön nervös“, sagte Boll später.

Schon vor dem Spiel war er in offizieller Form ebenso wie seine Kollegen Fin Bartels, Kevin Schindler und Florian Mohr sowie Physiotherapeut Bastian Bolz stilvoll verabschiedet worden. Bevor Boll von Teammanager Christian Bönig aufgerufen wurde, bildeten die übrigen Spieler, die sich auf das Spiel vorbereiteten, ein Spalier, durch das er gehen sollte. „In seinen Adern fließt braun-weißes Blut“, sagte Bönig in seiner launigen Laudatio.

Auf der Südtribüne hatten die Fans unterdessen ein Transparent über die gesamte Breite aufgehängt. „Nach zwölf Jahren Fußballheld jetzt nur noch Beamtengeld! Wir sehen uns auf der Straße“, war darauf zu lesen. Eine etwas grenzwertige Anspielung auf Bolls Halbtagstätigkeit als Polizist.

Nachdem Boll sein Team ein letztes Mal zu einem Profispiel auf das Feld geführt hatte, begleiteten die Zuschauer jeden Ballkontakt des Kapitäns mit einem „Olé“. Und dazu gab es durchaus recht häufig Gelegenheit, denn Boll war auf der „Sechser“-Position von Anfang an präsent auf dem Platz, forderte den Ball und ging auch keinem Zweikampf aus dem Weg. Sein erstes Foul leistete er sich in der vierten Minute an Aues Torjäger Jakub Sylvestr, eine Minute später wurde er selbst von Michael Fink von den Beinen geholt. Mit Nachsicht konnte Boll in seinem letzten Spiel also nicht rechnen, aber so etwas würde der Kämpfertyp ja auch gar nicht erwarten.

Seine Teamkollegen aber taten viel dafür, dass es ein auch für die Zuschauer ansehnliches Saisonabschiedsspiel wurde. Sebastian Maiers Pass auf Christopher Nöthe kam so präzise, dass der Stürmer allein aufs Tor zulaufen und ungehindert das 1:0 (14.) erzielen konnte. Nach dem 1:1-Ausgleich durch Guido Kocer entschuldigte sich Rechtsverteidiger Bernd Nehrig bei Boll für seinen folgenschweren Ballverlust. Noch vor der Pause gelang Sebastian Maier nach schöner Kombination und auf Zuspiel von Lennart Thy das 2:1 (38.)

Dass es abermals nicht zu einem Heimsieg reichen sollte, hatte erneut auch Nehrig mit zu verantworten. Er konnte Dorian Diring nicht an seinem Sturmlauf auf der linken Seite hindern, dessen Pass kam genau in den Fuß von Sylvestr, der den Ball aus vollem Lauf zum 2:2 (62.) ins Tornetz wuchtete.

Bei diesem Remis blieb es bis zum Ende. Doch an diesem Sonntag war es nebensächlich, dass die schwache Heimbilanz (fünf Siege) des FC St. Pauli in dieser Saison auch bei Bolls Abschiedsvorstellung nicht mehr aufgebessert werden konnte. Dabei hatte Boll selbst mit einem sehenswerten Volleyballschuss aus 18 Metern (49.) fast noch einen Treffer erzielt, doch Aues Torwart Martin Männel lenkte den Ball gerade noch über die Latte. „Wenn er erkannt hätte, dass der Schuss von mir kam, hätte er die Hände wohl nicht so hochgerissen“, sagte Boll schmunzelnd.

„Diese Atmosphäre im Stadion hat auch bei mir eine Gänsehaut verursacht. Das sucht seinesgleichen“, sagte St. Paulis Cheftrainer Roland Vrabec. „Es ist unglaublich, was unsere Fans für ein Gespür haben. Das war ein respektvoller Abschied und würdiger Rahmen“, sagte Sportdirektor Rachid Azzouzi.

An diesem Montag um sechs Uhr geht für Boll und seine Mitspieler das Fest weiter. Das Team fliegt zur Abschlussfeier nach Mallorca. „Das lasse ich mir nicht entgehen“, sagte Offensivspieler Fin Bartels, der nach Bremen wechselt. Die Fans skandierten auch seinen Namen, als er ausgewechselt wurde. „Das war ein schönes Gefühl“, sagte St. Paulis bester Saisontorschütze. Oft ist dem bescheidenen Bartels eine solche Ehre nicht zuteilgeworden. „Für mich war es völlig in Ordnung, dass ich ein bisschen im Hintergrund stehen konnte“, sagte er. Denn die Hauptperson war und blieb natürlich Fabian Boll.