Trotz Personalproblemen überzeugt St. Pauli beim 3:1 gegen 1860 München und hat jetzt beste Karten im Abstiegskampf. Trainer Frontzeck will von einem Befreiungsschlag dennoch nichts wissen.

Hamburg. Nein, keine Sekunde habe er an das Spiel in Dresden eine Woche zuvor gedacht, beteuert Michael Frontzeck am Tag danach. Wieder hatte seine Mannschaft nach einer 2:0-Führung den Anschlusstreffer kassiert und lief Gefahr, erneut einen sicher geglaubten Sieg zu verspielen - genau wie am vergangenen Spieltag, als seine Mannschaft nach einem 2:0 noch 2:3 unterlag. "Was wir in Dresden erlebt haben, passiert jeden Spieltag auf irgendeinem Platz", sagte der Trainer des FC St. Pauli. "Wir haben diesmal die richtige Reaktion gezeigt."

Und in der Tat: Diesmal zahlte sich das Vertrauen, das Michael Frontzeck seiner Mannschaft die ganze Woche über eingebläut hatte, aus. Viel Zeit, sich Gedanken über einen möglicherweise negativen weiteren Verlauf des Spiels zu machen, gab die Mannschaft dem Trainer nicht und zeigte eine Reaktion, die zu diesem Spiel und zur ihrer Leistung passte. Statt sich hinten einschnüren zu lassen und zu versuchen, die Führung irgendwie über die Zeit zu retten, konterten die Hamburger eiskalt und stellten nur eine Minute später den alten Abstand wieder her. Mit 3:1 gewann St. Pauli nach der besten Saisonleistung im eigenen Stadion vor 28.892 Zuschauern gegen keinesfalls enttäuschende Löwen vom TSV 1860 München und hat trotz des 2:0-Siegs des VfL Bochum gegen Energie Cottbus (siehe Text unten) wieder einen Vorsprung von acht Punkten auf den Relegationsplatz. Am kommenden Freitag kann St. Pauli im direkten Duell in Bochum den Klassenerhalt rechnerisch zwar noch nicht endgültig klarmachen, ein Sieg wäre aber bei dann mindestens zehn Punkten Vorsprung und vier verbleibenden Spielen eine Vorentscheidung. "Das war heute ein Riesenschritt. Wenn wir in Dresden den ersten Matchball hatten, dann haben wir nun in Bochum den zweiten", sagte Verteidiger Markus Thorandt.

Von einem Befreiungsschlag wollte Frontzeck am Sonntag dennoch nichts wissen. "Ob wir zwei, sieben oder zehn Punkte Vorsprung haben, ändert dies nichts an unserer Vorbereitung auf das Spiel in Bochum. Es liegt uns sehr am Herzen, dort ein gutes Auswärtsspiel zu machen", sagte der Coach. Viele gab es davon noch nicht. Auswärts holte St. Pauli bei zwei Siegen in dieser Saison lediglich zehn Punkte.

Doch die Leistung gegen die auswärts zuvor seit fünf Monaten ungeschlagenen Münchner macht Mut und Lust auf mehr. Obwohl gleich drei A-Jugendliche auf der Bank Platz genommen hatten und mit Fabian Boll und Akaki Gogia nur noch zwei Stammkräfte dort saßen, hatte sich Frontzeck nicht über die personellen Bedingungen beklagt und im Gegenteil seinem Kader das bedingungslose Vertrauen ausgesprochen. Das verfehlte nicht seine Wirkung. Nach drei sieglosen Partien in Folge waren Anspannung und Druck vor dem Spiel hoch gewesen, wie Spieler und Trainer später zugaben, doch der FC St. Pauli schaffte es, den Druck zu kanalisieren und auf das Spielfeld zu übertragen. "Die Führung war wichtig, um Druck abzubauen", sagte Außenverteidiger Sebastian Schachten. "Aber auch, dass wir nach dem Anschlusstor zurückgekommen sind. Das war nicht selbstverständlich nach letzter Woche."

Die Hamburger traten überraschend dominant und selbstbewusst auf, zeigten lange nicht gesehene Kombinationen, spielten direkt und vertikal und kamen so zu zahlreichen Tormöglichkeiten. St. Pauli betrieb hohen Aufwand und verdiente sich nicht nur die drei Punkte, sondern eben auch die Chance, sich am kommenden Freitag endgültig aus dem Abstiegskampf zu verabschieden. "Ich ziehe meinen Hut vor der Leistung der Mannschaft", sagte Sportdirektor Rachid Azzouzi. "Trotz der sieben Ausfälle haben wir richtig guten Fußball gespielt." Insbesondere der zuletzt wenig berücksichtigte Dennis Daube überzeugte mit viel Übersicht und einem tollen Pass zur Führung durch Geburtstagskind Daniel Ginczek, der in den jüngsten fünf Spielen, in denen er auf dem Platz stand, siebenmal traf. "Ende des Monats wird eine Entscheidung fallen", sagte der Stürmer auf die Frage nach seiner Zukunft.

Die Mannschaft hat die Ankündigung, noch enger zusammenzurücken, in die Praxis umgesetzt. In der Defensive ließen die Braun-Weißen den namhaften Angreifern aus München kaum Entfaltungsmöglichkeiten, und vorn ließ Frontzeck sein Team früh angreifen und pressen. Die Sechziger stellten noch vor der Pause auf ein offensiveres 4-1-3-2-System um. Doch St. Pauli ließ sich nicht beeindrucken und nutzte die Räume optimal. "Das war eine Leistung, wie ich sie mir für die Zukunft vorstelle", sagte Frontzeck zufrieden.