Stimmungsmäßig alles beim Alten im Stadion am Millerntor - der FC St. Pauli und die Einweihung der neuen Gegengeraden

Hamburg. Der Mief weicht der Moderne, und das Stadion am Millerntor wird immer komfortabler, ästhetisch anspruchsvoller und größer: Beim Rückrundenauftakt des FC St. Pauli wurde am Sonntag die neue Gegengerade eingeweiht. Ein 13.000 Zuschauer (vorher: 10.000) fassender Block, der an die Stelle der alten Stehplatzgeraden getreten ist und natürlich die Frage aufwirft, was der jetzt zu drei Viertel abgeschlossene Umbau des Stadions denn nun für die Atmosphäre bedeutet.

Erster Eindruck: Es ist lauter geworden am Millerntor; prima Akustik. Der zweite: Das Stadion fremdelt keineswegs mit der neuen Gegengerade. "You'll never walk alone" wird, gefühlt zumindest, noch inbrünstiger gesungen als sonst. Melancholie? Eher nicht. Man kann die Haltung der St. Paulianer vielleicht am besten so zusammenfassen, wie es einer der Fans auf der Haupttribüne sagte: "Schon schade, aber richtig." Was ist schade, was ist richtig? Schade ist, dass dem Millerntor etwas von dem verloren geht, was man mit einem Wort wie "Ursprünglichkeit" beschreiben kann. Wo die sogenannten "Schmuckkästchen" entstehen, also schicke und freundliche Stadien, geht manches Unverwechselbare verloren. Das "Echte", was immer das ist, das Raue und Heruntergerockte, was einem Ort Charakter geben kann. Anders gesagt: Es gab im deutschen Profifußball wahrscheinlich keinen Stehplatzbereich, um dessen Unversehrtheit man so fürchten musste, wenn das Stadion tobte, wie am Millerntor. Das Beben beim Torjubel fühlte man fast körperlich, wenn die Bretterbude auf dem Sandhügel einem nachdrücklichen Test ihrer Statik unterzogen wurde.

Vorbei. Auch wenn am Sonntag, bei einem 0:0, nicht die Probe aufs Exempel gemacht werden konnte. Und das ist dann natürlich auch irgendwo richtig. Selbst der FC St. Pauli, obwohl in der Eigenbetrachtung immer noch so etwas wie der andere Profiverein, braucht eine zeitgemäße Infrastruktur. Das sehen ja auch die Fans auf der Gegengerade so. Nicht unbedingt, weil sie jetzt im verglichen mit den alten Sanitäranlagen luxuriösen WC-Tempel königlich pinkeln gehen können, sondern weil sie am Sonntag, zum Beispiel, zahlenmäßig rekordverdächtig unterwegs waren. 26.578 Zuschauer - das Stadion am Millerntor wächst. In die Höhe: Auf dem Oberrang der Gegengerade sind die Sitzplätze, aber untendrunter, und das verdeutlicht dann eben den romantischen, nicht kommerziellen Charakter des Umbaus wird weiter gestanden.

Hier ist der Platz der Kernigen, der Treuesten, der Einpeitscher und aller anderen, die im Stadion alle 14 Tage auf gewisse Weise an die proletarische Herkunft des Fußballs erinnern. Das Stadion am Millerntor ist dadurch, dass es kein geschlossenes Oval ist, immer noch, je nach Perspektive, so luftig oder zugig wie vorher. 2014, wenn der Umbau der Arena mit der neuen Nordtribüne abgeschlossen wird, dürfte der Wall of Sound der Fans noch eindrucksvoller sein als jetzt. Der "Festtag" gegen Cottbus, an dem das architektonische Bolzplatz am Sonntag zu Ende ging, hatte übrigens auch zwei Verlierer. Auf der Haupt- und auf der Südtribüne waren Lücken zu sehen. Viele Fans sind auf die Gegengerade umgezogen. Sie ist das neue heiße Ding und war am Sonntag das Lieblingsmotiv aller Handykameras.