Der Kapitän der Kiezkicker überwindet im Trainingslager in Belek seine lange Leidenszeit und gibt den Jungen St.-Pauli-Tipps.

Belek. Frisch geduscht erscheint Fabian Boll auf der Terrasse des Ela Quality Resorts in Belek am späten Vormittag zum Gespräch mit dem Abendblatt. Die Sonne scheint, es weht ein laues Lüftchen vom nah gelegenen Mittelmeer, ein Lächeln huscht über das Gesicht des Mannschaftskapitäns des FC St. Pauli. Eine halbe Stunde zuvor hat er schon die erste, rund 100 Minuten lange Trainingseinheit im Rahmen des Trainingslagers hinter sich gebracht. Endlich kann Boll, 33, wieder das tun, was er am liebsten macht - einfach Fußball spielen. Die Freude darüber, dass dies jetzt nach langer Verletzungspause und einer Phase der quälenden Ungewissheit und des Zweifelns wieder schmerzfrei möglich ist, ist ihm auf Anhieb anzumerken.

"Es war ganz schön anstrengend und nicht besonders erfolgreich", fasst er die gerade absolvierte Übungseinheit zwar wenig euphorisch zusammen. Dass er dabei schmunzelt, macht aber klar, dass das Dabeisein für ihn in diesen Tagen viel wichtiger ist als der Umstand, mit seinem Team beim gerade ausgetragenen Kleinfeldturnier wenig erfolgreich gewesen zu sein. "Es fehlt mir noch das Timing in den Zweikämpfen. Da muss ich geduldig sein. Aber es ist einfach ein schönes Gefühl, nach zwei Monaten Pause jetzt wieder gegen den Ball treten zu können und dabei schmerzfrei zu sein."

Davon hatte Boll in den beiden letzten Monaten des Jahres 2012 nur träumen können. Hartnäckig hielten sich die schmerzhaften Rücken- und Oberschenkelprobleme, deren Ursache kein Arzt und kein Physiotherapeut so richtig ergründen konnten. Am 3. November bestritt er sein bis heute letztes Zweitliga-Punktspiel. Beim 2:0 bei 1860 München erzielte er das erste Tor für sein Team, sechs Minuten später musste er mit einer Rückenprellung ausgewechselt werden. Sieben Partien hat er seither verpasst - für einen Kapitän und Kämpfer wie Boll eine halbe Ewigkeit.

"Es ging mir schon sehr auf die Nerven, dass ich immer wieder Trainingsversuche abbrechen musste. Als Fußballer ist man ja ohnehin ungeduldig, aber wenn man gar nicht weiß, wie lange sich das hinziehen wird, ist es schlimm. Bei einem Bänderriss hat man wenigstens eine klare Vorstellung, wann man wieder einsatzfähig ist", sagt Boll.

Forderte das für einen Profifußballer fortgeschrittene Alter mit dieser langwierigen Verletzung einfach nur seinen Tribut? "Nein, das hatte nichts mit dem Alter zu tun", sagt Boll vehement. Doch dann erzählt er davon, dass es in dieser Leidenszeit immer mal wieder kurze Phasen des Zweifelns an der eigenen Genesung gab. "Der Gedanke 'War es das jetzt?' schoss mir schon ein paar Mal durch den Kopf", berichtet er. Am Ende aber stand immer wieder der feste Wille, noch einmal anzugreifen.

Schließlich soll es nach Möglichkeit noch ein paar Jahre weitergehen mit dem Profifußballer Boll. Dabei geht es für ihn auch nicht nur darum, Spiele zu bestreiten und Tore zu schießen, sondern auch der im aktuellen Kader sehr stark vertretenen jungen Spielergeneration die St.-Pauli-Werte vorzuleben und zu vermitteln.

"Wie zum Beispiel Florian Bruns, Marius Ebbers, Jan-Philipp Kalla und Dennis Daube habe ich von der Pike auf gelernt, St. Paulianer zu sein. Es ist unser Anliegen, den Jungen beizubringen, wie man sich als St. Paulianer gibt, dass man demütig und bescheiden bleibt", sagt Boll. Auch Reservekeeper Benedikt Pliquett würde dabei mit eingreifen.

Doch spricht einer wie Boll, einer mit Anfang, fast Mitte 30, überhaupt noch dieselbe Sprache wie die Youngster? "Das ist teilweise schon grenzwertig", sagt der Mittelfeldspieler und schmunzelt dabei. Natürlich habe man nicht mehr dieselben Themen abseits des Fußballplatzes.

"Aber es hält einen auch jung, wenn man mit den Jungen spricht und sich mit ihnen beschäftigt", sagt er. Und wenn es um Fußball geht, sei es sowieso ganz einfach. "Da sprechen alle dieselbe Sprache", sagt Boll.

Aber gerade für ihn gibt es ja auch noch ein Leben, ein Berufsleben sogar, abseits des Profifußballs. Im Schnitt 20 Stunden pro Woche arbeitet Fabian Boll bekanntlich als Polizist in der Wache an der Sedanstraße. Gerade in der auch psychologisch schwierigen Phase Ende 2012 habe ihm dies sehr geholfen. "Ich bin da immer auf andere Gedanken gekommen, das tat einfach gut", sagt er. Und zudem war da dieses Wissen, einen "richtigen" Beruf zu haben, wenn es denn doch von heute auf morgen mit dem Profisport vorbei sei.

"Ich weiß halt, wenn ich falle, falle ich weich", sagt er. Dabei sei es heute keineswegs sicher, dass er in ein paar Jahren vollberuflich als Polizist arbeiten wolle. "Ich kann mir vieles vorstellen, aber ich habe noch nicht den Masterplan", sagt er. Schließlich soll es ja noch auf dem Fußballplatz ein bisschen weitergehen.

Das Ganze natürlich beim FC St. Pauli, jenem Verein also, dessen Ultra-Fans ein - vorsichtig formuliert - ganz besonders kritisches Verhältnis zur Polizei pflegen. Wie geht ein Fabian Boll damit um, als Fußballer von diesen Anhängern bejubelt, ja sogar als Idol angesehen zu werden, als Polizist aber ein Feindbild für genau dieselben Personen zu sein? "Ich kann sehr gut trennen zwischen beiden Berufen. Wenn ich auf dem Fußballplatz stehe, bin ich kein Polizist. Und in der Polizeiwache bin ich kein Fußballer", sagt er.

Gleichzeitig aber appelliert er, gegenseitig mehr Respekt und Verständnis zu zeigen und aufeinander zuzugehen. "Längst nicht alle Fans sind Rowdys, und auch die Polizisten darf man nicht alle über einen Kamm scheren. Dort gibt es auch viele Mütter und Väter, die nach einem Einsatz nichts anderes als gesund wieder nach Hause zu ihren Kindern kommen wollen."