Wie der Kiezclub vor zehn Jahren aus dem 2:1-Sieg gegen die Bayern einen Verkaufsschlager machte.

Hamburg. Die Schuldfrage ist schnell geklärt. "Der Carlos war's", sagt Hendrik Lüttmer. Heiko Schlesselmann bestätigt mit einem Grinsen: "Ja, das stimmt. Carlos I hat das alles erst möglich gemacht." Ohne ihn hätten die Tore von Thomas Meggle und Nico Patschinski am 6. Februar 2002 lediglich zu einem unerwarteten 2:1-Sieg gegen den FC Bayern München und drei letztlich wertlosen Punkten im Kampf gegen den Abstieg geführt. Erst der spanische Brandy ließ die nötige Inspiration und Kreativität fließen, um den FC St. Pauli an diesem kalten Mittwochabend erstmals in seiner Bundesligageschichte zu einem Titelträger werden zu lassen.

Jener Carlos, der auch dafür sorgte, dass Lüttmer am folgenden Morgen um 9 Uhr verkatert und einige Haltestellen von seinem Zuhause entfernt in der S-Bahn am Bahnhof Harburg erwachte. "Nachts passieren im Kneipenumfeld die großartigsten Dinge, aber das Schwierigste ist, sich am nächsten Morgen daran zu erinnern", weiß der Produktchef der Upsolut Merchandising GmbH, die für den FC St. Pauli im Zeichen des Totenkopfs das Geschäft mit braun-weißen Fandevotionalien betreibt, "doch der Gedanke war noch da."

Der Gedanke an das Wort, den Begriff, den er gemeinsam mit Schlesselmann und ungezählten Weinbränden weit nach Mitternacht am Tresen der Fankneipe Jolly Roger erschaffen hatte: Weltpokalsiegerbesieger! "Wir unterhielten uns über die Dimension des Sieges und kamen irgendwann darauf, dass die Bayern doch gerade Weltpokalsieger geworden waren", erinnert sich Schlesselmann. Der 40-Jährige, mittlerweile Mitglied des Ehrenrats beim Stadtteilclub, hatte den Großteil der 90 Minuten von der Haupttribüne verfolgt, Lüttmer, 45, stand die meiste Zeit auf der Gegengeraden.

Das Millerntor-Stadion war an diesem denkwürdigen Abend ihr Arbeitsplatz. Während der Produktchef Merchandisingstände belieferte, abrechnete und das Geld in den Tresor brachte, ging Schlesselmann nach dem Spiel zunächst in den Fanladen. Acht Monate zuvor hatte er von Lüttmer das Amt des Fanbeauftragten übernommen. Die späte Begegnung am Tresen des Jolly Roger war nicht geplant, aber doch kein Zufall. "Es war wie immer: Wenn St.-Pauli-Fans zusammensitzen und Alkohol trinken, dann fängt man an, in anderen Sphären zu denken: Alter, und wir haben jetzt den Weltpokalsieger geschlagen? Dadurch kam der Begriff", sagt Schlesselmann, "wir begannen etwas herumzuspinnen, wollten dann auch noch nach Tokio fahren, den Weltpokalverlierer zum Duell herausfordern und ein T-Shirt daraus machen."

Statt nach Japan ging es für St. Pauli keine drei Monate später wieder zurück in die Zweite Liga, ein Jahr darauf folgte der Absturz in die Regionalliga. Das T-Shirt aber wurde zum Erfolg.

"Allerdings ging es nicht darum, jetzt bewusst ein Zeichen zu setzen oder Andenken zu schaffen. Keiner hat erwartet, was daraus wird. Man sieht ja auch an der ersten Auflage von 400 Stück, dass das nur als kleiner Spaß und nicht als Marketingidee gedacht war", sagt Lüttmer beinahe entschuldigend.

Doch das braune Textil mit Vereinswappen und "Weltpokalsiegerbesieger"-Schriftzug auf der Vorder- und der Mannschaftsaufstellung auf der Rückseite stellte immer neue Verkaufsrekorde auf. Die ersten 200 Exemplare sicherten sich Mannschaft und Verein, dann wurde nachproduziert: 25.000 verkaufte Shirts in drei Monaten, 50.000 nach einem Jahr. Bis heute ist das von Uwe Podratz eilig entworfene T-Shirt im Programm. "Auch bei Karstadt oder Sportscheck gehört es zu den Standardprodukten wie das Totenkopf-Shirt. Das Ding lebt vom Wort. Deshalb hat sich damals ja auch keiner so richtig Gedanken um ein Layout gemacht", sagt Lüttmer und lacht. Mehrere Tausend gehen deutschlandweit jedes Jahr zum Preis von 19,95 Euro über die Ladentische. Bis heute wurde das Weltpokalsiegerbesieger-Shirt mehr als 120.000-mal verkauft.

"Wenn man ganz ehrlich ist, hat dieses T-Shirt alles ausgelöst, was in diesem Verein in Sachen Merchandising nach vorne ging. Das Aufblähen der Kundendateien legte den Grundstock für alles, was danach kam. Auch wenn es ein blöder Titel war - aber es war ein Titel. Und der wurde auch sportlich verkauft. Es wurde nicht mehr nur über die Bekloppten vom Millerntor berichtet, sondern auch über die Mannschaft. Ganz andere Leute begannen sich für den FC St. Pauli zu interessieren. Ob das gut oder schlecht war, sei dahingestellt, aber das Shirt hat auf jeden Fall etwas in die Gänge gesetzt", sagt Lüttmer. Dass die beiden Initiatoren daran nie finanziell partizipierten, sei unerheblich.

Vor allem für Schlesselmann ist die Geschichte vom T-Shirt nicht mehr als eine Erinnerungsstütze an die alten Zeiten. "Es ist wie bei so vielen Sachen, die mal im kleinen Rahmen lustig waren und sich dann verselbstständigen. Ich kann es nicht mehr sehen! Für mich ist es ein Synonym für eine Art der Eventisierung, die wir dadurch vielleicht auch mit vorangetrieben haben. Irgendwann war der Witz weg, auch weil es viel zu viele Nachahmer gab, die das kopierten. Da muss dann etwas Neues her."

Planen können man so etwas aber nicht, sagt Lüttmer, der 2012 zum zehnten Jahrestag 400 Shirts mit dem Schriftzug "Victor Victoris Mundi" auflegen ließ. "Ich würde mir mal wieder ein Shirt wünschen", so Schlesselmann, "wenn wir Pokalsieger würden." DFB-Pokal-Sieger. Denn den Weltpokal haben sie ja bereits gewonnen, zumindest indirekt. Dank Patschinski, Meggle, Schlesselmann, Lüttmer - und Carlos.